Start Meinung Auf dem Abstellgleis (Fröhlich am Freitag)

Auf dem Abstellgleis (Fröhlich am Freitag)

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Kleine wie große Betrieb der Games-Branche schieben ganze Unternehmensbereiche aufs Abstellgleis (Abbildung: ähnlich)
Kleine wie große Betrieb der Games-Branche schieben ganze Unternehmensbereiche aufs Abstellgleis (Abbildung: ähnlich)

Vorsicht an der Bahnsteigkante: Kleine wie große Betriebe der Games-Branche schieben ganze Unternehmensbereiche aufs Abstellgleis.

Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

das vergangene Wochenende muss sich für den durchschnittlichen TV-Zuschauer angefühlt haben, als sei die Zeit stehen geblieben. Los ging’s am Samstagabend, Viertel nach Acht, Zweites Deutsches Fernsehen, Wetten dass. Tags drauf: der Sonntags-Tatort im Ersten. Parallel im Zweiten: Das Traumschiff.

Mehr als zwölf Millionen Menschen wollten die letzte (diesmal wirklich) Wetten dass-Ausgabe mit Thomas Gottschalk erleben – jenem unverwüstlichen Show-Ross, das den Promi-Aufgalopp seit geschätzten 100, tatsächlich aber erst seit 35 Jahren moderiert. Für Kinder und Jugendliche meines Jahrgangs galt die Sendung ja als unverpassbar: Wo sonst gab es die Gelegenheit, Bravo-Helden wie Michael Jackson, Take That oder Madonna bei der Arbeit zu besichtigen?

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Mittlerweile ist man selbst beim ZDF zur Erkenntnis gelangt, dass diese Unterhaltungsform zwangsläufig ein immer endlicheres Publikum erreicht: Mit Bagger- und Hunde-Wetten lockt man heute kaum noch Jungvolk vor den Bildschirm, zumal drüben bei TikTok und Insta weit Spektakuläreres im 10-Sekunden-Takt läuft. Was langweilt, wird halt weggeswipet. Next. Bei einer trutschigen Live-Sendung ist Vorspulen hingegen nicht vorgesehen.

Nun gehört die Absetzung von TV-Formaten zum Alltag im Mediengeschäft. Sobald die Nachfrage nachlässt und alle Kostensenkungs-Potenziale ausgereizt sind, wird eben irgendwann die Reißleine gezogen – gefühlsduselige Tradition hin oder her.

Dies gilt natürlich erst recht für die Games-Branche, die in dieser Saison außergewöhnlich heftig durchgeschüttelt wird. Denn mit dem anstehenden Jahreswechsel verlieren wir unter anderem …

  • die traditionsreiche Komplettlösungs-Wundertüte Spieletipps (eingemeindet bei Giga)
  • das traditionsreiche Fachblatt GamePro
  • die traditionsreiche E-Sport-Plattform Summoner’s Inn
  • die traditionsreiche ESL Meisterschaft
  • die traditionsreiche US-Videospielemesse E3 (sofern kein Wunder geschieht)
  • und mehrere tausend Arbeitsplätze bei Studios, Publishern, Agenturen, Medienhäusern, Veranstaltern. Darunter viele Jobs, die in den vergangenen ein, zwei Jahren überhaupt erst geschaffen wurden.

Die Indizien-Lage legt leider nahe, dass die erweiterte Spiele-Industrie im deutschsprachigen Raum noch lange nicht ‚durch‘ ist. Bitte stellen Sie sich mental schon mal auf weitere WTF-Momente in einer an WTF-Momenten nicht armen Zeit ein.

Der dafür zuständige Fachbegriff lautet Clusterfuck, wie es in dieser Woche im Rahmen eines Branchen-Panels formuliert wurde. Meint: Ganz viele, ganz unterschiedliche, aber maximal unangenehme Effekte – und zwar gleichzeitig. Das Phänomen hat die Games-Branche nicht exklusiv: An der aktuellen Lage knabbern ganz viele Wirtschaftszweige – Konzertveranstalter, Autohersteller, die Bau- und Immobilen-Branche, der Einzelhandel.

Mit der Folge, dass derzeit irrsinnig viele Konzerne und Holdings ihren Laden winterfest machen und das Portfolio an Marken, Projekten und Standorten flurbereinigen – wie immer zuvorderst auf Kosten der Belegschaft. Gerade Startups und Indies bekommen eisigen Gegenwind zu spüren. Im Einzelfall geht es immer öfter darum, was schneller zur Neige geht – das Eigenkapital oder die Optionen an möglichen Geldgebern.

Ein Hauptproblem: Alle wissen (oder fühlen es zumindest), dass weiterhin viel zu viel Content rausgeblasen wird – noch dazu Prädikats-Content, wie die The Game Awards-Nominierungen belegen.

Vor diesem Hintergrund wird auch darüber zu reden sein, inwieweit es dem Games-Entwicklungs-Standort auf Dauer (nicht kurzfristig) hilft, wenn der Staat in eine lodernde Angebots-Glut zusätzlich Hunderte Millionen Euro an Subventions-Spiritus kippt. Nach dem Motto: Viel hilft viel. Es handelt sich um eine stumpfe Wette darauf, dass ganz viel Ware auf ganz viel Nachfrage trifft. Irgendwer wird dafür schon Geld ausgeben.

Eine Trendumkehr ist bis auf Weiteres nicht in Sicht. Mit Blick auf 2024 spricht nun zunächst viel dafür, dass noch mehr Projekte auf dem Abstellgleis landen – indem (Fehl-)Entwicklungen und -Einschätzungen der jüngeren Vergangenheit korrigiert und im Zweifel rückabgewickelt werden. Denn die während des Corona- und Niedrigzins-Booms platzierten XXL-Wetten auf nicht enden wollendes Wachstum durch Zukäufe erweisen sich zunehmend als Mühlstein für alle Beteiligten. Benko ist überall, auch in der Games-Branche.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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1 Kommentar

  1. Die Frage die ich mir hierbei stelle, so ganz allgemein: Wo soll das Wachstum am Ende denn herkommen? Wir haben stagnierende Löhne, Betriebsschließungen, eine Jarhundertinflation, eine Regierung die nicht regiert und gleichzeitig so viele die keine Lust mehr auf dieses ewige Hamsterrad namens „Leben um zu Arbeiten“ haben, gleichzeitig erwartet die Wirtschaft aber Konsum, Konsum und nichts geringeres als Konsum … wie soll das funktionieren?

    Wir können die Belegnschaft nicht bis zur absoluten Erschöpfung schröpfen und gleichzeitig aber ein stetiges Wachstum und Rekordumsätze erwarten. Das gebietet der gesunde Menschenverstand, der bei den meisten ja zeitweilig oder gar in Gänze auszusetzen scheint. Also, Wachstum über alles oder doch lieber Rückbesinnung auf ein gesundes Mittelmaß?

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