Start Meinung Fröhlich am Freitag 30/2020: Nicht überrascht

Fröhlich am Freitag 30/2020: Nicht überrascht

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Weiterhin fester Bestandteil von Spielemessen wie der Gamescom:
Weiterhin fester Bestandteil von Spielemessen wie der Gamescom: "Booth Babes" - häufig ohne inhaltlichen Zusammenhang mit dem beworbenen Spiel

Wie systemisch ist der Umgang mit Mitarbeitern, der bei Games-Herstellern wie Ubisoft an die Oberfläche dringt? Ein Blick in die Historie hilft bei der Einordnung.

Verehrte GamesWirtschaft-Leser,

in den vergangenen Wochen habe ich mich mehr als einmal gefragt, warum es mir gelegentlich schwer fällt, mich über Berichte von Belästigung, Sexismus und spätrömischer Dekadenz in der Games-Industrie angemessen zu empören. Wo doch die (F)Aktenlage keine Zweifel lässt, dass verhaltensauffällige Führungskräfte bis hinein in höchste Ebenen mindestens geduldet, wenn nicht aktiv ge- und befördert wurden – und Ubisoft ist hier bestenfalls die Spitze des Eisberges.

Meine vorläufige Erklärung lautet, dass mich die immer neuen Enthüllungen schlichtweg nicht überraschen. Schließlich bin ich in den 90er und 2000er-Jahren in einem Branchen-Umfeld beruflich sozialisiert worden, das mit „rustikal“ nur unzureichend beschrieben ist.

Vieles, was heute als unschicklich, unmoralisch oder gar illegal gilt, war über Jahrzehnte marktüblich – etwa der „Crunch“, bei dem Entwickler wochen-, teils monatelang in der Firma vegetieren, um ein Spieleprojekt zu einem halbwegs seriösen Abschluss zu bringen. „Crunch“ war kein Makel, sondern Prädikat.

Es erscheint im Rückblick geradezu zwangsläufig, dass auf solchem Humus schwindlige Zockerbuden mit fragwürdigem Geschäftsmodell und noch fragwürdigeren (weil nicht existenten) Umsätzen überhaupt entstehen konnten.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Wo heute Controlling und Compliance jedem Cappuccino hinterher fahnden, gehörte es lange Zeit zum Marketing- und Business-Plan, dass Entwickler, PR- und Marketing-Personal und Redaktionen „auf einen Absacker“ in gutsortierten Bars verkehrten. Historische Kreditkarten-Abrechnungen lassen über das bemerkenswerte Verhältnis zwischen Teilnehmerzahl und Hochprozentigem staunen. Die zuständige Buchhalter-Chiffre lautet „T&E“ – Travel and Entertainment.

In jener Epoche hat sich auch jenes Frauenbild zementiert, das bis heute die Film- und TV-Industrie regelmäßig einholt. Das Videospiel-Gewerbe hat besonders wenig anbrennen lassen. Vergleichsweise harmloses Beispiel: Bei der Premiere des Deutschen Entwicklerpreises 2004 hielt man es für eine pfiffige Idee, dass zu später Stunde spärlich bekleidete Damen dazustoßen, die Wodka über ihre Schenkel auf Eiswürfel rinnen lassen.

Nach wie vor gehören „Booth Babes“ zur Serienausstattung von Messen – also angemietete Stand-Deko, vorgeblich „normale Studentinnen“ aus dem Großraum LA oder Köln. Die hiesige Fachpresse kommt selbstverständlich ihrer Chronisten-Pflicht nach und urteilt entzückt: „Auf der Gamescom gibt es coole Games und heiße Schnittchen.“

Und es ist aus heutiger Sicht kein Zufall, dass ausgerechnet Ubisoft zur Promotion von „Playboy: The Mansion“ anno 2004 das Hugh-Hefner-Anwesen in Los Angeles anmietete – An- und Abreise erfolgten in der Stretch-Limo. Im Netz finden sich immer noch Aufnahmen honoriger Journalisten, deren Köpfe zwischen handbemalten XXL-Brüsten hindurchlugen. Zum Verkaufsstart tourte das „Playmate des Jahres“ durch Deutschlands Saturn- und Karstadt-Häuser.

All diese Geschichten lassen sich deshalb leichten Herzens erzählen, weil die Ereignisse überwiegend verjährt sind. Bilder und Videos wirken nicht nur wie aus einer anderen Zeit, sie sind es auch – wie Filme aus den 60ern und 70ern, in denen Protagonisten helm- und gurtlos über den Highway brettern oder sich zur Begrüßung erst einmal eine Kippe anstecken.

Die Vorgänge erklären aber, warum Sexismus und Chauvinismus zur Branchen-DNA gehör(t)en – und vielleicht auch, warum es nach wie vor so wenige Managerinnen, Entwicklerinnen und Gründerinnen in der Games-Industrie gibt.

Natürlich haben sich die Zeiten geändert – Belegschaft, Kunden und Geschäftspartner erwarten von Unternehmen und Arbeitgebern ein robustes Werte-Koordinatensystem, das Hatespeech, Homophobie, Rassismus, Diskriminierung, Antisemitismus und Mobbing zwar nie verhindern wird, aber zumindest glaubhaft sanktioniert. Im Umgang mit Mitarbeitern, in Produkten, in der Werbung.

Ein Blick in Foren und Social Media lässt vermuten: Bei Teilen des Publikums gibt es in dieser Frage offenbar noch eine längere Meile zurückzulegen.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


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