Die Games-Branche diskutiert über die Arbeitszeiten bei Rockstar Games – nicht zum ersten Mal. Zurecht?

Fröhlich am Freitag 43/2018: Die wöchentliche Kolumne aus der Chefredaktion

Verehrte GamesWirtschaft-Leser,

die Entwickler des in Kürze erscheinenden Wildwest-Abenteuers „Red Dead Redemption 2“ erleben derzeit das, was man in der Krisen-PR gemeinhin als Shitstorm etikettiert. Auslöser war das Bekenntnis von Studio-Chef Dan Houser, dass Rockstar-Games-Mitarbeiter mehrere 100-Stunden-Arbeitswochen durchlebt hätten. Der zuständige Fachbegriff lautet „Crunch“: Je näher es auf den Verkaufsstart zugeht (in diesem Fall der 26. Oktober), desto exponentieller steigen Koffein-Pegel, Arbeitsstunden und Nachtschichten.

Egal ob Angestellter, Freiberufler, Unternehmer oder Student – wohl jeder kennt das Phänomen, dass der Kesseldruck während eines Projekts stetig zunimmt. In der Videospiel-Industrie traf die Meldung einen wunden Punkt, denn die Twitter-Lehrmeinung kennt nur zwei Aggregatzustände.

Lehrmeinung 1: Nur durch Hin- und Selbstaufgabe ist Exzellenz überhaupt möglich. Die wirklich Kreativen gucken nicht auf die Stechuhr – ihr Antrieb ist es, ein möglichst brillantes Produkt abzuliefern. Wer Jahre seines Lebens in ein Videospiel hat einfließen lassen, wird es nicht an einzelnen Wochenenden scheitern lassen.

Lehrmeinung 2: Crunch ist grundsätzlich überflüssig und ein Ausweis von Fehlplanung, Ignoranz und Inkompetenz – wer seriös kalkuliert, wird seine Mitarbeiter nicht um Mitternacht im Büro antreffen. Schlimmer: Crunch gefährdet die Gesundheit der Belegschaft.

Kaum war Housers Interview-Zitat auf dem Markt, folgte die komplette Bandbreite der medialen Empörung, vom erhobenen Zeigefinger bis zum Boykott-Aufruf. Die Unternehmens-PR hatte alle Mühe, die davongaloppierende Debatte wieder halbwegs einzufangen. Zunächst hieß es, dass selbstverständlich niemand zur Mehrarbeit genötigt werde und dass die ominösen 100-Stunden-Phasen ohnehin nur einige wenige Personen des engsten Führungszirkels beträfen – keinesfalls aber die Heerscharen an Programmierern, Grafikern, Spieldesignern. Inzwischen haben Rockstar-Beschäftigte sogar die offizielle Erlaubnis, ihr Arbeitspensum gegenüber Medien und in sozialen Netzwerken offenzulegen. Erwartbarer Tenor: alles bestens.

Die Diskussion wird noch eine Weile anhalten. Aus meiner Sicht gibt es bislang nur zwei Gewissheiten:

Erstens, dass man dem finalen Produkt die Extrameile in jeder Pore anmerken wird.

Und zweitens, dass die neuerliche Debatte zwar phasenweise hysterisch, lästig und unfair erscheinen mag – sie aber wichtig und richtig ist. Von Zeit zu Zeit muss jede Branche die Fragen ihrer sozialen Verantwortung neu kalibrieren.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


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