Ohne Kohle keine Konsole: Damit die Intellivision Amico doch noch irgendwie in Serie geht, setzt CEO Phil Adam auf einen radikalen Strategiewechsel.
„Ich bin 69 Jahre alt. Ich lasse mich davon nicht ablenken. Ich lese das noch nicht mal. Mein Job ist es, die Firma am Leben zu halten und sehr gute Produkte an Familien auszuliefern.“
Mit ‚das‚ meint Phil Adam all den Argwohn und Spott, der seit Jahren und nach wie vor täglich durch Foren und Social Media schwappt. Denn Adam ist Chief Executive Officer der Intellivision Amico LLC – jenes US-Unternehmens, das seit 2018 den ziemlich wahnsinnigen Plan verfolgt, den Spielkonsolen-Markt mit der Intellivision Amico zu bereichern.
Noch bis vor kurzem konnte man diese Konsole auch in Deutschland vorbestellen, etwa bei MediaMarkt und Amazon. Kostenpunkt: sportliche 280 €, inklusive vorinstallierten Games und zwei Controllern. Ursprünglich sollte das Gerät im Herbst 2020 erscheinen. Einen konkreten Termin kann der Manager auch auf Nachfrage nicht nennen – dazu gleich mehr.
Phil Adam ist wie Obi-Wan Kenobi – die letzte Hoffnung von Intellivison. In dieser Woche er sich die Zeit genommen, um in einer Video-Schalte mit GamesWirtschaft die drängendsten Fragen abzuschichten, die sich in den vergangenen Monaten angesammelt haben. Warum ausgerechnet eine deutsche Publikation? Auch dazu gleich mehr.
Intellivision Amico: Spielkonsole im Survival-Modus
Wichtigste Botschaft vorneweg: Ja, bei Intellivision ist man weiterhin wild entschlossen, irgendwann die versprochene Konsole zu produzieren und auszuliefern. Adam beteuert: Die Konsole sei ‚production ready‘. Allein: Es fehlt am nötigen Kapital für die Serienproduktion. Und weil das so ist, hat Adam das Geschäftsmodell auf den Kopf gestellt. Oberste Priorität: Geld einsammeln. Irgendwie.
Wie so oft käme er auch diesmal ins Spiel, wenn’s hart auf hart kommt, sagt der Games-Pionier – wie in den frühen 80ern als Gründer der Kultfirma Spectrum Holobyte, die unter abenteuerlichen Umständen die Vertriebsrechte der PC-Version von Tetris an Land zog.
Seine aktuelle Strategie beschreibt Adam als „Survive then strive“ – also: erstmal überleben, von da aus weiter. Zu den ersten Amtshandlungen als Intellivision-Feuerwehrmann gehörte es, die laufenden Kosten zu stoppen und die brutale Cash-Burn-Rate zu senken. Nahezu die komplette Belegschaft wurden entlassen; Büros, die während der Pandemie ohnehin oft leer standen, hat er aufgelöst. PR und Marketing sind faktisch zum Erliegen gekommen.
Mittlerweile sind bei Intellivision nur noch fünf Personen beschäftigt – er selbst, ein Experte für die Finanzen, ein Kollege fürs Business Development, dazu der eine oder andere Freiberufler und Berater. Jede McDonald’s-Filiale hat mehr personelle Kapazitäten.
Wie Intellivision künftig Geld verdienen will
Ideologisches Festhalten an den 10 ursprünglichen Intellivision-“Geboten“ kann sich Adam buchstäblich nicht leisten. Deshalb hat er Amico-Lizenzen wie Shark! Shark! und Astrosmash vor einigen Monaten an die Münchener BBG Entertainment GmbH verkauft; die Markenrechte sind bereits übertragen. BBG will diese und weitere Intellivision-Spiele demnächst auf PC, Switch und Xbox anbieten – bei Steam sind sie bereits gelistet.
Dem Vorwurf, dadurch würde das Tafelsilber versilbert, kann Adam wenig abgewinnen: Aus seiner Sicht hat sich durch diesen Deal nichts am Markenversprechen geändert, weil er ja weiterhin Shark! Shark! & Co. auf der Intellivision Amico anbieten darf. Nun kämen eben weitere Plattformen hinzu – what’s not to love.
Adam verspricht sich von diesen Lizenz-Deals umgekehrt einen Marketing-Effekt. Denn dadurch würden auch Provisionen eingespielt, mit denen sich wiederum Investoren überzeugen ließen. Motto: Wir sind immer noch da – und sind gekommen, um zu bleiben. Und wenn das gelänge, könne man auch endlich die Konsolen produzieren. Im Idealfall käme genügend Geld zusammen, um mehr als nur die Vorbesteller zu bedienen.
Ob und wann das der Fall sein wird: offener denn je.
Steuergeld für Amico-Games: Stupid German Money?
Dass Intellivision abermals mit einem Partner in Deutschland kooperiert, ist im Übrigen kein Zufall – zumal mit Plaion (zuvor: Koch Media) auch der europäische Vertriebspartner für die Konsole aus München kommt. Es sind zwei von mehreren Gründen, warum das Schicksal der Intellivision Amico jenseits des angelsächsischen Raums hierzulande mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt wird.
Hinzu kommt nämlich, dass das europäische Hauptquartier seit Juni 20219 im fränkischen Nürnberg beheimatet: Seit einem Jahr führt Adam auch die Geschäfte der formal weiterhin bestehenden Intellivision Entertainment Europe GmbH.
