Start Meinung Vormann zur E3-Absage: „Die Zukunft der Games-Messe? Nicht rosig.“

Vormann zur E3-Absage: „Die Zukunft der Games-Messe? Nicht rosig.“

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Gastkommentar zum E3-Aus vom langjährigen Head of Gamescom Lars Vormann (Foto: privat / GamesWirtschaft)
Gastkommentar zum E3-Aus vom langjährigen Head of Gamescom Lars Vormann (Foto: privat / GamesWirtschaft)

In seinem Gastkommentar zum Aus der E3 2023 analysiert der langjährige Head of Gamescom Lars Vormann die Lage der Games-Messen.

Zweieinhalb Jahre lang war er Mister Gamescom: Als Head of Gamescom beim Branchenverband BIU (heute: Game) trug Lars M. Vormann zwischen 2016 und 2019 die Verantwortung für die Kölner Videospiele-Messe. In der Spitze verzeichnete die Gamescom mehr als 370.000 Besucherinnen und Besucher.

Mittlerweile lebt und arbeitet Vormann in der Schweiz: Der Event- und Messe-Experte berät Veranstalter und setzt Konzepte um. Anlässlich der heute bekannt gewordenen Absage der US-Leitmesse Electronic Entertainment Expo (E3) sondiert er in einem Gastbeitrag die Zukunft der Spielemesse: Nach dem Rückzug großer Kunden hatten der Industrieverband ESA und die britische ReedPop-Gruppe entschieden, dass die E3 2023 nicht wie geplant Mitte Juni in Los Angeles stattfindet.


Der Pandemie-Dingo stahl mein Baby – oder: Warum die Pandemie herzlich wenig mit der Absage der E3 zu tun hat.

Stanley Pierre-Louis, seines Zeichens Präsident der Entertainment Software Association (ESA), macht also in seinem ersten Statement zur Absage der Electronic Entertainment Expo E3, die Covid-Pandemie („veränderten Entwicklungs-Zeitpläne in der Post-Corona-Phase“), die „nicht rechtzeitig spielbare Versionen der Neuheiten“ der potentiellen Aussteller und „Unsicherheiten im Markt mit Blick auf den richtigen Mix aus Live-Messen und rein digitalen Formaten“ verantwortlich.

Die eigentlichen – teilweise hausgemachten – Gründe bleiben unkommentiert. Also, zumindest von der ESA und ReedPop …

Die guten alten Zeiten

Es begub sich zu einer Zeit, als – bedingt durch die Erfindung des Buchdrucks durch einen gewissen Herrn Gensfleisch – die Printpresse noch ein Monopol auf Berichte über die wunderbare Welt der elektronischen Entertainment-Produkte hatte, als ich mich das erste Mal nach Los Angeles begab, um für einen damaligen Kunden, dem nun scheinbar der Vergangenheit angehörenden Event namens E3 beizuwohnen.

Ziel war es nicht, wie für die Mehrheit der damaligen akkreditierten Besucher, über die Vielzahl an Games zu schreiben, die dort zum ersten Mal der versammelten Presse und im Nachgang der Öffentlichkeit präsentiert wurden, sondern die Vielfalt an Ausstellerständen und deren Pressekonferenzen zu begutachten, um Ideen zu sammeln, die man gegebenenfalls bei der Konzeptionierung und Umsetzung der ähnlich aufwändigen B2C-Stände auf der Games Convention als „Inspiration“ verwenden konnte.

Während die Aussteller sich bereits damals gegeneinander ausstechen wollten was das „Größer, Schneller, Weiter“ anging. wofür diese Millionenbeträge auf den Tisch der ESA und des LA Convention Center blätterten, war der Fokus der Pressevertreter jedoch spürbar eher auf die PKs der großen Player der Branche fixiert.

Und so taxi-shuttelte (damals gab es noch kein Uber) man von einem Kodak Theatre zum Galen Center auf dem Campus der USC und von da zum Shrine Auditorium, um sich – nassgeschwitzt vom Stress und der Hitze im bereits sommerlichen Los Angeles – in den heiligen Press Briefing-Hallen den Air-Conditioning-induzierten Messeerkältungstod zu holen.

Und wozu das Ganze?

