Ist es eigentlich gut, dass der Computerspiele-Markt von wenigen relevanten Playern dominiert wird? Die Kolumne zu Kevin Kühnerts kontroverser Kapitalismus-Kritik.
Fröhlich am Freitag 18/2019: Die wöchentliche Kolumne aus der Chefredaktion
Verehrte GamesWirtschaft-Leser,
da hat Kevin Kühnert ja mal eine hübsche Debatte angezettelt: In einem ZEIT-Interview (hinter Paywall – Zusammenfassung hier) hat der Jusos-Chef einfach mal laut nachgedacht – und damit zuverlässig die Befindlichkeiten innerhalb und außerhalb der eigenen Partei getriggert. Zu Kühnerts Konzepten gehört die Abschaffung privater Wohnungsvermietungen und die „Kollektivierung“ von Konzernen.
Die heftigen, teils aggressiven Reaktionen zeigen vor allem eines: Der junge Genosse hat einen Nerv getroffen, jetzt, da im Lichte explodierender Mieten ziemlich konkret über Enteignungen von Immobilien-Konzernen diskutiert wird, nicht nur in Berlin.
Dach überm Kopf, Euro-Krise, Klimawandel, Job, Gesundheit, Rente: Sobald es um existenzielle Fragen geht, zeigen sich immer auch relativ zügig die Abgründe und Schwachstellen unseres Finanz- und Wirtschafts-Systems. Schon vor 14 Jahren prägte der damalige SPD-Chef Franz Müntefering das Bild von Heuschrecken, die in erster Linie an möglichst hoher Rendite, Marktanteilen, Synergien, Vertriebsrechten und „Assets“ interessiert sind – aber erstaunlich selten an Arbeitsplätzen und einer langfristigen Entwicklung eines Standorts.
Gerne würde man glauben wollen, die Games-Branche bilde hier eine Ausnahme. Schließlich reden wir von einem Gewerbe der Kreativität, Fantasie und Leidenschaft, von „Community“, Pop- und Hochkultur.
Kurzer Reality-Check: 80 Prozent des globalen Spiele-Umsatzes werden von gerade einmal 25 Aktiengesellschaften erwirtschaftet, allen voran Tencent. Diese 25 Firmen entscheiden darüber, was entwickelt und gespielt wird: Plattformen, Geschäftsmodelle, Genres, Budgets. Weite Teile der großen AGs – egal ob Activision Blizzard, Electronic Arts, Take-Two oder Ubisoft – befinden sich in Händen von Vermögensverwaltern, Investment- und Pensions-Fonds, Großbanken. Gleiches gilt für Google, Apple, Microsoft, Amazon und Facebook, also die Architekten des Spiele-Ökosystems – vom Mobile-Betriebssystem über die Cloud-Infrastruktur bis hin zu den Livestreaming-Portalen.
Der Kapitalmarkt hat die Videospiel-Industrie fest im Griff, auch in Deutschland: Die Muttergesellschaften von InnoGames, Ubisoft Blue Byte, Daedalic, Wooga, Deep Silver oder der ESL sind in erster Linie den Aktionären und Investoren verpflichtet.
Parallel schrumpft die Zahl der verbliebenen unabhängigen Mittelständler von Quartal zu Quartal, ebenso wie der ohnehin überschaubare Einfluss der Konsumenten. Da werden Vertriebs-Plattformen ausgetauscht, Spiele eingestellt, Studios geschlossen und gesundheitsgefährdende Schluss-Sprints (der berüchtigte „Crunch“) eingelegt, ohne dass dies der Verbraucher beeinflussen oder verhindern könnte – oder ernsthaft wollte. Oft genug trägt der dazugehörige Shitstorm maximal einen Tag, bevor die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird (neudeutsch: trendet).
Kapitalismus in der Games-Branche heißt in der Praxis: Es ist problemlos möglich, 1,6 Milliarden Euro Profit einzufahren, die Dividendenzahlungen hochzujazzen und sich selbst für das 25jährige Jubiläum einer Spielemarke zu feiern – und gleichzeitig Hunderte Mitarbeiter zu entlassen, die dem Unternehmen teils seit 15 Jahren die Treue halten.
Man muss nicht zwangsläufig Kühnerts real existierende Sozialismus-Visionen teilen, um hier eine Unwucht zu erkennen, die à la longue nicht gut ist – nicht für die Branche, nicht für die Belegschaften und nicht für das Publikum.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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