Start Politik Infektionsschutzgesetz: Die Folgen der ‚Notbremse‘ für den Handel

Infektionsschutzgesetz: Die Folgen der ‚Notbremse‘ für den Handel

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Das Reichstagsgebäude in Berlin vis-à-vis des Kanzleramts ist der Sitz des Deutschen Bundestags (Foto: GamesWirtschaft)
Das Reichstagsgebäude in Berlin vis-à-vis des Kanzleramts ist der Sitz des Deutschen Bundestags (Foto: GamesWirtschaft)

Nach hitziger Debatte hat der Bundestag am heutigen Nachmittag das Infektionsschutzgesetz auf den Weg gebracht – auch der Handel ist betroffen.

Update vom 23. April 2021: Nach der Zustimmung des Bundesrats hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Infektionsschutzgesetz unterschrieben. Damit tritt das Gesetz bereits am morgigen Samstag (24. April) in Kraft. Parallel sind eine ganze Reihe von Klagen beim Bundesverfassungsgericht in Vorbereitung.

Bis die Karlsruher Richter entscheiden, gilt für den Handel Folgendes:

  • Lebensmittelgeschäfte, Supermärkte und ausgewählte Branchen dürfen wie bisher öffnen, unabhängig davon, wie hoch die 7-Tage-Inzidenz vor Ort ausfällt. Zu diesen Branchen zählen unter anderem Drogerien, Optiker, Tankstellen, Zeitschriftenläden, Blumengeschäfte, Tierbedarfsmärkte, Getränkemärkte, Babyfachmärkte, Sanitätshäuser, Apotheken und Buchhandlungen.
  • Es gilt eine Beschränkung der maximalen Kunden-Zahl: Auf den ersten 800 Quadratmetern Verkaufsfläche darf sich ein Kunde pro 20 Quadratmeter aufhalten – handelt es sich um größere Geschäfte, kommt für jeweils 40 Quadratmeter maximal ein Kunde hinzu. Beispiel: In einem Supermarkt mit 2.000 Quadratmetern dürfen sich 70 Kunden (40 + 30) gleichzeitig aufhalten.
  • Die sogenannte „Notbremse“ greift erst ab einer 7-Tages-Inzidenz von über 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen. Unter dieser Marke dürfen Geschäfte grundsätzlich öffnen, aber abhängig von der Verkaufsfläche nur eine bestimmte Zahl an Kunden gleichzeitig im Laden zulassen.
  • Bei einer 7-Tage-Inzidenz zwischen 100 und 150 ist Click & Meet möglich, also der Einkauf nach Terminvereinbarung bei Vorlage eines negativen Corona-Tests (nicht älter als 24 Stunden). Daneben gelten die bekannten Regeln, also Maskenpflicht, Abstand etc. Ist die Notbremse einmal in Kraft, muss die Stadt oder der Landkreis zunächst die 100er-Inzidenz an fünf aufeinanderfolgenden Werktagen unterschreiten: In diesem Fall dürfen die Geschäfte erst am übernächsten Werktag wieder öffnen.
  • Ab einer 7-Tage-Inzidenz von 150 an drei aufeinanderfolgenden Tagen ist nur noch die Abholung von vorbestellten Artikeln (Click & Collect) zulässig.
  • Grundsätzlich gilt, dass die Bundesländer ihrerseits befugt sind, auch strengere Maßnahmen anzuordnen.

Meldung vom 21. April 2021: 342 Ja-Stimmen, 250 Nein-Stimmen, 64 Enthaltungen: Mit der Mehrheit von Union und SPD hat der Deutsche Bundestag heute dem neuen Infektionsschutzgesetz zugestimmt – in voller Schönheit trägt es den Titel: „Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“.  Die Änderungsanträge der Opposition wurden erwartungsgemäß abgelehnt.

Im nächsten Schritt wird sich der Bundesrat am Donnerstag mit dem Papier beschäftigen – in Kraft treten kann das Gesetz bereits ab kommender Woche, frühestens aber am Samstag (24. April). Die Maßnahmen sind zunächst bis 30. Juni befristet. Mehrere Parteien, Einzelpersonen und Verbände haben Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt oder bereits eingereicht.

Ziel des Infektionsschutzgesetzes sind bundeseinheitliche Mindest-Standards zur Bewältigung der Corona-Pandemie, die automatisch bei hohen Infektionszahlen jenseits einer Marke von 100 Infektionen pro 100.000 Einwohnern innerhalb von 7 Tagen greifen – den Ländern und Kommunen bleibt hier kein Interpretationsspielraum.

Vorgesehen sind unter anderem die heftig umstrittene Ausgangssperre zwischen 22 und 5 Uhr, regelmäßige Tests von Schülern vor der Teilnahme am Präsenzunterricht und die Ausweitung von Home-Office-Angeboten. Gastronomie, Kinos, Theater, Museen, Diskotheken, Schwimmbäder und Indoor-Spielplätze bleiben bis auf Weiteres geschlossen, wohingegen Zoos und Botanische Gärten unter Auflagen öffnen dürfen.

Auswirkungen hat das Infektionsschutzgesetz insbesondere auf den Einzelhandel: Supermärkte, Apotheken, Getränkemärkte, Drogerien, Optiker, Buchhändler, Blumenläden, Gartenmärkte und Zoogeschäfte dürfen weiterhin unabhängig von der Inzidenz öffnen, weil sie dem täglichen Bedarf zuzurechnen sind.

Ungleich strenger sind die Regeln bei Geschäften, die anderen Branchen angehören, etwa Elektronikmärkte, Sportgeschäfte oder Modeläden: Liegt die 7-Tages-Inzidenz zwischen 100 und 150, dann ist der Einkauf immerhin nach vorheriger Termin-Buchung und mit negativem Corona-Test möglich („Click & Meet“).  Ab einer Inzidenz von 150 müssen diese Geschäfte komplett geschlossen bleiben.

Branchenunabhängig möglich bleibt hingegen das Modell „Click & Collect“: Wer Waren im Online-Shop reserviert, kann die Artikel vor Ort in der Filiale abholen.

Die Händler-Initiative „Das Leben gehört ins Zentrum“ hat vor der Abstimmung im Bundestag einen Offenen Brief an die Abgeordneten geschickt. Darin beklagen die Unternehmen eine Ungleichbehandlung unterschiedlicher Branchen: Während Discounter, Warenhäuser und Lebensmittelhändler ohne Einschränkungen Schuhe, Bekleidung, Spielwaren, Haushaltswaren oder Unterhaltungselektronik verkaufen dürfen, ist dies Fachhändlern explizit untersagt.

Zudem sollen die Läden nach den Vorstellungen des Handels für Geimpfte und Getestete öffnen dürfen. Die Initiative wird von großen Ketten wie MediaMarkt / Saturn, Thalia, Deichmann, Kik, H&M, Galeria Karstadt Kaufhof, New Yorker und Hugendubel unterstützt.

Etliche Einzelhändler haben dennoch bereits ihre ganz eigene Notbremse gezogen: In der vergangenen Woche hatte unter anderem GameStop angekündigt, prophylaktisch (fast) alle Läden zu schließen – selbst die Abholung von Spielen und Konsolen ist dadurch vorerst nicht mehr möglich.

Mit wenigen Ausnahmen in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und weiteren Bundesländern liegen derzeit nahezu alle deutschen Städte und Landkreise über dem Schwellenwert von 100, ab dem das Bundes-Infektionsschutzgesetz greift.