Bereits damals wurden die Highlights selbstverständlich in einer Art Massen-Crunch meist noch vor Ort durch die Pressevertreter in getippte Berichte und – bei den bereits zu dem Zeitpunkt zweigleisig fahrenden Magazinen – in YouTube-Clips zusammengezimmert im großen Rennen um die dürstende Leserschaft, die im wohltemperierten Zuhause mit dem Finger auf der F5-Taste nur darauf wartete, wer denn nun das erste Portal sei, das die neuesten Einsichten zu den heißgeliebten Spielen präsentieren möge.

Wer hier der erste war, der die News präsentierte, war dann für den Rest des Tages King und konnte sich süffisant zufrieden zurücklehnen, denn die Investition von Flug, Logis und Spesen, die der Buchhaltung im heimischen Office später präsentiert werden würde, hatte sich wieder einmal rentiert.

Und für die Präsentatoren und deren Gewerke, die es erneut geschafft hatten, ein originelles, überraschendes und hochglanzpoliertes Feuerwerk der Wow-Effekte aus dem Boden zu stampfen und bestenfalls bis zum exakten Zeitpunkt des „Now watch this“ auf den gigantomanischen Screen Zeigens geheim zu halten, war es eine gefühlte Medaille auf der stolzgeschwellten Brust, sowie ein leicht überheblicher „So. Und nun macht das erstmal besser.“-Blick zu den Mitbewerbern, deren PK in knapp zwei Stunden beginnen würde.

Der Vorteil an dem ganzen Zirkus? Alle Journalisten der Games- und Special Interest Presse waren geballt auf einem Punkt für einige Tage an einem Ort und man konnte sie – hoffentlich – mit entsprechendem Aufwand von den eigenen Produkten überzeugen.

Die Krux daran? Es musste alles während dieser paar Tage im Mai/Juni in LA passieren. Die Aufmerksamkeit für die eigenen Spiele musste mit den Mitbewerbern geteilt werden, die sich selbstverständlich ebenfalls mit dem größtmöglichen Tam-Tam präsentierten. Und zu allem Überfluss musste man sich mit den exorbitanten Messe-, Location- und Hotelkosten arrangieren, die merkwürdigerweise genau an diesen paar Tagen um gefühlte 3.000 Prozent stiegen.

Darüber rauften sich schon damals nicht nur die CFOs der Branche die Haare.

Der Umschwung

Als Plattformen wie YouTube und später auch Twitch auch immer beliebter bei Gamern wurden, die zwar keine journalistische Ausbildung hatten, sich aber – mehr oder minder – berufen und befähigt sahen, selbst von diesen ehemals exklusiv der Presse vorbehaltenen Briefings zu berichten und die Infos zum Teil Live an ihre gesammelte Zuschauerschaft zu übermitteln, kippte die Situation immer mehr.

Die Pressevertreter sahen sich zwar immer noch im Vorteil, da sie in den meisten Fällen einen viel direkteren Zugang zu den PR-Abteilungen der großen Spieleherstellern hatten und dadurch mit Insights glänzen konnten, die den damals noch abfällig belächelten und nicht als Konkurrenz empfundenen „Pseudo-Journos“ hinter den meist mit „Nur auf Einladung“ gekennzeichneten closed doors verborgen blieben.

Doch schnell entwickelten sich diese sich selbst filmenden Fanboys und -girls zu etwas, was den schreibenden Zunft-Profis schleichend wie ein Büffel-Stampede den Rang ablief: zu Influencern.

ROI, ROI, ROI your game gently down those streams

Immer mehr von diesen interaktiven Multiplikatoren stellten unter Beweis, dass sie sehr wohl die Fähigkeit besaßen, durch Originalität, Kreativität, Humor und zum Teil auch Polarisation eine treue Followerschaft an sich zu binden, die ihr Urteil zu veröffentlichten oder gar noch ausstehenden Titeln, als fachkundige Review zur Kenntnis nahmen und darauf auch ihre Kaufentscheidungen basierten.

Gleichzeitig fand das große Printsterben statt. Wieso auch noch ein wöchentlich oder gar monatlich erscheinendes Magazin kaufen, wenn die Infos darin schon längst von den minutenaktuellen Streams und/oder Websites in Aktualität überholt wurden?

Es dauerte nicht lang, bis auch in den angegrautesten PR-Abteilungen der Groschen fiel und man nun Presseakkreditierungen für Messen und Events an Influencer ab einer gewissen Größe wie Kamelle von den Wagen auf den Rosenmontagszügen in Köln und Mainz verteilte.

