Start Meinung Taormina (Fröhlich am Freitag)

Taormina (Fröhlich am Freitag)

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Taormina - Schauplatz der zweiten Staffel von The White Lotus (Foto: Petra Fröhlich)
Taormina - Schauplatz der zweiten Staffel von The White Lotus (Foto: Petra Fröhlich)

Keine Film-Förderung – kein White Lotus. Keine Games-Förderung – kein Assassin’s Creed. Diesen Zusammenhang versteht man offenbar auch in der Bundesregierung.

Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

entlang unseres Sizilien-Urlaubs im vergangenen Herbst lag ein kleiner Ort buchstäblich auf dem Weg: Taormina – ganz im Osten der Insel, auf halber Strecke zwischen Messina und der Küste von Catania.

Wer nicht um die Schönheit dieses Fleckchens Erde weiß, könnte die dazugehörige Autobahn-Ausfahrt glatt verpassen. Was ein Jammer wäre, denn die Reiseführer sind sich einig: Taormina zählt zu den Must-See-Top-10.

Schon der Rückstau an der Maut-Station und die Parkplatz-Suche gaben einen Vorgeschmack auf das touristische Nahtod-Erlebnis – und das in der Nebensaison: Denn das auf einem Hügel gelegene 10.000-Einwohner-Nest platzte aus allen Nähten. Ganze Bus-Ladungen wälzten sich durch die engen Gassen, gesäumt von Souvenir-Läden und Pizzerien.

Highlight: das Teatro Antico di Taormina. Von den antiken Tribünen hat man einen wirklich spektakulären Blick auf eine italienische Bilderbuch-Landschaft mit Pinien, Palmen, Oliven- und Zitronenbäumen und einem Mix aus alten Gemäuern und mondänen Villen, die an schroffen Felsen über türkis-blauem Meer getackert wurden. Und als Kirsche auf der Kitsch-Torte: der gemütlich vor sich hin dampfende Ätna als eine Art Freiluft-Kulisse.

Alles ziemlich surreal, aber in Summe natürlich ein Traum.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Dass Taormina dermaßen stark frequentiert wird, hat noch einen anderen Grund – von dem wir allerdings erst im Nachgang erfuhren: The White Lotus. Die zweite Staffel der absurd erfolgreichen HBO-Hotel-Satire wurde hier gedreht (Trailer). Teil 1 spielte auf Maui – Teil 3 in Thailand.

Staffel 4 hätte in Österreich stattfinden können – und quasi per Autopilot dazu beigetragen, dass die zur Rede stehenden Schauplätze Salzburg und Wien auf dem Radar von US-Influencern und japanischen Reisegruppen auftauchen.

„Hätte“ deshalb, weil HBO eine Absage erteilt hat. Der Grund: die unkalkulierbaren „Incentives“ der Alpenrepublik.

HBO ist damit nicht alleine – auch andere Großprojekte kamen mangels Film-Förderung nicht zustande. Die Geschäftsführerin der Vienna Film Commission, die solche und andere Produktionen an Land ziehen soll, macht aus ihrem Frust keinen Hehl: Studios und Streaming-Dienste gehen nun mal dort hin, wo sie Planungssicherheit vorfinden. Das könne sie nachvollziehen, sagt Marijana Stoisits. Schließlich gehe es um dreistellige Millionenbeträge: „Da würde ich auch keine größeren finanziellen Risiken eingehen.“

Warner, Amazon, Apple, Disney, Netflix & Co. haben den Luxus, dass sie sich Drehorte aussuchen können. Kommunen reißen sich um solche Aufträge, weil sie um mögliche Hebeleffekte wissen: Jeder investierte Penny triggert weitere Ausgaben – durch noch mehr Investitionen, Sozialabgaben, Steuern, Gastronomie, Übernachtungen.

