Die Hysterie um die Datensammelwut von Apps wie Pokémon Go und Prisma zeigt vor allem eines: Datenschutz ist den meisten Usern von Herzen egal – meint GamesWirtschaft-Chefredakteurin Petra Fröhlich.
Im Grunde weiß jeder, dass zu viel Zucker schädlich ist. Zu viel Fett. Zu viel Salz. Und trotzdem hält dieses Wissen Millionen Menschen in der westlichen Zivilisation nicht davon ab, regelmäßig die Fensterscheibe vor dem Bestellschalter am McDrive runterzukurbeln. Oder sich morgens ein inhaltsloses Teilchen beim Bäcker zu organisieren.
Je üppiger die Hüften, desto rückläufiger die Lebenserwartung. Weiß jeder. Alle sind sich der Risiken bewusst. Auf jeder Chips-Tüte ist aufs Milligramm genau ausgewiesen, was drin steckt. Und trotzdem wird eifrig weiter gefuttert und darüber gejammert, dass uns die Lebensmittelindustrie nach allen Regeln der Kunst verführt. Das ist nicht lustig – aber funny.
Pokémon Go und Prisma-App: Heuchelei und Naivität auf neuem Niveau
Ähnliches gilt für den Datenschutz. Ungezählte Facebook-User haben kein Problem damit, einerseits öffentlich Zuckerbergs Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu widersprechen (denen sie irgendwann mit einem beherzten Klick auf den „Wer soll das alles durchlesen? Wird schon passen!“-Button zugestimmt haben) und gleichzeitig Fotos der eigenen Kinder zu posten. Oder Räuberbanden die Lieblings-Jogging-Strecke samt bevorzugtem Zeitfenster zu präsentieren.
Falls morgen Unbekannte vor der Wohnung stünden und um intimste Familienfotos bitten würden – niemand würde nach einem prüfenden Blick durch den Spion auch nur auf die Idee kommen, die Tür zu öffnen. Die allerwenigsten haben aber ein Problem damit, exakt die selben Fotos auf die russischen Server der Prisma-App-Macher zu laden und sie dort von ausgefuchsten Algorithmen in ein Kunstwerk von van Gogh’scher Schönheit verwandeln zu lassen. Was mit den Bildern im Anschluss passiert? Mir doch wurscht.
Auch die Debatten um die Orts-Aufzeichnungen innerhalb der irrsinnig populären Pokémon-Go-App zeigen vor allem eines: Dass wir zugunsten von Frohsinn und Unterhaltung bereit sind, jegliche angeborene Skepsis über Bord zu werfen.
Die Wahrheit lautet: Auch wenn jeder vorgibt, dass ihm Datenschutz und Privatsphäre im Zweifel wahnsinnig wichtig seien, ist es den meisten unter uns von Herzen egal. Schon Edward Snowdens Enthüllungen haben nur für geschätzte eineinhalb Tage die Schlagzeilen dominiert. Und trotzdem wird jeder ahnen, dass das auch weiterhin sehr wohl geht, dieses berühmte Spionieren unter Freunden.
Wer Facebook, Prisma, Runtastic oder Pokémon Go installiert, bei Amazon Waren bestellt, Suchbegriffe bei Google eintippt oder an der Supermarktkasse die Payback-Karte zückt, akzeptiert seit jeher stillschweigend, dass Protokoll geführt wird über Umsätze, Freunde, Orte, Gewohnheiten. Das ist der Preis, den wir zahlen für Facebook-Profilbilder im Popart-Stil und ein Rudel eingesammelter Pokémonster.
Sich über diese Entwicklung zu echauffieren, ist mindestens naiv. Im Zweifel aber eher fortgeschrittenes Heuchlertum. Und in etwa so hilfreich, als würde man die geleerte XXL-Chipstüte beschimpfen, dass sie uns vorher nicht über Risiken und Nebenwirkungen aufgeklärt hat.