Jetzt wieder mit dabei sein, die nächste Fahrt geht rückwärts: Spielehersteller fühlen vor, wie die Zielgruppe auf das Thema NFT anspricht. Spoiler: Nicht gut.
Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
es herrscht mal wieder Goldgräberstimmung in der Branche. Nachdem sich die Zuwachsraten im Mobilegames-Bereich völlig überraschend als endlich erwiesen haben, fahndet die Industrie nach neuen Erlösströmen.
Immer öfter im Fokus: Non Fungible Tokens, kurz NFT. Kein Tag vergeht, ohne dass Agenturen den Redaktions-Posteingang mit immer neuen NFT-Projekten fluten. Oder wie Lothar Matthäus es in einem Werbevideo so unnachahmlich auf den Punkt bringt: „Selebriti Metawers wiff Noften is se fjutscher“.
Hinter dem Buzzword NFT verbergen sich digitale Grundbuchauszüge, die einem konkreten Besitzer ein mehr oder minder limitiertes oder gar einmaliges, virtuelles Gut zuordnen – organisiert via Blockchain und Kryptowährung. Dem Spieler ‚gehört‘ also ein ganz bestimmtes Schwert oder ein Auto innerhalb eines Online-Spiels. Dieses Recht kann er mitsamt der gesamten Vorbesitzer-Historie kaufen und verkaufen – je seltener, desto wertvoller.
In Fußball-Sammelbildchen-Systemen funktioniert das schon ganz gut: Da stellen sich HorstHubresch54 und Fussballgott17 virtuelle Mannschaften zusammen, indem sie sich einen Lewandowski oder Messi ins Team holen, die es beispielsweise nur einige Dutzend Mal gibt. Der Besitz solcher digitalen Unikate ist den Spielern Abertausende Euro wert – Betreiber und Investoren verdienen an der Ausgabe immer neuer ‚Anteilsscheine‘ und Provisionen.
Innerhalb der PC- und Konsolen-Kernzielgruppe lässt sich eine herzliche NFT-Abneigung diagnostizieren, wie Ubisoft nach der Ankündigung des NFT-Ökosystems Quartz feststellen durfte. Auch GSC Game World stand in den letzten Tagen unter virtuellen Beschuss, weil das Studio ausgewählte Kunden per NFT-Versteigerung in den Shooter S.T.A.L.K.E.R. 2 einbauen wollte – ehe einigermaßen hilflos zurückgerudert wurde.
Keine Frage, der NFT hat gleich mehrere fundamentale Image-Probleme.
Da wäre erstens die Einstiegshürde, weil es sich um enorm erklärungsbedürftige Produkte handelt. Wer das System durchdringen will (schließlich geht es im Zweifel um echtes Geld), muss sich zwangsläufig in die Welt der Wallets und Tokens einarbeiten.
Daraus folgt zweitens, dass sich vielen Spielern der konkrete Nutzen nicht erschließt. Das vielfach vorgetragene Argument der ‚Transparenz‘ und Dezentralisierung wirkt vorgeschoben. An die Selbstlosigkeit von börsennotierten Firmen, die zuvorderst zum Wohle ihrer Klientel handeln, glaubt erst recht kein Mensch.
Drittens funktioniert das System natürlich nur solange, wie sich genügend Käufer und Verkäufer finden, die einem bestimmten virtuellen Gut einen gefühlten Wert zuweisen. Sollte das Spiel eines fernen Tages abgeschaltet werden oder nur noch auf Sparflamme laufen, weil sich die Kundschaft längst neuen Angeboten zuwendet, dann entwickelt sich der Wert einst hochgehandelter NFTs in Richtung null Euro.
Viertens: Inflation. Der Publisher fungiert als Zentralbank, der quasi unendlich Spielwährung und somit auch NFTs schöpfen kann. Mag sein, dass es Amulette und Helme der Kategorie ‚Gold‘ tatsächlich nur 100 Mal im Spiel gibt – aber ungefähr niemand hindert den Hersteller daran, nächste Woche zusätzliche Platin- oder Diamant-Sets einzuführen. Oder einzelne Serien ganz aus dem Verkehr zu ziehen. Oder eine neue „Season“ zu starten und damit die Zähler auf Null zu stellen.
Und dann wäre da natürlich noch das Thema Klimaschutz und Energie: Denn die Blockchain ist als ressourcenhungrig verrufen. Kryptowährungen neueren Datums seien effizienter – heißt es.
Was allerdings nach wie vor nicht schlüssig darlegt, warum es für ein Online-Spiel überhaupt NFTs und damit ein Einfallstor für Spekulationsgeschäfte braucht. Schließlich deuten sich bislang keine Mechaniken an, die sich nicht auch mit Spielwährung, Seriennummern und künstlicher Verknappung abbilden ließen – so wie es in FIFA 22 gehandhabt wird. Da braucht es seit jeher eine Menge 3G (Glück, Geduld, Geld), um Mbappé oder Kane ins eigene Ultimate Team zu holen.
Das Dilemma für Ubisoft, Activision, Electronic Arts, Take Two & Co.: Aktionäre, Fonds und Analysten erwarten, dass die Publisher im NFT-Geschäft vorne dabei sind – die laute Kern-Zielgruppe will indes allen Play2Win-Anfängen wehren. Für Tech-Startups ist der Markteintritt ungleich einfacher, weil sie ‚unbelastet‘ starten.
Es wird daher spannend zu sehen, wie sich große Spielehersteller im Jahr 2022 positionieren. Bei allem Widerstand: Wer daran glaubt, dass Call of Duty, FIFA, NBA 2K, Assassin’s Creed oder GTA auf Dauer NFT-frei bleiben und somit sakrosankt wären, der hält auch die Existenz des Weihnachtsmanns zumindest für eine valide Option.
Bauchgefühl: NFTs gehen nicht so schnell wieder ‚weg‘. Dazu ist das Feld zu lukrativ – und laut führenden Rekordnationalspielern ohnehin „se fjutscher“.
Dies ist die letzte Ausgabe von Fröhlich am Freitag im Jahr 2021. Ich darf mich bei Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, ganz herzlich für das Interesse und das Vertrauen bedanken – und für das sehr überwiegend freundliche Feedback. Es freut mich, dass die Kolumnen immer wieder freitags für viele von Ihnen zu einem festen Bestandteil zum Start ins Wochenende geworden sind. Empfehlen Sie uns gerne weiter.
Ein großes Dankeschön geht natürlich auch an alle Newsletter-Abonnenten, an Anzeigenkunden, an Unternehmen, Agenturen, Verbände, Ministerien, Standortinitiativen, Experten und Kollegen für die allzeit konstruktive Zusammenarbeit.
Ich wünsche Ihnen fröhliche Weihnachten und glückliche Feiertage. Kommen Sie gut ins neue Jahr und vor allem: Bleiben (oder werden) Sie gesund.
Herzlichst
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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