Frag nach in Sölden, wo Daniel Craig entlang von James Bond: Spectre im Schnee herumstapfte. Oder im Herr der Ringe-Mordor Neuseelands. Oder in Dubrovnik, dem stadtgewordenen King’s Landing aus Game of Thrones.

Nun sind Subventionen üblicherweise nicht übermäßig gut beleumundet, aber in diesem Fall ist sich die Fach- und Boulevard-Presse in ihrer Häme einig:

  • „Förder-Chaos: Wie Österreich The White Lotus vergrault hat“ (DWDL)
  • „Österreich versemmelt Chance mit großer US-Serie“ (Serienjunkies)
  • „Armes Wien: Jetzt will nicht mal mehr White Lotus dort drehen“ (WELT)

In der Videospiele-Industrie fällt der White-Lotus-Effekt etwas subtiler aus. Denn dem Gamer kann es ja zunächst mal wurscht sein, ob sein Lieblings-Spiel in Neuseeland, Kroatien oder Österreich gebaut wird. Und einem Spiele-Hersteller erst recht, solange es sich rechnet – und zwar nur, solange es sich rechnet.

Das Ding ist: Einmal installiert, darf der Subventions-Nachschub nie wieder stoppen. Das Getriebe ist darauf angewiesen, dass es bis zur Unendlichkeit und noch viel weiter mit Steuergeld geölt wird. Also ähnlich wie die Landwirtschaft, die sich in Flächen-Stilllegungs-Prämien und rabattiertem Agrardiesel eingemuckelt hat.

Besichtigen lässt sich dies derzeit in Kanada, das ja gerne als Kronzeuge für die Segnungen der Förderung herangezogen wird. Dass in Montreal und Toronto riesige Spielfabriken entstanden sind, liegt nicht allein am Savoir-Vivre, sondern daran, dass Québec und Ontario die Personalkosten von Ubisoft, Electronic Arts, Epic, Warner & Co. radikal subventioniert haben. Jetzt gerät das Geschäftsmodell ins Wanken, weil die Zuwendungen empfindlich eingekürzt wurden. Österreich ist überall.

Die Bundesregierung will indes (wieder) mehr Taormina wagen. Und zwar, indem sie Deutschlands Games-Entwickler mit 88 Mio. € im laufenden Jahr ausstattet – und mit jeweils 125 Mio. € in den Folgejahren.

Die Zahl deckt sich auf den Cent mit den Vorstellungen des zuständigen Lobbyverbands – der darin eine Art Übergangslösung auf dem Weg zu einem Steuer-Anreiz-Modell sieht. Perspektivisch reden wir von Zuschüssen im Volumen von einer halben Milliarde Euro seit 2019, allein vom Bund. Oder wie man beim Verband sagt: „Aufholjagd“.

Zur Wahrheit gehört: Noch ist Klingbeils Haushalts- und Eckpunkte-Plan ’nur‘ ein Plan, der die Beratungen in Ausschüssen und im Parlament überleben muss (der Plan, nicht Klingbeil).

Sollte die Games-Förderung wieder anlaufen, wäre das – natürlich – eine gute Nachricht. Nicht so gut ist, dass sich damit jene strukturellen Defizite fortsetzen, wie sie der Bundesrechnungshof im vergangenen Jahr einigermaßen humorlos aufgeschrieben hat: laxe Kriterien, mangelnde Transparenz, fehlende Erfolgskontrolle und das Risiko einer (Zitat) „Dauerförderung“.

Deshalb bräuchte es zeitnah eine möglichst unabhängige Wirtschaftlichkeitsprüfung, an welcher Stelle die Kohle wirklich wirkt – und wo nicht. Dass eine Zwischenbilanz nach den ersten 200 Mio. € ausbleibt, ist nach meinem Eindruck nur so zu erklären, dass der Rechnungshof womöglich doch ein bisschen Recht hat.

Dabei würden von einer höheren Passgenauigkeit alle profitieren. Weniger Mitnahme-Effekt – mehr Lotus-Effekt.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


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