Der japanische Spielehersteller Square Enix setzt auf höhermargige Geschäftsmodelle – und gibt Lara Croft den Laufpass. Ein Nach- und Weckruf.
Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
wenn ich morgens Richtung Kaffeemaschine schlurfe, fällt mein Blick häufig auf das riesengroße Keilrahmenbild am Treppenaufgang. Das Gemälde zeigt das Titelmotiv von Tomb Raider: Underworld von und mit Lara Croft. Rechts unten haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hamburger Square Enix-Niederlassung signiert – ein Abschiedsgeschenk zum Ende meiner Spielezeitschriften-Laufbahn vor nunmehr acht Jahren.
Die Marke Tomb Raider begleitet mich seit 1996, als Abgesandte von Spielehersteller Eidos erstmals eine frühe PC-Version in den Redaktionsstuben vorführten. Dass den Kollegen die Augen aus dem Gesicht fielen, hatte – auch – mit der für damalige Verhältnisse revolutionären Grafik samt „echter 3D-Figuren“ aus Polygonen und Texturen zu tun. Der Tester pries Tomb Raider später als „das innovativste Action-Spiel des Jahres“.
Wertung: 90 %. Was sonst?
In der Folgezeit waren die Tomb Raider-Fortsetzungen Dauergast auf unseren Titelseiten – und an den Wänden der sehr überwiegend männlichen Leserschaft: In Ausgabe 12/97 lag ein zweiteiliges Riesenposter („Lara Croft im Pool“) bei – Heft 11/98 bejubelte Tomb Raider 3 als „Das Comeback des Jahres“ („Noch sportlicher, noch cleverer, noch echter“), flankiert vom ersten Bauteil eines Kalenders.
In Ausgabe 12/99 kam es beim damals „meistgekauften PC-Spiele-Magazin Europas“ auf 17 (!) Seiten zum Duell zwischen Indiana Jones 5 und Tomb Raider 4. Dazu auf CD-ROM: eine spielbare Exklusiv-Demo und ein Video vom „sexy Fotoshooting“. Nun ja.
Kurzum: Die Redaktion hat das Thema Lara Croft seinerzeit komplett durchspielt. Der Hype eskalierte um die Jahrtausendwende mit der gleichnamigen Verfilmung, die Angelina Jolie endgültig zum Weltstar machte. Zuvor war die Videospiel-Vorlage von der Punkrock-Kapelle Die Ärzte für das Musik-Video ‚Männer sind Schweine‘ engagiert worden. Kaum ein MediaMarkt, in dem nicht über Jahre hinweg eine Lara-Croft-Statue im Eingangsbereich zu finden war.
Tomb Raider war das, was man einen ‚household name‘ nennt.
Wenig später stürzte die omnipräsente Marke in eine veritable Sinn-Krise: Das technisch unterirdische The Angel of Darkness wurde von den Kritikern zerrissen – die Serie wechselte vom britischen Entwickler Core Design zum US-Studio Crystal Dynamics.
Die Marke steckte erkennbar in der Sackgasse: Die Welt um Lara hatte sich verändert – was sich nicht weiterentwickelt hatte (in jedem Fall: nicht genug), waren Positionierung und Spielmechanik. Es fehlte an frischen Impulsen.
Erst mit Tomb Raider: Legend, Tomb Raider: Anniversary und Tomb Raider: Underworld ging es ab 2006 wieder langsam aufwärts. Lara Croft gab sich düsterer, verletzlicher, emotionaler, härter, weniger platt. Also eine ähnliche Entwicklung, wie sie auch 007 durchgemacht hat. Die Daniel-Craig-Bonds sind der komplette Gegenentwurf zu den Pierce-Brosnan-Klamotten der 90er.
Spätestens mit Tomb Raider (2013), Rise of the Tomb Raider (2015) und Shadow of the Tomb Raider (2018) kehrte die Serie auf den Pfad der Tugend zurück, auch kommerziell – wenngleich die Plan-Zahlen auch in diesem Stadium höher lagen als die Ist-Zahlen, wie Square-Enix-Präsident Matsuda beklagte.
In dieser Woche hat Square Enix Lara Croft nun ganz offiziell auf- und abgegeben: Der japanische Videospielkonzern hat die Marke samt Studio und laufender Spiele-Entwicklung an die schwedische Embracer Group verkauft – zusammen mit 50 weiteren Spielemarken und zwei Niederlassungen in Kanada.
Kaufpreis: fast schon symbolische 300 Mio. $. Man hatte nicht den Eindruck, als ob die Trennung schweren Herzens erfolgt. Es wirkte eher, als habe man sich von einem Klotz am Bein befreit.
Embracer-Gründer Wingefors – mittlerweile Chef von Europas größtem Spielehersteller – pflegt indes eine schlecht getarnte Sammelleidenschaft für in die Jahre gekommene Lizenzen, die sich zur Aufmöblierung eignen. Genau das wird jetzt passieren müssen: Denn analog zu anderen Traditionsmarken – von 007 über Star Wars und LEGO bis hin zu Udo Lindenberg und den Stones – steht auch Tomb Raider vor der Herausforderung, abseits des alternden Stammpublikums immer wieder neue Zielgruppen zu erschließen.
Bedeutet: stete Verjüngung und Neuerfindung – bei konstant steigendem ‚production value‘.
Diese Rosskur wird weder einfach noch preiswert. Denn auch wenn Tomb Raider das Action-Adventure-Genre mindestens mitbegründet und geprägt hat, so sind die Ansprüche an Kraxel-Knobel-Baller-Hüpf-Games in den letzten Jahren auf ein brutales Niveau gestiegen – allein, was den Umfang und die Technik anbelangt. Franchises wie Assassin’s Creed, Uncharted, Spider-Man und Horizon setzen die Benchmarks.
Dies stützt auch meine – wenngleich nur unzureichend durch Belege gedeckte – These, warum ausgerechnet die Embracer Group zu einem Preis der Nächstenliebe zum Zuge kam. Und nicht etwa Sony Interactive, wo man zwar genauso wie Microsoft großen Appetit auf Markenrechte und Kapazitäten hat, aber eher an Square-Enix-Kronjuwelen wie Final Fantasy interessiert sein dürfte – und weniger an vollausgebauten Publisher-Strukturen.
Zumal: Mit Naughty Dog, Santa Monica Studio, Insomniac Games und Guerilla Games betreibt Sony PlayStation schon jetzt mindestens vier Weltklasse-Studios, die das Tomb Raider-Prinzip auf jeweils sehr eigene Weise interpretiert und perfektioniert haben. Tut ein fünftes Studio Not, das im selben Genre wildert? Geht so.
Bei Embracer ist Lara hingegen der Star im Sortiment und demzufolge gut aufgehoben. Man kann den Crystal Dynamics-Entwicklern nur wünschen, dass das Next-Generation-Tomb Raider die nötige Reifezeit bekommt. Der bereits zuvor eingeleitete Wechsel von der Engine Marke Eigenbau hin zur Unreal Engine 5 klingt schon mal nach einer richtig guten Idee.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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