Start Meinung Gamescom 2024: Willkommen im Phantasialand (Fröhlich am Samstag)

Gamescom 2024: Willkommen im Phantasialand (Fröhlich am Samstag)

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Der Gamescom-Stand von Kingdom Come: Deliverance 2 (Foto: GamesWirtschaft)
Der Gamescom-Stand von Kingdom Come: Deliverance 2 (Foto: GamesWirtschaft)

Business Class statt (Sperr-)Holzklasse: Viele Aussteller nehmen erkennbar Geld in die Hand, um den Besuchern der Gamescom 2024 eine gute Zeit zu bereiten.

Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

den Gamescom-Freitag nutze ich traditionell dazu, um neben einigen letzten Business-Area-Terminen auch noch durch alle Hallen zu mäandern und Endverbraucher-Atmosphäre … nun … zu schnuppern. Streng genommen könnte man Bühnen und Aufbauten auch komplett weglassen und einfach nur auf sich wirken lassen, was Günther Jauch mal so schön als „Gottes großer Zoo“ beschrieben hat. Immer, wenn man denkt, man hat schon alles gesehen, kommt jemand ums Eck, der sich zwei Yucca-Palmen an einen upgecycleten Fahrradhelm getackert hat.

Aber natürlich geht es auch und vor allem um Videospiele. Gleich eingangs der Halle 9 befindet sich der – aus meiner Sicht – schönste Auftritt in der Entertainment Area der Gamescom 2024. Publisher Plaion und Warhorse Studios haben anlässlich von Kingdom Come: Deliverance 2 (erscheint im Februar) eine wuselige Mittelalter-Welt inszeniert – inklusive bunt geschmückten Zelten, einem hämmernden Schmied, in Leder und Leinen gewandeten Dorfbewohnern, grimmig dreinblickenden Söldnern samt Helm und Hellebarde und einem Pranger, durch dessen Öffnungen sich im Minutentakt neue Köpfe und Hände schieben. Regelmäßig duellieren sich Rittersleute in einer kleinen Arena – schon von weitem ist das Schwertergeklirr zu vernehmen.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Der Wartebereich hinein zu den abgetrennten Anspielstationen der USK-18-Demo führt unmittelbar vorbei an diesem interaktiven Wimmelbild; es gibt also ständig was zu gucken – so, wie es führende Freizeitparks handhaben.

Und das Beste: Wer das Action-Rollenspiel ausprobiert hat, erhält am Ausgang als Dankeschön einen kleinen ledernen Beutel. Darin: fünf geprägte und damit sehr wertig und ‚echt‘ anmutende Münzen – die sich im Anschluss an den stand-eigenen Marktbuden gegen T-Shirts, Poster oder Schlüsselbänder eintauschen lassen. Wie man mir sagte, verzichten nicht wenige Besucher auf die Rückgabe des ‚Pfands‘ und behalten Beutel samt Münzen kurzerhand als Gamescom-Souvenir. Also die Methode „Oktoberfest-Bierkrug“. Weshalb bereits am Fachbesucher-Tag die Sorge bestand, die produzierten Taler könnten zeitnah zur Neige gehen.

Auf dem Gelände gibt es flächenmäßig ungleich größere Messestände als jenen von Plaion. Doch auch der Laie spürt: Hier ist ordentlich Production Value und besonders viel Liebe für Details verbaut, bis hin zu den ‚Hühnern‘ in Holzkäfigen. Man hätte die gleiche Zahl an Kunden-Kontakten sicher (viel) einfacher und damit (viel) billiger haben können. Aber der Hersteller hat sich dankenswerterweise für die Phantasialand-Variante entschieden.

Kingdom Come: Deliverance 2 ist nicht die einzige Top-Attraktion der Gamescom 2024: Zwei Hallen weiter hat die Microsoft-Sparte Blizzard Entertainment eine ganze Batterie an VR-‘Flugsimulatoren’ aufgebaut, die einen 4D-Drachenritt durch die Fantasy-Welt von World of WarCraft ermöglichen. 4D meint: Die Piloten sitzen breitbeinig auf dem ‚Rücken‘ des Drachens; der Sattel befindet sich auf einer hydraulischen Plattform, die in sechs Achsen rotiert. VR-Brille, Ventilator-Wind und unvermittelt abgefeuerte ‚Air Bombs‘ sorgen für glaubwürdiges Sturzflug-Feeling. Die Hightech-Fahrgeschäfte wurden eigens für die Gamescom zusammengeschweißt, buchstäblich. Die Warteschlangen sind entsprechend lang – die Gesichter am Ausgang deuten darauf hin, dass sich der Aufwand gelohnt hat.