In den meisten Fällen waren diese Streamer und Youtuber auch einfacher zufrieden zu stellen, als die Journalisten der Magazine. Ein paar mehr oder weniger hochwertige Goodies ins Paket und schon bekam man freundliche Reviews. An WKZs (Werbekostenzuschüsse, Anm. d. Red.) / Anzeigenschaltungen oder gesponsorte Streams dachte zu diesem Zeitpunkt noch kaum jemand ernsthaft nach.

Dieser nächste gedankliche Schritt, geschah erst bei den Kosten-Nutzen-Analysen nach Messeklassikern, wie der E3 oder der Gamescom in den Buchhaltungs- und Controlling-Büros der größten Firmen der Branche. Irgendwo im stillen Kämmerlein wird sich wahrscheinlich ein findiger Finanzbuchhalter gedacht haben: „Diese geballten Branchen-Events, bei denen wir mit allen um die Aufmerksamkeit buhlen, lohnen sich doch alle gar nicht mehr! Wieso müssen wir da vor Ort sein?“ und brachte dies im nächsten Meeting zur Sprache.

Man musste ihm Recht geben, denn die Kosten, um die halbe Firma zu solchen Events zu fliegen, vor Ort für zu exorbitanten Hotelzimmer-Preisen plus Spesen unterzubringen, sowie die horrenden Preise der Messe-Locations, Standbauer und Agenturen, stiegen gefühlt jährlich exponentiell.

Von da war es nur noch ein vergleichsweise kleiner Sprung zu eigenen Events zum jeweiligen AAA-Titel, dessen Durchführung nicht nur vergleichsweise weniger kostete (und das inklusive Anreise, Unterbringung und Verpflegung der eingeflogenen Berichterstatter), sondern auch 100 Prozent Fokus auf das eigene Produkt garantierte.

Zusätzlich wurde der Event natürlich noch auf der hauseigenen Plattform gestreamt und somit auch noch die Kundschaft erreicht, die den ausgewählten Influencern (noch) nicht folgte. Der offizielle Live-Stream wurde natürlich in den meisten Fällen vom jeweils führenden Influencer für dieses Game moderiert. Diese Entwicklung begann bereits zur Mitte der 2010er, als man „Pandemie“ noch am ehesten mit Ebola in Verbindung brachte und Coronaviren höchstens bei informierten Wissenschaftlern eine Rolle spielten.

Quo Vadis Games-Messe?

Wie sieht es also – trotz des Pushens der jeweiligen Verbände und der Schuldzuweisungen an die Covid-Pandemie, die die eigentliche Entwicklung des Umdenkens nur beschleunigt hat – für die Zukunft der Gamesmessen wie E3 und auch Gamescom aus?

So leid mir es tut, aber nicht zu rosig. Wer es sich in der Branche finanziell leisten kann, wird in Zukunft aus den genannten Gründen ein eigenes Süppchen kochen und dies heiß und nicht warmgehalten präsentieren – frei nach John D. Carmack: „When it’s done.“

Somit bleiben diejenigen, die weder das Marketing-Budget für teure Showcases noch die führenden Influencer haben: die Indies. Allerdings können diese eine großangelegte Messe wie die beiden genannten nicht refinanzieren, da die Preise immer weiter steigen und weil die Besucherzahlen zwangsläufig fallen, wenn die AAA-Zugpferde ausbleiben.

Tut das weh? Natürlich! Ich habe seit 2004 an jeder deutschen Leit-Gamesmesse teilgenommen. Ich trage das ursprüngliche Gamescom-Logo bis ans Ende meiner Tage auf meiner Schulter.

Das Familientreffen-Gefühl der Branche auf diesen zentralen jährlichen Leuchtfeuer-Veranstaltungen, werden sicherlich viele aus der Branche vermissen, die es selber miterlebt haben – und es wird auch ohne diese fixen Events schwer zu reproduzieren sein, aber aufhaltbar ist der Trend wohl leider nicht.


Mit den Aus- und Nebenwirkungen der E3-Absage mit Blick auf die Gamescom 2023 beschäftigt sich auch die heutige Ausgabe der GamesWirtschaft-Freitagskolumne.