Start Meinung Fröhlich am Freitag 29/2019: Ganz ehrlich

Fröhlich am Freitag 29/2019: Ganz ehrlich

0
Szene aus "RAW": Das Kickstarter-Projekt elektrisierte drei Wochen lang sowohl Spieler als auch Entwickler-Szene (Abbildung: Killerwhale Games)

Make love, not „RAW“: Die Kickstarter-Kampagne hat ein abruptes Ende gefunden – doch die Macher wollen nicht aufgeben. Was lernen wir aus dem Fall?

Verehrte GamesWirtschaft-Leser,

an 28 von 30 Tagen hat Kickstarter in aller Gelassenheit zugeschaut. Dann, am 29. Tag, nur wenige Stunden vor dem offiziellen Ablauf, erfolgte der Zugriff: Um die knapp 4.000 vertrauensseligen Mikro-Investoren und ganz nebenbei das Image der Crowdfunding-Plattform vor Schlimmerem zu bewahren, zogen die Aufseher die Notbremse und brachen die Sammelaktion ab. Niemandem wird auch nur ein Cent abgebucht.

Zu diesem Zeitpunkt hatte das im bayerischen Fürth entwickelte Computerspiel „RAW“ mehr als 170.000 Euro eingeworben – das erforderliche Mindestziel von 70.000 Euro war längst erreicht. Hätte die Sache geklappt, würde „RAW“ zu den zehn erfolgreichsten Kickstarter-Games zählen, die jemals von deutschem Boden ausgingen.

Was hat den ambitionierten Newcomern nun das Genick gebrochen? Weil das Trio von Killerwhale Games von Anfang an freimütig eingeräumt hat, dass das eingeplante Budget für die Fertigstellung des Basis-Spiels hinten und vorne nicht reichen wird. Doch genau das widerspricht den Kickstarter-Statuten: Der Abschluss des Projekts muss nach menschlichem Ermessen realistisch oder zumindest wahrscheinlich sein.

So gesehen ein Anfängerfehler – einem Bau-Unternehmen oder Architekturbüro, das sich um den Auftrag für Berliner Großflughäfen oder Stuttgarter Bahnhöfe bewirbt, würde sowas im Leben nicht passieren.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Dass das anvisierte Budget möglicherweise nicht reichen könnte, wissen oder ahnen vermutlich die meisten Spiele-Studios, die via Kickstarter um Vorschüsse werben – aber sie sind clever genug, zumindest den Eindruck zu erwecken, dass es klappen kann. Denn natürlich sind viele Projekte auf Kante genäht, in der Hoffnung, im Laufe der Entwicklung werde sich schon eine gute Fee auftreiben lassen, die Finanzierungslücken stopft. Zur Not tut’s auch ein Publisher.

Die forsch auftretenden Killerwhale-Entwickler sind also an ihrer eigenen „Ehrlichkeit“, man könnte auch sagen: Naivität, gescheitert. In nahezu allen anderen Disziplinen war es mit der Transparenz allerdings nicht weit her: Wesentliche Informationen wurden nur scheibchenweise offengelegt, wenn überhaupt.


Immer freitags, immer kostenlos: jetzt GamesWirtschaft-Newsletter abonnieren!


Von Anfang an waren alle Zutaten für einen echten Branchen-Krimi gegeben.

  • So gelten Open-World-Spiele à la „RAW“ als Königsklasse der Spiele-Entwicklung, erst recht mit Multiplayer-Komponente. Einige der famosesten Games der 2000er-Jahre setzen auf frei begehbare Spielwelten mit mehr oder minder großen Freiheiten.
  • Das dreiköpfige Entwicklerteam war branchenweit zuvor nie in Erscheinung getreten – mehr als eine Woche lang war die Identität der Beteiligten unklar.
  • Erfahrungen der Beteiligten mit der Entwicklung eines solchen Games? Nahe null.
  • Ein versprochenes Video mit Spielszenen wurde nie veröffentlicht.
  • Kritiker wurden beschimpft – Presseanfragen ignoriert oder barsch zurückgewiesen.

In Summe also mehr als genug Warnsignale, die in der deutschen Entwicklerszene für Skepsis, zuweilen Häme sorgten.

Immerhin: Von einem verschiedentlich kolportierten Betrugsversuch (Fachbegriff: Scam) – also einer Veruntreuung der „Anlegergelder“ – ist nach Lage der Dinge nicht auszugehen, sehr wohl aber von einem bunten Mix aus Nach- und Fahrlässigkeiten.

Auch Kickstarter selbst trägt eine Mitverantwortung: Dass die Plattformbetreiber so lange gebraucht haben, um hier einzugreifen, ist ein Unding – zumal dieses „German Wunder-Spiel“ schon nach wenigen Tagen bemerkenswerte internationale Aufmerksamkeit erfahren hat. Offen gestanden hat es mich überrascht, wie gewaltig das Interesse an diesem Thema ist: Menschen aus der ganzen Welt wollten wissen, was denn da in einem Fürther Mehrfamilienhaus vor sich geht.

Ein kleines bisschen schade ist die Kickstarter-Notbremse daher allemal. Es wäre hochinteressant gewesen, wie sich das Projekt weiterentwickelt hätte – zumal die Vision des Spiels, wie sie im ursprünglichen „RAW“-Werbevideo beschrieben wird, ja richtig klasse ist. Man möchte „RAW“ am liebsten spielen, jetzt, sofort.

Die Geschichte hätte zwei mögliche Extrem-Pointen haben können:

  • Entweder wären alle Neider, Zyniker und Bedenkenträger Lügen gestraft worden, weil das fertige Spiel komplett durch die Decke geht – und die Programmierer vor der Frage gestanden hätten, welches Grundstück sie neben der 70-Millionen-Dollar-Villa von „Minecraft“-Erfinder Markus Persson beziehen.
  • Oder aber die Entwickler hätten sich ein Land suchen müssen, das nicht ausliefert.

Oder eben irgendwas dazwischen.

Im nächsten Schritt soll es eine Finanzierungsrunde beim Kickstarter-Mitbewerber IndieGoGo richten. Man kann für Entwickler und Community nur hoffen, dass sich die Fehler nicht wiederholen.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


Alle bisherigen Folgen unserer Kolumnen-Reihe finden Sie in der Rubrik „Meinung“