Mit GamePro verschwindet eine weitere Traditionsmarke aus dem Zeitschriftenregal. Mit dafür verantwortlich: das Remi-Dilemma.
Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,
diese Freitags-Kolumne entsteht abermals auf dem Sonnendeck eines schwimmenden Hotels, mit dem ich seit einigen Wochen unterwegs bin. Falls Sie diese sehr spezielle (und ja: nicht unumstrittene) Form des Reisens aus eigener Anschauung kennen, werden Sie wissen, welch immens großen Stellenwert das Thema F&B einnimmt – also Food & Beverages. Die komplette Tages-Choreographie spielt sich entlang von Buffets, Bars, Cafés und Sushi-Bändern ab.
Zu den (zumindest für mich) faszinierendsten Erkenntnissen gehört in diesem Zusammenhang die Art und Weise, wie mit Produkten umgegangen wird, die am Ende der Nahrungskette: also am Ende eines Restaurant-Tages übrig bleiben. Der Reis, die Nudeln, der Thunfisch, die Gurkenscheiben, die Erbsen, die Ananas, die gehäckselten Möhren finden sich ein, zwei Tage später in Form von Pasteten, Salaten, Pizza, Kuchen oder Chop Suey wieder in der Auslage.
Das ist auch völlig richtig so, nicht nur mit Blick auf qualitativ einwandfreie Lebensmittel, sondern aus rein wirtschaftlichen Kostengesichtspunkten. Solange die Ware verwertbar ist, wird sie verwertet. Alles, was irgendwie in Soße oder Marinade schwimmt oder angetrocknet ist, wird aussortiert und kompostiert. Das Ziel: möglichst wenig wegzuschmeißen. Die dafür nötige Logistik: hochkomplex.
So läuft das prinzipiell natürlich in ungefähr jedem Hotel und in jedem gastronomischen Betrieb ab, in Privat-Haushalten allemal – zumindest dort, wo noch selbst der Kochlöffel geschwungen wird. Weil man an Bord regelmäßig in den gleichen Etablissements speist, lässt sich die ‚Reise‘ einer Zutat besonders einfach nachvollziehen.
Cleveres Überbleibsel-Handling ist ein immens wichtiger Rendite-Faktor, in jeder Branche. In meiner Zeit bei einem Computerspiele-Zeitschriften-Verlag war zum Beispiel die sogenannte Remissionsquote (kurz: Remi) eine der relevantesten, geradezu omnipräsenten Kennzahlen.
Damit gemeint ist der Anteil jener unverkäuflichen Hefte, die der Supermarkt-, Tankstellen- oder Kiosk-Besitzer nach Erscheinen der Folge-Ausgabe wieder remittiert, also zurückgibt. Will ein Verlag sicherstellen, dass seine Zeitschriften und Zeitungen möglichst flächendeckend in den Läden zu finden sind, muss er deutlich mehr produzieren, als er letztlich los wird – ähnlich wie die fürs Buffet zuständige Küchen-Crew.
Die durchschnittliche Remi-Quote in Deutschland ist segmentübergreifend gestiegen, auf zuletzt 46 Prozent (Quelle). Bedeutet: 46 von 100 produzierten Zeitungen und Magazinen werden ungelesen vernichtet – nachdem sie gedruckt, verpackt, ausgeliefert, ausgepackt, in die Auslage gestellt und wieder eingesammelt wurden. Und das millionenfach, tonnenweise, Tag für Tag. Ein Wahnsinn.
Bleiben regelmäßig zu viele Hefte übrig, bestellt der Händler immer weniger eines bestimmten Titels nach. Wer will schon wertvolle Regalfläche mit Ladenhütern belasten? Je weiter die Auflage sinkt, desto weniger Verkaufsstellen können versorgt werden und desto geringer fällt die Sichtbarkeit am Kiosk aus – logisch. Dadurch setzt eine Abwärtsspirale ein, die der Print-Branche übel zusetzt. Gleichzeitig steigen die Kosten für Papier, Druck, Logistik und Vertrieb, während das Anzeigengeschäft analog zur Reichweite schmilzt.
Den Redaktionen bläst der Wind aus allen Richtungen ins Gesicht.
Mit Folgen: Zum Jahreswechsel 2022/23 hat zum Beispiel die Webedia-Gruppe 14.000 Hefte des Konsolenmagazins GamePro gedruckt und davon nach eigenen Angaben 8.000 Stück verkauft. Monat für Monat gingen somit 6.000 Hefte inklusive beigeklebter DVD in den Shredder, was pi mal Daumen der derzeit marktüblichen ‚Remi‘ entspricht. Die Auflage dürfte zuletzt weiter unter die Räder gekommen sein – Stichwort: Abwärtsspirale.
Das Remi-Dilemma liefert eine Erklärung, warum Webedia am Nikolaus-Tag die letzte GamePro-Ausgabe auf den Markt bringt – nach zwei Jahrzehnten, in deren Verlauf etliche Branchen-Karrieren ihren Anfang nahmen. Das PC-Spiele-Flaggschiff GameStar vom selben Verlag hat dank treuem Abo-Stamm noch etwas mehr Fett auf den Rippen. Überhaupt gelten Zeitschriften als ziemlich resilient – erst wenn wirklich alle Einspar-Potenziale (Auflage, Seitenumfang, Papierqualität, Personal) ausgereizt sind, ziehen Verlage die Reißleine. Wie bei GamePro.
Nun wäre es naiv anzunehmen, dass sich die ungemütliche Print-Marktlage schon irgendwann wieder zum Besseren wendet – es wächst einfach niemand nach, weil jüngere Gamer nun mal bei YouTube, TikTok oder Twitch abhängen. Also lautet das Gebot der Stunde, die Kosten im Griff zu halten und die Zeitschriften für eine zwar kleiner werdende, aber sehr scharf umgrenzte Zielgruppe zu produzieren – die willens und in der Lage ist, Jahr für Jahr von der Abo-Kündigung abzusehen und für ein haptisches Produkt überdurchschnittliche Copy-Preise zu bezahlen, solange erkennbarer Aufwand in die Seiten fließt.
Es ist somit kein Zufall, dass die unverwüstliche M! Games in diesen Tagen ihr 30jähriges Betriebsjubiläum feiert und dass eine Retro Gamer zwar nicht mehr in die Konzernstruktur der Heise-Verlagsgruppe passen mag, wohl aber offenkundig auskömmliche Renditen für einen Einzelunternehmer abwirft.
Geringe bis keine Perspektiven gibt es indes für das von vielen Zeitschriften-Gattungen immer noch praktizierte Geschäftsmodell „Ausgedrucktes Internet“ – also das stumpfe Copy-Paste-Recycling bereits veröffentlichter (und schon leicht angetrockneter) Online-Texte. In diesen Fällen wird sich absehbar niemand mehr finden, der dafür Geld in die Hand nimmt.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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Der König des Umgangs mit den Remis war das Mad-Magazin, da wurden die Remi-Hefte nämlich auseinandergenommen und als Super-Mad wieder in den Markt zurückgeworfen, die Remis davon wurden dann als Mega-Mad abermals in den Markt zurückgegeben. jedes Mal im ein paar Mili- bis Zentimeter am Rand gekürzt, damit glatte Heftränder einen guten Eindruck hinterlassen.
Absolut korrekt. Sehr gute Zusammenfassung. Hoffnung für qualitative Produkte, aber kaum Perspektive für minderwertige Ware.
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