Start Meinung Blizzard-Skandal: Nicht überrascht – Vol. 2 (Fröhlich am Freitag)

Blizzard-Skandal: Nicht überrascht – Vol. 2 (Fröhlich am Freitag)

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Anlässlich der Blizzard-Hausmesse Blizzcon machten es sich Führungskräfte in der
Anlässlich der Blizzard-Hausmesse Blizzcon machten es sich Führungskräfte in der "Cosby Suite" gemütlich (Foto: Blizzard Entertainment)

Nur ein Jahr nach dem Missbrauchs-Skandal bei Ubisoft macht mit Activision Blizzard ein weiterer Games-Konzern Negativ-Schlagzeilen. Was läuft da schief?

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

es begab sich im Sommer 2011, als das Handelsblatt die Lustreisen eines großen Versicherungskonzerns aufdeckte, die vier Jahre zuvor stattgefunden hatten. Die erfolgreichsten Vertriebler waren nach Budapest gekarrt worden. Dort warteten in der Therme bereits ein feudales Buffet und mehrere Dutzend Hostessen und Prostituierte. An der Farbe des Armbändchens ließ sich die Zuteilung ablesen: Damen mit weißen Bändchen waren für Vorstände und Top-Verkäufer „reserviert“.

In der Öffentlichkeit lösten die hochnotpeinlichen Enthüllungen Abscheu und Empörung aus. Es spricht viel dafür, dass das Versicherungs-Gewerbe angemessen geläutert aus dieser Wolf of Wall Street-Phase hervorgegangen ist – seitdem dürfte das Controlling etwas genauer hinschauen, wenn für T&A (‚Travel & Accomodation‘) fünfstellige Spesenbelege eingereicht und steuerlich geltend gemacht werden sollen. Doch dass solche Exzesse überhaupt möglich waren, hat fraglos strukturelle Gründe. Denn bis heute gilt die Finanzbranche als ‚Boys Club‘: Neun von zehn Vorgesetzten sind Männer.

Diese „bro culture“ samt ihrer gläsernen Decken liefert auch eine Erklärung für jene Skandale, die seit einem Jahr den größten europäischen Spielehersteller (Ubisoft) und seit dieser Woche den größten US-amerikanischen Publisher (Activision Blizzard) beschäftigen. Die Vorwürfe von Behörden und betroffenen Angestellten sind in beiden Fällen identisch: Belästigung (meist sexueller Art), Mobbing, Diskriminierung – und zwar bis hinauf in die Chefetagen.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Die jüngsten Meldungen fühlen sich an, als sei man in einer Zeitschleife gefangen: Erst heute vor einem Jahr – im Juli 2020 – ging es in meiner Freitags-Kolumne um exakt dasselbe Thema. Überschrift: „Nicht überrascht“. Und trotzdem gelingt es nach wie vor, auch hauptberufliche Beobachter mindestens zu verblüffen.

Denn in dieser Woche wurde bekannt, wie Blizzards Top-Entwickler während der Hausmesse Blizzcon regelmäßig Hof in einer Hotelsuite hielten, die sie ausgerechnet nach dem US-Schauspieler Bill Cosby benannt hatten – angeblich, weil das Muster des Zimmer-Teppichs jenem von Cosbys Pullovern ähnelte. In Chats wurde darüber debattiert, wer die „hot chixx“ an der Hotelbar organisiert.

Für Außenstehende drängt sich zwangsläufig der Eindruck auf: Meine Güte, was ist das denn für ein Sauhaufen? Das gilt offenbar auch für die Belegschaft: Mittlerweile hat jeder Dritte der weltweit mehr als 9.500 Activision Blizzard-Mitarbeiter einen Offenen Brief signiert, der dem Top-Management anhaltende Untätigkeit und Ignoranz attestiert. Am Mittwoch wurde vor den Werkstoren in Kalifornien demonstriert.

Es dürfte daher weniger der Sorge um das Wohl der Angestellten, sondern mehr dem Blick auf den kollabierenden Aktienkurs geschuldet sein, der Activision Blizzard-Boss Bobby Kotick doch noch zu einer Wellness-Mail an die Belegschaft veranlasste. Kotick führt das Unternehmen seit 1991 – Yves Guillemot hat Ubisoft Mitte der 80er mitgegründet. An irgendeinem Punkt muss bei beiden der Blick dafür verloren gegangen sein, was nur eine Management-Ebene tiefer schief läuft.

Dabei gibt sich die Branche in der Außendarstellung gerne als Musterknabe – „Diversity is a strength“ flötet Ubisoft auf der amtlichen Website. In der Praxis ist es immer noch so, dass Spiele-Entwicklerinnen laut Verbands-Studie erstens chronisch unterrepräsentiert sind und zweitens im Schnitt 4.000 Euro p. a. weniger mit nach Hause nehmen als ihre männlichen Kollegen. Und solange die operative Verantwortung – CEO, CFO, COO, CMO, Vice President of Irgendwas – weiterhin so einseitig verteilt ist, werden wir womöglich noch öfter Schieflagen zu besprechen haben.

Die gute Nachricht für Konzernlenker wie Kotick und ihre Aktionäre: Kommerzieller Kollateralschaden ist à la longue eher nicht zu erwarten – jetzt werden erstmal Arbeitskreise eingerichtet, Hotlines geschaltet und Code of Conducts durchgekärchert. Geschätzte 99 Prozent der Zielgruppe dürfte ohnehin nichts von den Ereignissen mitbekommen – der durchschnittliche Shitstorm wird erfahrungsgemäß nach roundabout zweieinhalb Tagen von anderen Themen überlagert und verdrängt. Schon bei der Gamescom Ende August wird es eher darum gehen, was das nächste Call of Duty kann und wie hübsch die Waffen in Far Cry 6 modelliert sind – und weniger darum, unter welchen Voraussetzungen Spiele dieser Art entstehen.

Natürlich haben wir es nicht mit einem Games-Industrie-exklusiven Phänomen zu tun – und erst recht verbietet sich ein Generalverdacht, zumal sich viele Unternehmen erkennbar mühen, ihre Mitarbeiter(innen) seriös zu behandeln, zu (be)fördern und zu entlohnen. Die Ereignisse bei Ubisoft und Activision Blizzard sollten indes Mahnung sein, dass die Bedingungen am Arbeitsplatz höhere Priorität bekommen müssen – insbesondere dann, wenn viele Millionen an staatlichen Subventionen fließen, sei es in Kanada oder hier in Deutschland.

Gerade deshalb wäre es spätestens jetzt an der Zeit, dass die nationalen und internationalen Lobby-Verbände ihr lautes Schweigen beenden und den Schutz von Angestellten zum Thema machen, damit wir in einem Jahr nicht wieder überrascht sind.

Die Gamescom wäre dafür eine gute Gelegenheit.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


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