Keine Frage: Die Gamescom-Aussteller haben heuer endlich wieder die Spendierhosen an. Man muss sich schon sehr doof (präziser: gar nicht) anstellen, um die Gamescom 2024 ohne einen Indiana Jones-Fedora, einen Assassin’s Creed: Shadows-Fächer, ein Civilization 7-Poster, einen Dark And Darker Mobile-Zauberhut oder eben ein Kingdom Come: Deliverance 2-Shirt zu verlassen. An allen Ecken und Enden wird man mit Goodies und Pröbchen zugeworfen – mal mit, mal ohne Zutun. Da tut dann auch die Labber-Pommes und andere gastronomische Zumutungen nur noch halb so weh.

Apropos Spendierhosen: Bei meiner Rückfahrt nach Nürnberg fiel mir beim Einrollen in den Hauptbahnhof ein Vater-Sohn-Gespann in Gamescom-Shirts auf. Auf meine Frage, wie es denn so gewesen sei, leuchteten die Augen. Der geschätzt Fünf- bis Sechsjährige präsentierte seine ‚Schätze‘, die er in Köln abgeräumt hatte – Schirmmützen, Pins, Plakate, Plüschtiere, Schlüsselanhänger, Figürchen, kurzum: Nippes. Aber für diese Zielgruppe fällt natürlich Weihnachten und Ostern zusammen. Dadurch bleibt Spielraum für weitere Mitbringsel: Händler in der Fanartikel-Halle 5 berichten von außergewöhnlich gutem Geschäft.

Bleibt die – berechtigte – Frage, die seit Anbeginn der Gamescom von Corporate-Controllern mit eiskaltem Herzen gestellt werden: Lohnt sich der ganze Zirkus überhaupt? Macht sich die Gamescom bei Verkaufs- und Umsatzzahlen der beworbenen Games bemerkbar – und wenn ja: in welcher Größenordnung?

Diese Betrachtung greift allerdings zu kurz, und zwar seit: immer. Denn die Gamescom bringt ja nicht nur bestehende und potenzielle Kunden zusammen, sondern eben auch eine ganze Branche – bis hin zu Top-Entscheidern wie Guillemot (Ubisoft), Wingefors (Embracer) und Spencer (Microsoft). Weite Teile der Industrie inklusive Investoren, Agenturen, Zahlungsdienstleistern, Plattformen, Vermarktern und natürlich Medien aus allen Erdteilen sind am Start – Kontakte werden geknüpft, erneuert, vertieft. Oder wie es Bandai-Namco-Europa-Chef Arnaud Muller auf meine Is-it-worth-Frage formulierte: „We need Gamescom“.

Wenn man weder neue Produkte anzukündigen noch frische Trailer und erst recht kein spielbares Material zu präsentieren hat, gibt es für Marketing-Verantwortliche freilich ganz schön wenige Argumente, deutlich siebenstellige Investitionen in Standbau, Personal, Hotelzimmer und Tralala zu rechtfertigen. Was erklärt, warum sich die ‚Roten‘ und die ‚Blauen‘ (also Nintendo und Sony PlayStation) schon sehr frühzeitig gegen einen Aufschlag in Köln entschieden haben – mit dem Ergebnis, dass Microsoft noch heller strahlen konnte als im Vorjahr.

Kann man machen. Ich finde: Wer Marktführer sein will, muss diesen Anspruch auch und gerade dann sichtbar machen, wenn es gerade nix zu zeigen und nix zu sagen und nix zu verkaufen gibt.

Das Videospiele-Phantasialand in Köln-Deutz hat noch bis Sonntagabend geöffnet – und schließt dann wieder für ein Jahr. Die Tickets für den heutigen Samstag (traditionell der anstrengendste, weil überfüllteste Tag der Gamescom-Woche) waren bereits im Vorfeld vergriffen. Dem Augenschein nach würde ich vermuten, dass die Besucherzahl des Vorjahres (offiziell: 320.000) mindestens gehalten, eher leicht übertroffen wird – Genaueres wird man allerspätestens am Montag erfahren.

Die kommenden Tage werde ich nun damit zubringen, die ungezählten Interviews und Touren und Präsentationen zu verarbeiten und liegen gebliebene Meldungen abzuschichten – bitte noch etwas Geduld und Nachsicht.

In der Zwischenzeit wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende, weiterhin viel Spaß in Köln respektive eine erfolgreiche Rekonvaleszenz in der Eistonne.

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


Alle Informationen rund um die Gamescom 2024 vom 21. bis 25. August finden Sie auf GamesWirtschaft: Tickets, Aussteller, Spiele, Hallenplan, Shows, Autogrammstunden und Vieles mehr.

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1 Kommentar

  1. Dank dem Artikel weiß ich wieder, warum die GamesCom im Prinzip nur ein Karneval für Gamer*innen ist.

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