Start Meinung Microsoft riskiert den X-Faktor (Fröhlich am Freitag)

Microsoft riskiert den X-Faktor (Fröhlich am Freitag)

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Riesen-Auswahl in allen Geschmacksrichtungen zum Festpreis: der Xbox Game Pass Ultimate (Abbildung ähnlich / Midjourney)
Riesen-Auswahl in allen Geschmacksrichtungen zum Festpreis: der Xbox Game Pass Ultimate (Abbildung ähnlich / Midjourney)

Finden bislang exklusive Xbox-Spiele künftig auf PlayStation und Switch statt? Medienberichte sorgen für erkennbare Unruhe bei der Kundschaft.

Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

in der Fußgängerzone unseres Städtchens gibt es zwei Eisdielen – eine fantastische und eine weniger fantastische. Beide Läden liegen geschätzt 300 Meter voneinander entfernt, die Standortbedingungen, das Sortiment und die Öffnungszeiten sind in etwa vergleichbar. Und trotzdem trennen beide Anbieter regelrechte Welten, was sich unter anderem an den Warteschlangen in der Hochsaison ablesen lässt.

Schon rein optisch sind die Unterschiede immens: In der Auslage des einen Dielers leuchten die Eissorten in allen Neonfarben – die Ware sieht genauso künstlich aus wie sie schmeckt. Die zentralere Lage sorgt dennoch dafür, dass der Laden gut frequentiert wird, zuvorderst von Touristen und Ortsunkundigen.

Die Einheimischen (also unsereins) sind sich hingegen der frappierenden Unterschiede bewusst und nehmen für bessere Qualität auch Umwege, längeres Anstehen und einen höheren Preis fürs Eis in Kauf. Das Erdbeer-Gelato hat zum Beispiel einen eher blassrosa Teint, dafür werden erkennbar frische Früchte und sehr, sehr, sehr viel Sahne verarbeitet. Die Kugeln: riesig. Die Bella-Italia-Folklore samt knuffigem Akzent („Grazie, ciao, bisse morgen!“) gibt es gratis on top.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Solche und andere Alleinstellungsmerkmale sind es, die den Verbraucher fast blind zu ganz bestimmten Marken greifen lassen. Im Idealfall werden daraus regelrechte Fans, die nicht nur leichten Herzens Premium-Aufschläge akzeptieren, sondern auch noch freiwillig für Mundpropaganda sorgen – egal ob bei Hotels, Smartphones, Klamotten oder eben italienischem Speiseeis.

Wer indes Beliebigkeit und Austauschbarkeit vermarkten muss, braucht zwangsläufig andere Argumente – zum Beispiel: Value. Sprich: Geiz ist geil. Gute Preise, gute Besserung. All sowas.

Womit wir bei Microsoft wären. Dem Vernehmen nach gibt es beim Xbox-Hersteller konkrete Überlegungen, insbesondere PlayStation-Besitzer an der Refinanzierung der milliardenschweren Übernahmen von Activision Blizzard oder Bethesda zu beteiligen. Und zwar dadurch, indem man konzerneigene Exklusiv-Blockbuster wie Starfield, Halo oder Indiana Jones auch den Nutzern der Konkurrenz-Plattformen zugänglich macht. Was einem Paradigmenwechsel gleich käme.

Wie genau das in der Praxis aussieht, will Microsoft in der kommenden Woche preisgeben. Für diese Lesart spricht, dass Xbox-Boss Phil Spencer entsprechende Meldungen vom Wochenende nicht schnell und hart dementiert hat (Serviervorschlag: „Indy only on Xbox and PC. Period.“). Stattdessen wurde ein (angeblich) ohnehin geplantes „Business Update“ (angeblich) vorgezogen.

Zur Stunde bewegen wir uns daher noch im Zuständigkeitsbereich des educated guess, also der indiziengesteuerten Spekulation. Müsste ich tippen, würde ich folgendes Szenario unterstellen:

