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Buhlen um Aufmerksamkeit, Klicks und Geldbeutel

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Robin Kocaurek ist Mitgründer von Klonk Games (Foto: Getty Images/Gisela Schober)
Robin Kocaurek ist Mitgründer von Klonk Games (Foto: Getty Images/Gisela Schober)

Am 22.2. erscheint der preisgekrönte Koop-Spaß „Shift Happens“ – und Robin Kocaurek vom Münchner Indie-Studio Klonk Games beschleicht ein flaues Gefühl.

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Sichtbarkeit, der stille Killer der Games-Industrie

[no_toc]Immer wieder kommen solche oder ähnliche Posts in meiner Timeline zum Vorschein. In der Vergangenheit habe ich mich gerne vom Doom & Gloom dieser Texte anstecken lassen, mir Sorgen gemacht, um dann mit einem mulmigen Gefühl ins Bett zu gehen. Denn auch ich arbeite in einer dieser – anscheinend – zum Untergang verurteilten Videospielentwicklungsfirmen.

Uns gibt es auch nur, weil wir nicht direkt vom Verkauf unserer Spiele abhängig sind und weil unsere Mitarbeiter viel in Kauf nehmen.

In meinen Augen gibt es kein berechenbares und sicheres Modell, in dem man finanziell erfolgreich eigene Spiele entwickeln kann. Period. Es gibt Ausreißer, es gibt Zwischenhändler und Dienstleister, die ein durchaus funktionierendes Geschäftsmodell haben, aber bei Entwicklern sieht es da düster aus.

Zwei Ursachen sind in meinen Augen verantwortlich für derartige Artikel und meine eigenen Panikzustände: Games/Franchises as a Service/Hobby und die Demokratisierung der Tools.

Beide Trends sind nicht neu und in den letzten Jahren nicht sprunghaft angestiegen, doch zu spüren bekommen wir sie alle.

Wenn Games zu Erlebniswelten werden

„Wenn wir uns nur die Steam Store Page teilen müssten, es nicht so viele andere Spiele gäbe und wenn wir nur genug Sichtbarkeit hätten, dann wäre alles so einfach. Oder?“

In Wahrheit teilen wir uns die Freizeit der Spieler und damit verbunden die Aufmerksamkeit, Zeit und Geldbeutel. Die Zeiten, in denen Spiele eine lineare Erfahrung waren und mit dem Abspann endeten, sind vorbei. Schon lange. Ein „paar Runden” Counter-Strike gibt es so auch nicht mehr, früher war ohnehin alles besser bis auf die Grafik.

Die Branchenerfolge und Geldmaschinen der Spielebranche sind Titel, die ein Millionenpublikum mit einem Millionenbudget so lange wie nur möglich an sich binden. Heiko Klinge rief vor nicht all zu langer Zeit dazu auf, wieder mehr verschiedene Spiele zu spielen.

So ehrbar der Aufruf ist: Ich persönlich glaube, wir bewegen uns immer weiter von dem Bild der „Games“ als Hobby weg, hin zur Monokultur der Franchises. Spiele an sich werden ersetzt durch Franchises, ganze Produkt- und Entertainmentwelten, gestrickt um einen einzigen großen Titel.

Turniere, Berichterstattung, Merchandise und noch so viel mehr, alles für “ein” Spiel.

Das Team von Klonk Games beim Deutschen Computerspielpreis 2016 - hier mit Laudator Antoine Monot Jr (Foto: Getty Images/Gisela Schober)
Das Team von Klonk Games beim Deutschen Computerspielpreis 2016 – hier mit Laudator Antoine Monot Jr (Foto: Getty Images/Gisela Schober)

Kein Modelleisenbahner wechselt leichtfertig die Spurweite

Und praktischerweise sind diese Systeme für die Betreiber sehr erfolgreich. Denn je mehr Zeit und Geld ich investiere, desto wahrscheinlicher werde ich auch dabei bleiben. Ich baue mir etwas auf, natürlich wäre es töricht mir diesen aufgebauten Wert auf einmal liegen zu lassen. Kein Modelleisenbahner auf der Welt wechselt leichtfertig die Spurweite – diese fast schon religiöse Zugehörigkeit hat schließlich mehrere Monatsgehälter bzw. Taschengelder geschluckt.

Und psychologisch vermutlich noch wichtiger: das Investment an Zeit und Nerven, die in das Hobby geflossen sind.

