Start Politik Neues Jugendschutzgesetz: Verband fürchtet ‚Kompetenz-Chaos‘

Neues Jugendschutzgesetz: Verband fürchtet ‚Kompetenz-Chaos‘

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Als Hauptrednerin beim Game-Sommerfest 2019 (hier mit Game-Vorstand Ralf Wirsing und Geschäftsführer Felix Falk) kündigte Franziska Giffey (SPD) die Eckpunkte für ein neues Jugendmedienschutzgesetz an (Foto: Game / James Coldrey)
Als Hauptrednerin beim Game-Sommerfest 2019 (hier mit Game-Vorstand Ralf Wirsing und Geschäftsführer Felix Falk) kündigte Franziska Giffey (SPD) die Eckpunkte für ein neues Jugendmedienschutzgesetz an (Foto: Game / James Coldrey)

In wenigen Wochen tritt das neue Jugendschutzgesetz in Kraft: Der Game-Verband kritisiert den deutschen Sonderweg und warnt vor Kompetenz-Chaos.

Kinder und Jugendliche bei ihren Ausflügen im Netz besser zu schützen – das ist das Ziel der Reform des Jugendschutzgesetzes. Neben Belästigung, Beleidigung und sexueller Anmache (Cyber-Grooming) stehen insbesondere ‚Kostenfallen‘ im Fokus: Künftig soll es einheitliche Alterseinstufungen für Games geben – Glücksspiel-ähnliche Elemente oder Kontakt-Funktionen müssen mit Hilfe von Symbolen oder Beschreibungen (Deskriptoren) transparent gemacht werden.

Nach jahrelangem Vorlauf hat das Paket sowohl den Bundestag als auch den Bundesrat passiert: Am 1. Mai tritt das Gesetz voraussichtlich in Kraft. Anschließend soll eine erweiterte Bundeszentrale für Jugend- und Medienschutz (bislang: BPjM) über die Einhaltung der Vorgaben wachen.

Familienministerin Franziska Giffey (SPD) ist hochzufrieden und spricht von einem „Riesen-Fortschritt für den Kinder- und Jugendschutz in Deutschland“. Ihr Befund: „Was lange währt, wird endlich gut.“

Alles andere als zufrieden sind die betroffenen Medien-Anbieter und deren Branchen-Verbände: Eine Allianz aus Bitkom, Filmwirtschaft und Game-Verband attestiert der Großen Koalition eine „verpasste Chance für einen modernen Jugendschutz“. Komplexität und Unsicherheit würden nicht reduziert, sondern vielmehr zunehmen. Insbesondere sorgen sich die Verbände um die Rolle der Selbstkontrollen, darunter die für Computerspiele zuständige Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK).

Neues Jugendschutzgesetz: „Der deutsche Sonderweg wird noch komplizierter als ohnehin schon.“

Doch zunächst bleibt festzustellen: Sobald das Gesetz von Bundespräsident Steinmeier signiert und im Bundesanzeiger veröffentlicht wurde, gelten die neuen Regeln. Wie Deutschlands Spiele-Industrie mit dieser Situation umgeht, erklärt Game-Geschäftsführer Felix Falk im Interview.

GamesWirtschaft: Der Verband hat im Vorfeld scharfe Kritik am Jugendschutzgesetz formuliert. Experten gehen jedoch davon aus, dass sich in der Praxis nicht allzu viel ändert. An welcher Stelle sieht der Game die gravierendsten Auswirkungen auf Games-Entwickler und -Anbieter in Deutschland?

Felix Falk, Geschäftsführer Game e. V.
Felix Falk, Geschäftsführer Game e. V.

Falk: Als Verband engagieren wir uns gemeinsam mit unseren Mitgliedern seit vielen Jahren für den Jugendschutz und haben mit Parental Controls, dem IARC-System oder Deskriptoren einige der besten Lösungen entwickelt.

