Die Gamescom wird zur Grünen Woche – und das liegt nicht nur daran, dass Microsoft Xbox eine halbe Halle auf dem Gelände gebucht hat.
Verehrte GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
am Mittwochmorgen musste der Flugbetrieb auf dem Flughafen Köln-Bonn zeitweise eingestellt werden – parallel zu den Airports in Berlin, Stuttgart und Nürnberg. Was war passiert? Den Mitgliedern der so genannten Letzten Generation ist es erneut gelungen, ein Loch in den Zaun zu schnippeln, unbehelligt die Grünanlagen zu überqueren und sich auf einer Zufahrt zu Start- und Landebahn festzuleimen. Die Botschaft: „Fossile Brennstoffe kosten Menschenleben“
Die ‚Klimakleber‘ bezeichnen diese Art des Protests serienmäßig als ‚friedlich‘ – so friedlich, wie Protest eben sein kann, wenn man neben Hausfriedensbruch billigend einen „gefährlichen Eingriff in den Luftverkehr“ in Kauf nimmt. Bis einer weint.
Die ‚Aktivisten‘ stehen vor dem Dilemma, dass sie sich immer irrere Aktionen ausdenken müssen, um medial überhaupt noch irgendwie stattzufinden. Wenn jemand auf irgendeiner Kreuzung in Sachsenhausen klebt, schickt der Hessische Rundfunk schon lange kein Kamerateam mehr los. Zwangsläufige Folge: Selbst Menschen, die das Anliegen im Grundsatz teilen, haben zunehmend Schwierigkeiten, Spurenelemente von Verhältnismäßigkeit zu entdecken. Entsprechend rauer wird der Ton: Das gilt erst recht für jene, denen das Unterputzkabel anschwillt, weil sie wegen solcher Stunts später als geplant (oder gar nicht) in den mühsam zusammengesparten Urlaub abheben können.
Da gibt’s kein Vertun: Alles mit Klima scheint wahlweise zu ’stressen‘ oder zu ’nerven‘ – eine wild anmutende These, die aber durch Studien gestützt wird. Der Gründe gibt es viele – allen voran, dass andere Krisen und Konflikte überlagern: erst die Pandemie, dann der Angriff auf die Ukraine, regelmäßig der Nahe Osten, dazu Konjunktur und Inflation, zwischendurch Gas- und PlayStation-5-Mangellage. Natürlich zeigen sich Abnutzungseffekte, wenn jeden Tag irgendjemand „Es ist fünf Minuten vor / nach Zwölf!“ ruft.
Politik und Lobbys haben nach Kräften zur schlechten Laune beigetragen – etwa durch das handwerklich und kommunikativ komplett verhühnerte ‚Heizungsgesetz‘ oder das Gequatsche um ein kolportiertes ‚Verbrenner-Aus‘. Entlang dieser Debatten zeigt sich ein ums andere Mal: Sobald Klimaschutz im Geldbeutel, in der Garage oder in der Abflughalle ankommt, sind sinnvoll erscheinende Ad-hoc-Maßnahmen verblüffenderweise gar nicht mal so populär. Not in my backyard, wie man im Angelsächsischen sagt. Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Sankt-Florians-Prinzip. Solange nur anderer Leute Keller volllaufen, ist der Handlungsdruck schlichtweg (noch) nicht groß genug.
Gerade bei jungen Menschen – die ja eigentlich ein existenzielles Interesse an behutsamer Erderwärmung haben sollten – dringt die Botschaft sehr offenkundig nur noch bedingt durch. Die Zeiten, in denen Schulpflichtige mit und für Fridays for Future auf die Straße gingen, sind was länger her und datieren noch vor Covid. 2019 brachte Greta Thunberg hierzulande anderthalb Millionen Menschen dazu, den Diercke-Weltatlas beiseite zu legen. Das ist inzwischen … anders. Im Vorfeld der EU-Wahl kamen zum ‚Klima-Streik‘ vielerorts noch ein paar hundert versprengte Seelen zusammen – selbst in Millionenstädten wie Köln waren es kaum 3.000.