  1. Das X in Xbox steht nicht länger für Xklusivität. Alle oder zumindest die meisten Neuheiten der Microsoft Studios erscheinen perspektivisch (also parallel oder nach kurzer Schonfrist) auf allen Plattformen unter der Sonne – für Call of Duty gilt das ja sowieso.
  2. Zwar fiele damit ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal für die 550-€-Konsole Xbox Series X (und deren Nachfolger) weg. Gleichzeitig wird das Narrativ durch ein neues ersetzt – nämlich: Nie gab es einen besseren Zeitpunkt, den Xbox Game Pass Ultimate für monatlich 14,99 € zu abonnieren. Warum? Weil die Spiele zum Release freigeschaltet werden – ohne Zusatzkosten. Während den Besitzern anderer Konsolen 60, 70, 80 € in Rechnung gestellt werden – fürs selbe Produkt. Wenn das nix ist. What a time to be alive.
  3. Parallel könnte sich Microsoft als erster der ‚Großen‘ aus dem Vertrieb physischer Videospiele verabschieden. Bereits Hellblade 2 erscheint rein digital – eine Disc-Version ist nicht vorgesehen. An deren Stelle könnten vermehrt Kassenregal-Rubbel-Codekarten treten, um den Handel nicht komplett zu verprellen.

Sonderlich überraschend wäre all das nicht. Das Xbox-Management ließ bei verschiedenen Gelegenheiten durchblicken, dass genau darin die Strategie besteht: Das eigene Ökosystem soll auf möglichst vielen Systemen einsickern. Microsoft-Chef Satya Nadella höchstselbst hat zuletzt während der Schlacht um Activision-Blizzard seine herzliche Abneigung gegenüber Exklusivitäten betont: „I have no love for that world.“ Freilich auch deshalb, weil diese Welt nach den Regeln des Marktführers – also Sony – spielt.

Wenn es zu den beschriebenen Ereignissen käme, hätte sich die kaufmännische Fraktion bei Microsoft durchgesetzt, die – mit einigem Recht – die interne Frage aufgeworfen haben dürfte, warum man vergleichsweise einfach erzielbaren Umsatz, also ‚low hanging fruits‘, so leichtfertig am Baum hängen lässt, indem man sich selbst und die potenzielle Zielgruppe künstlich beschränkt. Wie doof kann man sein?

Für Vertrieb und Marketing würde sich der Schwierigkeitsgrad indes deutlich erhöhen. Denn natürlich wäre es kurzsichtig, ein mühsam aufgebautes Alleinstellungsmerkmal aufzugeben – zumal bei der Entscheidung für eine bestimmte Konsole eben nicht nur rationale Argumente eine Rolle spielen. Im Kaufpreis inklusive ist nämlich das (unausgesprochene) Versprechen für eine ganz bestimmte Art von interaktiver Unterhaltung – im Falle von Nintendo also Zelda, Mario, Pokémon, bei Sony zuvorderst The Last of Us, Spider-Man, God of War und bei Xbox eben … well.

Bis heute funktioniert die Xbox eher über den Kopf als über das Herz – Stichwort: „Spiele Hunderte Spiele zu einem günstigen monatlichen Preis.“ Es ist auch kein Zufall, dass Microsoft zum Series-X-Launch nicht die Spiele, sondern die Performance der „leistungsstärksten Konsole“ ins Schaufenster gestellt hat: Das Topmodell kommt auf 12 Teraflops, die PS5 auf empörende 10,3 Teraflops – nimm dies, Sony!

Fällt das Exklusiv-Argument weg, entfällt auch der X-Faktor. Aus der Xbox wird eine Box. Wodurch der Kauf der Microsoft-Konsole dem Erwerb eines Flachbildfernsehers gleich käme – wo es dann nur noch um Bildschirmdiagonalen, Schnittstellen und den günstigsten Preis geht.

Der Kreis schließe sich zu jenem eierlegenden, kaffeekochenden All-in-one-Entertainment-Multimedia-Abspielgerät, das vor zehn Jahren Einzug in die Wohnzimmer halten sollte. Die Premiere der Xbox One geriet zum PR-Desaster – in dessen Folge Xbox-Manager Don Mattrick von Phil Spencer abgelöst wurde, der den „Gamer“ wieder in den Fokus rückte.

Die jüngsten Medienberichte haben jedenfalls erkennbare Wirkungstreffer erzielt, gerade bei den Getreuesten der Getreuen. Große Xbox-Fan-Kanäle machen ihre Zuneigung davon abhängig, ob Spencers „Business Update“ zu viele unbequeme Neuigkeiten enthält. Wer trommelt schon gerne für einen Anbieter ohne Alleinstellung, der in erster Linie über den Preis kommt? An diesem Punkt unterscheidet sich das Konsolen-Business nicht vom regionalen Eisdielen-Markt.

Behalten Sie die vorgetragenen Argumente gerne im Hinterkopf, wenn wir auf eine Woche zusteuern, in der die Karten im globalen Videospiele-Markt möglicherweise ein weiteres Mal neu gemischt werden.