Diese Entwicklung stimmt mich manchmal etwas traurig, bleibt doch vermeintlich die Vielfalt ein wenig auf der Strecke. Abseits dieser Titel beziehungsweise Spurweite werden die Leute bestimmt weiterhin ihre Ausflüge in die Nische feiern, aber letztendlich zeichnet sich doch eine sehr starke Bindung an einzelne Titel und Franchises ab.

„Spiel XY hätte mehr Sichtbarkeit gebraucht?“ – Blödsinn!

„Es gibt viel zu viele Spiele, unsere Kunden finden uns gar nicht!“

Die zweite große Entwicklung betrifft allerdings vor allem die “Indies”. Definitionslos hat sich diese Art von Spielen durch die immer höhere Zugänglichkeit der Entwicklungstools auf die Plattformen geschlichen. Ähnlich wie in der Musik und beim Film gibt es inzwischen keine unbesetzten Nischen mehr, keine Grenzen bei der Spezifizierung und Vielfalt des Angebots und einzelner Titel.

Oft lese ich, dass Titel XY mehr Sichtbarkeit gebraucht hätte. Halte ich für Blödsinn. Mehr Aufmerksamkeit bringt auch nur etwas, wenn Schwung da ist und ein vorhandenes Momentum unterstützt werden kann. Jeder ordentliche Frontpage-Alghorithmus macht genau eines: populäre Posts weiter nach oben schieben. Auf Reddit, auf Steam, auf Google.

Shift Happens: Flauer Magen vor dem Verkaufsstart

Wir werden in den nächsten Tagen unser Spiel „Shift Happens“ veröffentlichen. Ich kann mir bereits jetzt ausmalen, wer berichten wird und wer nicht. Mit einem flauen Magen prophezeie ich uns selbst auch nicht die besten Chancen.

Shift Happens ist ein toller Titel, macht aber keine Schlagzeilen. Es ist wie so viele andere im Mittelfeld unterwegs. Es ist unser erster Titel und ich denke nicht daran, das nicht zu feiern. Aber wir haben keine Revolution angepeilt, wir werden dementsprechend auch keine bekommen. Und daran würde ein Millionen-Marketing-Budget auch nichts ändern.

Was die Presse in diesen Zeiten angeht, bin ich ein wenig enttäuscht (wohlgemerkt bin ich mir nicht sicher, was man dagegen tun kann beziehungsweise wie die Games-Presse zu retten ist – die Parallelen zu den Entwicklern sehe ich sehr deutlich).

Es wird sich wohl feist konsolidiert und in Nischen zurückgezogen.

Enttäuscht bin ich ein wenig von der mangelnden Lust auf Neues und Seltsames. Beispiele wie Gaming-Podcasts und Sender wie Rocketbeans zeigen, dass man auch unabhängig mit eigener Vision in einem gewissen Rahmen erfolgreich agieren kann.

Games sind kein Hobby mehr – es sind einzelne Titel

Mein Eindruck ist, dass vor allem Trends und Charts verfolgt werden. Wenn ich mich im Kulturjournalismus abseits von Games umschaue, entdecke ich ein bisschen mehr Neugierde und Lokalverbundenheit. Ich vermisse das ein bisschen, kann auf der anderen Seiten auch nachvollziehen, dass das keine großen Klicks gibt.

„Games“ sind kein Hobby mehr, es sind jetzt einzelne Titel/Genres. Wer eine derartige Auswahl bei zugleich so wenig Freizeit hat, muss nicht mehr auf die großen Titel warten.

Es wird auch hier dauern, aber derzeit sehe ich auf den meisten großen deutschsprachigen Gaming-Portalen – ich verallgemeinere und generalisiere hier absichtlich – ein Problem: Clickbaits, Pressemeldungsverwurstung und Popularitätsjournalismus. Es wird berichtet, wenn es Klicks bringt. Wirklich neue Titel werden frühestens entdeckt, wenn sie in den Steam-Charts in den Top10 kleben.

Es sind in den Redaktionen vermutlich keine Kapazitäten da, um sich jede Neuerscheinung anzusehen und jeden Titel zu testen. Wirkliche Newcomer finden sich dann, wenn die amerikanische Presse berichtet hat. Oder NeoGAF-Threads, die mehr als 5k Views haben. Oder wenn ein Preis verliehen wurde.

Games-Journalismus braucht einen Umschwung

Newsworthyness und Klicks sind nach der Einschaltquote nur bedingt gute Messinstrumente für Qualität, das wissen die Redaktionen auch. Aber so wie bei uns, muss auch dort die Miete gezahlt werden.

