Start Wirtschaft Debatte um Vergütung für USK-Sichter: Die 100 €-Frage

Debatte um Vergütung für USK-Sichter: Die 100 €-Frage

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Die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) hat ihren Sitz in der Berliner Torstraße (Foto: GamesWirtschaft)
Die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) hat ihren Sitz in der Berliner Torstraße (Foto: GamesWirtschaft)

„Freche Stellenausschreibung“ oder Traumjob? Wie die USK die ‚Aufwandsentschädigung‘ für die Sichtung von Computerspiele-Neuheiten erklärt.

„Spielesichter*innen (m/w/d) gesucht“ – so ist das Job-Inserat überschrieben, mit der die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) noch bis zum 30. September 2022 nach „engagierten Spieler*innen“ fahndet.

Die Aufgabe dieser „Sichtis“, wie sie sich selbst nennen: die umfassende Sichtung von Spiele-Neuheiten, das Verfassen eines schriftlichen Testberichts mit inhaltlichen Aspekten und jugendschutzrelevanten Faktoren sowie eine Präsentation des Spiels vor dem Prüfgremium, das letzten Endes über die USK-Altersfreigabe entscheidet.

Fehlt das USK-Siegel, kann es passieren, dass Online-Stores, Versender und stationärer Handel die Listung des Produkts verweigern. Auch sämtliche in der Entertainment Area präsentierten Gamescom-Demos und -Trailer müssen das USK-Verfahren durchlaufen. Für Vertrieb und Vermarktung macht es zudem einen Unterschied, ob ein Titel ab 16 oder 18 Jahren freigegeben ist.

Also eine durchaus anspruchsvolle Tätigkeit mit großer Verantwortung, die neben „sehr guten Deutsch- und Englischkenntnissen“ auch eine „hohe Zuverlässigkeit und absolute Verschwiegenheit“ voraussetzt. Schließlich gehören die USK-Sichter zu jenem exklusiven Personenkreis, der brandneue Games und selbst frische Konsolen wie PlayStation 5 und Xbox Series X zwangsläufig sehr frühzeitig zu Gesicht bekommt – meist viele Monate vor dem eigentlichen Verkaufsstart.

Infolge dieser hohen Geheimhaltungsstufe ist der Einsatzort auch auf die USK-Zentrale in der Berliner Torstraße unweit des Alexanderplatzes beschränkt. Der Zeitaufwand pro Titel wird mit 2 bis 20 Stunden beziffert.

Zusätzlich zu „spannenden Einblicken in das Verfahren zur gesetzlichen Altersfreigabe von Spielen“ wird eine „angemessene Aufwandsentschädigung“ geboten.

Deren Höhe? 100 €.

Das hat eine Nachfrage des Journalisten und Podcasters Dominik Schott ergeben – der das Thema im Anschluss in Tweets und in einer Netzpolitik.org-Kolumne („’Spaß bei der Arbeit‘ zahlt keine Miete“) verarbeitet hat.

Schotts Enthüllung hat Empörung und Kritik in Kommentaren und sozialen Medien ausgelöst. Tenor: Wie könne es sein, dass sich für die seriöse Aufbereitung eines The Last of Us 2, Cyberpunk 2077 oder Assassin’s Creed Valhalla mit ihren 30, 50, 80 Stunden Netto-Spielzeit noch nicht einmal ansatzweise der Mindestlohn von demnächst 12 € erzielen lässt? Zumal die USK selbst – eine Selbstkontrolle-Einrichtung der Spiele-Industrie, die vom Branchenverband Game getragen wird – den Antragstellern bis zu 3.000 € pro Prüfvorgang in Rechnung stellt?

Schott sieht den Vorgang gar als Symptom eines grundsätzlichen Problems der Games-Branche, die auf „Spaß als Bezahlung“ und unvergütete Überstunden setzt.

Und was sagt die USK selbst? Auf GamesWirtschaft-Nachfrage hat sich Geschäftsführerin Elisabeth Secker ausführlich zu den erhobenen Vorwürfen geäußert.

Elisabeth Secker ist seit Januar 2018 die Geschäftsführerin der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) - Foto: HelenNicolai-BusinessPortraits.de
Elisabeth Secker ist seit Januar 2018 die Geschäftsführerin der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) – Foto: HelenNicolai-BusinessPortraits.de

Zunächst: Der genannte Betrag von rund 100 € pro gesichtetem Titel ist im Grundsatz zutreffend. Die Aufwandsentschädigung setzt sich zusammen aus Pauschalen für die Sichtung und die Präsentation im Gremium, das aus einem Ständigen Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden und vier von insgesamt 50 ehrenamtlichen Jugendschutzsachverständigen besteht, die wiederum für Behörden, in kirchlichen Einrichtungen, in der Kinder- und Jugendhilfe oder als Medienpädagoge tätig sind.