Deshalb haben wir uns auch viele Jahre für ein modernes Gesetz eingesetzt, das tatsächlich in der digitalen Medienrealität ankommt und dafür den intensiven Dialog mit der Politik gesucht. Leider erreicht das neue Jugendschutzgesetz dieses Ziel, das auch im Koalitionsvertrag verankert wurde, nicht.

Stattdessen wird der deutsche Sonderweg noch komplizierter als ohnehin schon. Insbesondere bei den Vorsorgemaßnahmen gibt es viele Fragezeichen – und wie die Wirkung dieser Regelungen sein wird, hängt sehr davon ab, wie kompetent die neue Bundeszentrale agiert und wie gut sie sich in dem Kompetenzchaos mit den anderen Behörden oder den Freiwilligen Selbstkontrollen abstimmt.

Auch die neuen Vorschriften zu Alterskennzeichen und Deskriptoren haben Auswirkungen. Allerdings sind hier erst einmal die USK und die Obersten Landesjugendbehörden gefragt, die die Regelungen nun in die Praxis übersetzen müssen.

Übrigens: Experten, beispielsweise aus der Wissenschaft, gehen deshalb von geringen Auswirkungen des Gesetzes aus, weil insbesondere die Plattformen nicht in Deutschland sitzen und sich den nicht einmal mit anderen europäischen Ländern harmonisierten Regelungen sehr einfach entziehen können. Für Anbieter in Deutschland geht das nicht so einfach. Zum Glück haben wir als Games-Branche mit der USK eine überaus kompetente und erfahrene Selbstkontrolle, mit der Unternehmen bei allen Fragen des Jugendschutzes gute Lösungen finden können.

Im Ausland sind Piktogramme und Beschreibungen auf Verpackungen von Konsolenspielen seit Jahren gang und gäbe – Stichwort PEGI und ESRB. Warum hat sich die Branche als Träger der USK nicht proaktiv dafür eingesetzt, eine solche Transparenz in Deutschland herzustellen, ohne dass der Gesetzgeber aktiv werden musste?

Die USK ist maßgebliche Initiatorin von IARC, das über das modernste und am weitesten entwickelte Deskriptoren-System bei Alterskennzeichen verfügt. In diesem Rahmen sind Deskriptoren bei Online-Spielen also auch bei der USK schon viele Jahre gang und gäbe.

Leider waren solche modernen Systeme kaum anschlussfähig mit der Welt des gesetzlichen Jugendschutzes. Die bessere Medienkonvergenz war deshalb einer der Gründe, warum wir uns als Verband so stark für eine Novellierung eingesetzt haben. Wir hoffen, dass das Zusammenspiel mit dem neuen Gesetz zumindest beim Thema Deskriptoren nun besser möglich sein wird.

Der Gesetzgeber will Kinder und Jugendliche vor „Kostenfallen“ schützen, insbesondere Lootboxen. Ein Verbands-Positionspapier verweist darauf, dass diese Lootboxen explizit nicht mit Glücksspiel gleichzusetzen sind. Wenn es stimmt, dass Lootboxen für die „allermeisten Spieler kein entscheidendes Motivationselement seien, um ein Spiel weiterzuspielen“: Warum setzt die Industrie kein Zeichen und verzichtet auf das umstrittene Geschäftsmodell?

Jeder, der sich mit Games auskennt, weiß, dass es nicht die eine Lootbox gibt. Man muss aber differenzieren, denn der Begriff beschreibt eine Vielzahl von unterschiedlichen Angeboten in Spielen. Einige davon sind bereits seit zehn Jahren verfügbar, beliebt in der Community und sowohl aus rechtlicher als auch aus Jugendschutz-Sicht völlig unproblematisch.

Andere stoßen in Teilen der Community auf Kritik, bleiben aber formal trotzdem unproblematisch, so dass die Wahlfreiheit greift. Wenn Lootboxen allerdings die rechtlichen Grenzen des Erlaubten überschreiten, dann gibt es im Verbraucher- oder Jugendschutzrecht schon längst wirksame Regeln, die solche Angebote verbieten. Zum Beispiel wäre hier der Taschengeld-Paragraph zu nennen.