Aber vielleicht kommt ja alles ganz anders. Es wäre nicht das erste Mal, dass Microsoft hektisch Powerpoint-Folien vor Präsentationen umbaut.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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7 Kommentare

  1. MS hat sich vom komplett vergeigten Launch der One nie erholt.

    Ihre Strategie für viel Geld Studios zu kaufen war schon immer fragwürdig. Bethesda hatte nur Starfield als Versprechen in der Pipeline. Und jetzt? Die zu Bethesda gehörenden Arkane Studios und id Software liefern nur noch Flops, bei Indiana Jones war die Lizenz sicher nicht billig und das nächste Elder Scrolls ist Jahre entfernt… die Übernahme hätte man sich schenken können.

    Bei Activision Blizzard sieht das nicht besser aus. Blizzard hat nichts in der Pipeline und Activision hat sich selbst zu einem One Trick Pony zusammengeschrumpft das nur noch Call of Duty kann…

    Eine Produktion wie Starfield kann man mit den paar Xbox und PC Kunden nicht finanzieren, es braucht die dramatisch zahlreicheren PlayStation Besitzer und auch CoD lebt von den in Game käufen. Diese fließen aber nicht, wenn man die PlayStation Gamer ausschließt, denn die machen einfach 75% der Kundschaft aus.

    Rund um die Black Week hatten alle Anbieter die Xbox X für unter 400 Euro im Angebot. – Die PS5 hat sich dennoch dramatisch besser verkauft. MS hat auf ganzer Linie versagt.

    Starfield ist eher gefloppt und war sicher kein Systemseller, sondern nur ein sperriges SciFi Game für ein paar Fans.

    Statt 75 Milliarden in Activision und Bethesda zu verpulvern, hätten sie mit dem Geld locker 10 mittelgroße Studios langsam so aufbauen können, dass diese die Konsole kontinuierlich mit Exklusivtiteln versorgen…. So hat Sony mal angefangen… jetzt ist das Geld weg und mit den Übernahmen hat man nichts gewonnen.

  2. „VÖ also parallel oder nach kurzer Schonfrist“ – parallel kann ich mir absolut nicht vorstellen, auch eine nur kurze Schonfrist halte ich für unwahrscheinlich. Damit würde MS Hardware zu drastisch an Bedeutung verlieren. Ich würde auf eine ähnliche Zeitexklusivität tippen wie PS zu PC. Spannend wird, ob Sony oder Nintendo ein Game Pass-Abo auf ihren Plattformen zulassen.

  3. Microsoft wird recht früh gemerkt haben, dass die Kalkulation nicht reicht. Nun biedert man sich als Software-Hersteller an, wodurch die Hardware-Komponente obsolet wird und man austauschbar ist. Die Konkurrnt wird es dankend annehmen. Denn so wird es eine leichte Sache, Sony und Nintendo werden ihre Exklusictitel exklusiv lassen und man kann den Games-Paß optional dazu buchen.

  4. Ich bin ein klassischer Wechselwähler. Ich hatte die 360 weil es gerade gepasst hat, dann PS4 weil die XBox One überhaupt nicht gepasst hat und jetzt wiederum die Series X wegen dem Game Pass.

  5. XBox ist schon lange tot, das belegen die Verkaufszahlen und überragenden Marktanteile von Sony und Nintendo. Die XBox-Games Sparte hat in den letzten jahren immer mehr nicht abgeliefert, das zeigten zuletzt das Redfall- und Starfield-Desaster so wie die Game Awards. Im Gegensatz dazu verkaufen sich die Titel der Konkurenz wie geschnitten Toast.

    Dass man dem Elend jetzt ein Ende setzt und der Box den Stecker zieht ist aus unternemerischer Sicht nur logisch.

    • Fast 30 Millionen verkaufte Konsolen würde ich nicht gerade als „tot“ bezeichnen. Dazu lebt die Xbox stark von der Loyalität insb. der amerikanischen Fans, deshalb ist der Schritt schon gewagt, weil man einen guten Teil der eigenen Fanbase dadurch vergraulen wird.

      • Für den Abgesang ist es sicher zu früh – die Games-Sparte ist ja mehr denn je eine relevante Umsatz-Säule und von strategischer Relevanz. Um im Computerspiele-Business eine relevante Rolle zu spielen, muss man nicht zwingend Konsolen herstellen: Microsoft war und ist ja in erster Linie Software-Hersteller – möglicherweise verschiebt sich der Fokus noch mehr. Mal sehen, was die kommende Woche bringt.

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