Secker tritt allerdings der Auffassung entgegen, dass an die Tätigkeit die gängigen Maßstäbe einer Teil- oder Vollzeitstelle angelegt werden können: „Die Sichterinnen und Sichter sind ehrenamtlich tätig, entsprechend existiert auch kein ‚Stundenlohn‘ wie in Angestelltenverhältnissen, sondern eine Aufwandsentschädigung im Rahmen einer ehrenamtlichen Tätigkeit.“

Die Nennung des Zeitaufwands in der Stellenausschreibung sei zudem sehr pauschal, da die Spieletitel extrem variieren würden. „Um zu signalisieren, dass die Spannbreite groß ist, haben wir das in dem Gesuch aufgenommen – scheinbar aber nicht verständlich genug, wie sich gezeigt hat“, räumt Secker ein.

So gebe es Titel, die in einer halben Stunde spielbar sind, andere in vier, manche in zehn Stunden – dazu zählen zum Beispiel auch Wimmelspiele oder Spiele-Demos. Die Spieletitel würden von der USK technisch aufbereitet und die Sichtis mit allen Materialien versorgt – etwa Gamedesign-Dokumente, Ingame-Footage, optionale Schlusssequenzen und auch sogenannte ‚DevMenüs‘, mit denen sich zum Beispiel Kapitel anspringen lassen. Dies würde die Spielzeit bei aufwändigen Titeln enorm verkürzen, ohne dass jugendschutzrelevantes Gameplay übersehen werde.

Sehr grundsätzlich seien große, umfangreiche Blockbuster eher die Ausnahme vor dem Hintergrund von fast 1.800 Prüfvorgängen, die 2021 durchgeführt wurden. Die USK würde darauf achten, dass sich die Titelsichtungen mit den Haupttätigkeiten der Sichter und Sichterinnen vereinbaren lassen – die außerdem frei entscheiden können, ob sie einen Titel übernehmen oder aus zeitlichen Gründen ablehnen.

Debatte um Vergütung für USK-Sichter: Die 100 €-Frage

Die USK-Geschäftsführerin betont, dass durch die Sichtung nicht der eigentliche Altersfreigabe-Prozess beeinflusst wird: „Die Sichterinnen und Sichter beurteilen nicht. Ganz im Gegenteil. Ihre Aufgabe ist es, ein Spiel ohne Wertung dem Gremium zu präsentieren, damit die unabhängigen Jugendschutzsachverständigen den Ständigen Vertretern eine Altersfreigabe empfehlen können.“

Aber warum existiert diese eigenwillige Konstruktion auf Basis von Ehrenamtlichen überhaupt? Das Prinzip der freiwilligen Selbstkontrolle, die es zum Beispiel via FSK auch im Filmbereich gibt, fußt auf einer „gemeinwohlorientierten Aufgabe zur Erfüllung des gesetzlichen Jugendmedienschutzes“. Damit einher geht die Vorgabe, dass die Verfahrensbeteiligten unabhängig und nicht weisungsgebunden sind, auch nicht vonseiten der USK-Geschäftsführung oder der Industrie.

Allerdings: Zumindest indirekten Einfluss gibt es sehr wohl. Denn alle ehrenamtlichen Mitarbeiter – also Jugendschutzsachverständige und ‚Sichtis‘ – werden von einem zwölfköpfigen USK-Beirat ernannt und eingesetzt. Diesem Beirat gehören derzeit neben dem Vorsitzenden Wolfgang Hußmann (Deutsche Bischofskonferenz) auch Branchenverbands-Geschäftsführer Felix Falk, Astragon-Chefin Julia Pfiffer und Webedia-Manager Philipp Senkbeil an.

Ungeachtet der aufgeflammten Kritik an der Vergütung: Die Jobs als USK-‚Sichti‘ waren und sind durchaus begehrt – gerade unter Studenten, die sich ihre Zeit weitgehend frei einteilen können oder müssen. Secker: „Dass die Sichterinnen und Sichter diese Tätigkeit gerne machen und der USK sehr gewogen sind, zeigt sich in ihrer Treue. Manche Sichterinnen und Sichter bleiben der USK auch über mehrere Jahre erhalten, andere ziehen weiter, geben uns aber immer wieder zurück, dass sie aus dieser Aufgabe viel für ihr Leben mitgenommen haben.“

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