Muss man Verständnis haben. Demonstrieren? Bei der Hitze? Geht’s noch? Oder wie es gut gelaunt im ZDF-Kinderprogramm der 80er hieß: „Hallo! Leute, es sind Ferien! Alle machen blau von Flensburg bis nach Oberammergau!“ (danken Sie mir später für diesen Ohrwurm).
Die Pandemie hat nicht nur freitägliche Schulstreiks ausgebremst. Nach trüben Lockdown-Jahren besteht erkennbarer Nachholbedarf: Es wird wieder gereist, als gäb’s kein Morgen.
Was sich nicht nur an kilometerlangen Staus zeigt, die sich in diesen Tagen über den Brenner schieben. Sondern auch an der fühlbaren Zunahme an Geschäftsreisen: Selbst für Could-have-been-an-E-Mail-Besprechungen steigen Unterabteilungsleiter ins Auto oder in den Flieger – Hauptsache, mal wieder was fühlen. Und wenn’s die Airport-Security ist.
Wer sich umhört, spürt außerdem: Pendler-freundliche Home-Office-Regelungen, einst ein probates Argument im Kampf um Fachkräfte, werden sukzessive wieder zurückgefahren – nicht nur bei Tech– und DAX-Konzernen. Auch Studios und Publisher wollen ihr Personal ganz gerne wieder im Büro sehen. Täglich, wenn’s geht.
Die internationale Mir-doch-Wumpigkeit mit Blick aufs Weltklima wird sich ab nächster Woche auf der Kölner Gamescom besichtigen lassen, wenn die Welt zu Gast bei Freunden ist – vorausgesetzt, die Warnwesten-Revoluzzer legen nicht wieder Köln-Bonn lahm. Das ergibt sich zwangsläufig aus den nackten Zahlen: Denn ein neuerlicher „Ausstellerrekord“ mit 15 Prozent mehr Firmen als 2023 und allein 48 Länderpavillons bedeuten, dass diesmal viel, viel mehr Menschen aus allen Erdteilen anreisen – und tendenziell nicht per Lastenrad.
Die Koelnmesse feiert’s. Denn parallel zu Messebauern, Ausstellern und Besuchern ist man auch rechtsrheinisch wieder mit fliegenden Fahnen zum ursprünglichen Geschäftsmodell zurückgekehrt, das nun mal in der Vermietung von Hallen-Quadratmetern besteht – und nicht in der Bewirtschaftung von ‚Content-Hubs‘. Geht doch nix über persönliche, analoge Begegnungen – auch wenn man dafür Zigtausende Flugkilometer zurücklegen und sattelschlepper-weise Material rankarren muss.
Da trifft es sich gut, dass Aussteller und Besucher ihr Gewissen mit Blick auf den kratergroßen CO2-Abdruck durch den Erwerb von Zertifikaten und Mischwald-Bepflanzungen (Motto: „Strg-Wald-Control“) erleichtern können. Der Ablass-Handel akzeptiert Kreditkarte und PayPal. Wie viele der 1.400 Unternehmen und zuletzt 320.000 Teilnehmer diesen „freiwilligen Klimaschutzbeitrag“ leisten – offen.
Genauso offen wie die Herleitung für den Substainability Award, den es seit 2022 als eigene Kategorie beim amtlichen Gamescom Award gibt. Eingangs der Gamescom 2023 durfte sich Xbox-Boss Phil Spencer das entsprechende Plexiglas-Stehrümchen auf der ONL-Bühne abholen. Für welche Leistungen genau? Niemand weiß es. Welche Kriterien zur Anwendung kamen? Unklar. Wer genau über die Zuteilung entschieden hat? Nun. Und so richtig interessiert hat es offenbar auch keinen, weil auch im Nachgang nicht aktiv dazu kommuniziert wurde. Weite Teile des Publikums dürften deshalb davon ausgegangen sein, dass das Prädikat „Green Studio of the Year“ stumpf darauf abhebt, dass die Xbox-CI nun mal grün ist.