Unmittelbar mit dieser Filiale hängt auch der Umstand zusammen, dass von Nürnberg aus Fördermittel bei Bund und Ländern eingeworben wurden. Allein der Freistaat Bayern hat 450.000 € in Pong, Moon Patrol, Shark! Shark! und Skiing investiert, die im Anschluss von bayerischen Studios umgesetzt wurden. Für Snafoo und Biplanes steuerte Scheuers Verkehrsministerium weitere 160.000 € bei – in Summe also über 600.000 € an Steuergeld.
Die Spiele sind längst fertig – fehlt bloß noch die Konsole.
Eine Retro-Konsole, die keine Retro-Konsole sein will
Der jüngste Intellivision-Strategiewechsel ist eine weitere Facette in einer filmreifen Geschichte voller Hoffnungen, Ankündigungen, Ungereimtheiten, Nebelkerzen, Investoren-Stunts und Missverständnisse. Was bereits damit anfängt, dass der Amico zwar nach einer Mattel-Spielekonsole der 80er Jahre benannt ist, ein Retro-Logo aufweist und Neuauflagen von Moon Patrol und Pong abspielen soll, aber eben keinesfalls als schnöde Retro-Konsole wahrgenommen werden will.
Denn die eigentliche Zielgruppe sind Familien. Der Amico (italienisch für Freund) soll Eltern und Kinder im Vor- und Grundschul-Alter wieder am gemeinsamen Wohnzimmer-Lagerfeuer vereinen – wie früher. Ohne Ingame-Käufe, ohne DLCs, ohne Online-Gedöns. Anschalten, Spaß haben. Jung und Alt. Together Again.
Kritiker bemängeln, dass Intellivision damit eine Lösung anbietet, für die das passende Problem erst noch erfunden werden muss. Denn explizit die Nintendo Switch liefert seit sechs Jahren genau diese Art von Koop-Spielen in absurder Qualität und Taktfrequenz.
Zweite Achillesferse: der Preispunkt. Mit 280 bis 300 € rangiert das Gerät in einer Liga mit Nintendo Switch oder Xbox Series S. Für den Zusatz-Controller werden 69,99 € fällig, für Spiele 17,99 €.
Das Argument, der Preis für Hardware und Zubehör sei (viel) zu hoch, lässt Adam nicht gelten: „Einige unserer Kritiker verstehen einfach nicht, wie teuer es ist, solche Controller zu produzieren.“ Als kleine Firma könne es sich Intellivision schlichtweg nicht leisten, die Geräte zunächst mit Verlust zu verkaufen und im Anschluss an 70-€-Spielen zu verdienen, wie es Sony, Nintendo oder Microsoft nach dem Vorbild des Rasierklingen-Gewerbes praktizieren.
„Wir haben es nicht hinbekommen, die Produktionskosten der Konsole so niedrig wie möglich zu halten – und Corona hat hier nicht geholfen, weil die Komponenten-Preise in die Höhe geschossen sind.“ Er sei daher angetreten, einen Weg aus diesem Teufelskreis zu finden.
Was macht eigentlich … Tommy Tallarico?
Das Drama um die Intellivision Amico ist untrennbar mit dem Namen Tommy Tallarico verbunden – jener schillernden Figur, die einst wie Moses die 10 Intellivision-Gebote für gutes Spieldesign über die Menschheit brachte.
Der Spieldesigner, Produzent, Komponist, Unternehmer und Weltrekordhalter ist nicht nur der Cousin von Aerosmith-Rocker Steven Tyler: Mit der Soundtrack-Konzertreihe Video Games Live tourte er um den kompletten Erdball – ehe er mit dem Projekt Intellivision eine neue Berufung fand.
Seit der Übergabe der Amtsgeschäfte an Phil Adam im Frühjahr 2022 ist Tallarico abgetaucht. Gleichwohl ist er immer noch größter Anteilseigner und tauscht sich im Wochenrhythmus mit Phil Adam aus. Ins Tagesgeschäft ist er nicht involviert.
Auch Tallaricos Karriere als emotional leicht entflammbares Intellivision-Maskottchen hat damit ein vorläufiges Ende gefunden. Was gleichzeitig verhindert, dass sich Tallarico in Foren, Podcasts und YouTube-Videos stundenlang an Zweiflern und Spöttern abarbeitet und dabei sehr schnell und sehr regelmäßig im Ton vergreift. Phil Adam sieht’s entspannt: Wenn du von einer Sache derart begeistert bist und mit übermäßiger Leidenschaft rangehst, dann passiert es eben leicht, dass man übers Ziel hinaus schießt.
Überhaupt machen sich die Leute keine Vorstellung davon, was es heißt, eine Konsole auf den Markt zu bringen: „Hatte Tommy vielleicht zu naive Vorstellungen vom Aufbau einer Hardware-Firma? Klar, wie jeder von uns. Auch ich, als ich einst Spectrum Holobyte gegründet habe. Als Unternehmer probieren wir alles Mögliche, was eigentlich nicht funktionieren kann. Aber weil wir mit Leidenschaft herangehen, gibt es eine Chance auf Erfolg.“
Und diese winzige Restchance will Phil Adam nicht so ohne Weiteres verspielen. Deshalb werde er alles daran setzen, das faktisch Unmögliche doch noch möglich machen – und eine Spiekonsole auszuliefern. Im ersten Schritt sollen Vorbesteller, die Intellivision ungeachtet aller Vertrauens- und Anzahlungs-Vorschüsse die Treue halten, in einen ‚Amico Club‘ aufgenommen und von nicht näher spezifizierten ‚Belohnungen‘ profitieren. Denn: „We are still there because of them“.