Das soll keine Schuldzuweisung sein, aber ich fürchte, wir brauchen im Games-Journalismus einen Umschwung, der diese Entwicklungen stärker berücksichtigt. Selbst lese ich schon lange keine Artikel mehr, weil ich mich persönlich verändert habe. Früher waren mir Punktewertungen wichtig – jetzt bin ich froh um jeden Fetzen „New Games Journalism“ und persönliche Note des Autors, die ich in einem Artikel finden kann.

Podcasts sind hier meine große Ausnahme. Ich glaube, das Format kann die persönlichen Noten deutlich besser unterbringen als der aussterbende Print und die überspielte Youtube-Content-Maschinerie. Insert Moin, Auf ein Bier, Radio Nukular, Doomian, um nur einige meiner persönlichen Favoriten zu nennen.

Um die Musik-Analogie mal wieder zu Rate zu ziehen: Nur weil ich gerne Musik höre, wird sich das vermutlich nicht auf alle Genres und Neuerscheinungen beziehen. Klar gibt es jeden Tag neue Pop Musik und einmal die Woche Andalusian Grindcore, aber als Free Jazz-Hörer interessiert mich das nicht.

Kleine Schätze und Newcomer allüberall

Wie schon oft gehört und vielfach selbst behauptet: Spiele wird es immer geben, genau wie Film und Musik. Derzeit ist die Popmusik eben ein bisschen durch und weint über ihre schlechten Absatzzahlen, weil die wenigen großen Platzhirsche die Zeit und das persönliche Investment der Kunden für sich gepachtet haben.

Aber gleichzeitig wachsen Nischen und Genres mit neuen Titeln. Ein steter Fluss immer neuer Kreativer produziert in ihren Kämmerchen für die Nischen und überall gibt es kleine Schätze und Newcomer zu entdecken.

Wer das Thema Games wirtschaftlich erfolgreich angehen will, sollte sich einen Job weiter oben in der Nahrungskette suchen, bei den Gatekeepern und Dienstleistern, nicht unten bei den Entwicklern. Denn da ist Darwin und seine Auslese noch sehr präsent.

Wer einen aufregenden und abwechslungsreichen Job will, sollte sich von der finanziellen Unsicherheit nicht scheuen lassen. Letztendlich wird unabhängige Spieleentwicklung finanziell nie eine wirklich clevere Entscheidung sein; sie ist deswegen aber nicht minder interessant und unterhaltsam.

Ausgezeichnet mit dem Deutschen Computerspielpreis und ab 22.2. erhältlich: Shift Happens
Ausgezeichnet mit dem Deutschen Computerspielpreis und ab 22.2. erhältlich: Shift Happens

Mutig sein oder Recht haben? Beides zusammen klappt nur selten.

Meine Lieblingsbeispiele für ein funktionierendes kreatives Gewerbe ist die Bild-und Tonfabrik in Köln, Rocket Beans mit ihrem Sender (quasi die Definition von Indie, wie Etienne beschreibt) und MaschinenMensch aus Berlin.

Alles kreative Unternehmen, die mit Mut und Qualität einen Namen für sich machen konnten und das vermutlich noch lange machen werden.

Ein Wort zum Ende: Im Nachhinein ist alles immer sehr einfach und so offensichtlich. Jeder Zweite hat’s gewusst und hätte es besser gemacht. Aber getraut hat sich dann doch nur ein Bruchteil. Und in diesem Sinne ist dieser Artikel auch zu interpretieren.

Jeder kann sich aussuchen, ob er mutig sein will oder ob er immer Recht haben möchte. Beides geht nur im Ausnahmefall.

GamesWirtschaft-Kolumnen spiegeln stets die Meinungen und Einschätzungen der Autoren wider und entsprechen nicht zwingend der Meinung der Redaktion.

Über den Autor:

Robin Kocaurek ist „selbsternannter Business Nerd“, Gründer und Gesellschafter des Münchner Studios Klonk Games. Das zehnköpfige Team wurde für das Puzzle-Geschicklichkeitsspiel „Shift Happens“ mit etlichen Preisen ausgezeichnet, allen voran der Deutsche Computerspielpreis 2016 für das „Beste Gamedesign“ und das „Beste Kinderspiel“. Die Entwicklung des Spiels wurde vom FilmFernsehFonds Bayern mitfinanziert.

Shift Happens erscheint am 22. Februar 2017 für PC, Xbox One und PlayStation 4. Auf Steam wird eine kostenlose Demo zum Download angeboten.

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