Die Veranstalter werben jedenfalls damit, dass die Gamescom 2024 die klimafreundlichste wird, „die wir bisher gefeiert haben“. Worin sich dies genau festmachen lässt, dazu sollen in den kommenden Tagen noch Belege folgen. Die dann hoffentlich mehr Substanz zeitigen als das, was zur Stunde bekannt ist – etwa das noch systematischere Einsammeln von Pfandflaschen.
Immerhin: Pünktlich zur Gamescom hat die Koelnmesse die neue XXL-Solar-Anlage auf Halle 11 in Betrieb genommen – die größte in ganz Köln. Für die 23.000+ Kilowatt, die so eine Spielmesse im Schnitt pro Stunde verballert, reicht das natürlich noch lange nicht. Aber die Richtung stimmt.
Ob und wie sich Wirtschaft und Klimaschutz in Einklang bringen lassen, davon kann sich ab kommender Woche auch der Chef des gleichnamigen Ministeriums beim Rundgang durch die klimatisierten Hallen überzeugen. Und egal, ob Sie die Messe vor Ort oder remote verfolgen: Auf GamesWirtschaft finden Sie schon jetzt ausgesprochen nachhaltige Informationen rund um die Gamescom-Woche – zu Ausstellern, Spielen, dem Rahmenprogramm, zu Konferenzen und Vieles mehr.
Ein schönes Wochenende und ganz viel Spaß / Erfolg auf der Gamescom 2024 wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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Es ist belustigend. Green Studio of the Year sind jene, welche dieses Jahr am meisten Leute entlassen haben und Projekte eingestellt haben. Wir produzieren nun mal am PC, das braucht Strom. Braucht unsere Branche wirklich so ein Greenwashing? Schöner wäre wenn man belohnen könnte, dass Projekte keine 64GB Workstation benötigen und nicht nur mit 20 FPS im Editor rödeln, den ganzen Tag, das ganze Jahr.
Vielleicht wäre ein Anreiz für einen Award wenn ein Spiel mal wieder unter 2GB Downloadvolumen kommt und auch auf Kartoffeln einigermaßen läuft, ohne direkt schlecht auszusehen. Das hätte Ansätze von Nachhaltigkeit.
Und ob eine Messe generell jetzt die Klimafreundlichste oder eher die am wenigsten Schädlichste würde ich auch mal zur Debatte stellen wollen. Ist wie bei den Weight Watchers, einmal im Jahr darf man ruhig mal unvernünftig sein, also gönnt es euch doch einfach.
Mal davon abgesehen, dass bei den Studios 24/7 irgendwelche Server im Hintergrund laufen, riesige Großraumbüros beleuchtet und mit Klimaanlagen versorgt werden obwohl die Mitarbeiter größtenteils (noch) im Homeoffice sitzen und so viel plastik aus China importiert wird – verzeihung, ich meine natürlich Merch – dass man damit den halben Ozean bedecken könnte. Grün und nachhaltig ist hier gar nichts!
Wie ich in einem anderen Betirag von GW schon Mal schrieb, sind die ganzen Klimazertifikate ja mittlerweile nachgewiesenermaßen eine reine Subvention für Asien bzw. größtenteils China, für Klimaschutzprojekte welche zum großteil nicht einmal existieren. Das einzige was hier wirklich zertifiziert wird ist das eigene gute Gewissen aber ändern wird sich dadurch nichts!
„Selbst für Could-have-been-an-E-Mail-Besprechungen steigen Unterabteilungsleiter ins Auto oder in den Flieger – Hauptsache, mal wieder was fühlen. Und wenn’s die Airport-Security ist.“
lol 🙂
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