Start Meinung Alles lässt sich gendern (Fröhlich am Freitag)

Alles lässt sich gendern (Fröhlich am Freitag)

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Mittlerweile auch vom Duden anerkannte Profession: die Gamerin.
Mittlerweile auch vom Duden anerkannte Profession: die Gamerin.

This is for the players*innen: In der deutschen Games-Branche ist das Gender-Sternchen nach wie vor Industrie-Standard.

Verehrter GamesWirtschafts-Leser,
verehrte GamesWirtschafts-Leserin,

dass die fröhliche Freitags-Kolumne seit vielen Jahren just mit dieser Begrüßung (oder in umgekehrter Reihenfolge) startet, fußt auf der stumpfen Überlegung, schon mit der Anrede möglichst viele Leser*innen und Lesende abzuholen.

So, batsch, jetzt ist es passiert. Es wurde gegendert. Sorry. Kommt nicht wieder vor.

Denn um es gleich offen zu legen: Ich bin kein glühender Fan dieser kommunikativen ‚Weiterentwicklung‘. Mit Blick auf die enormen Einflüsse und Veränderungen, der sich ja jede Sprache permanent ausgesetzt sieht, hielt ich Gender-Gaps (Spieler_in), -Sternchen (Spieler*in) oder -Doppelpunkte (Spieler:in) für einen eher mittelguten, um nicht zu sagen: doofen Trend. Einfach deshalb, weil es den Lese- und Redefluss stört – zuweilen: zerstört.

Diese nüchterne Erkenntnis ist nach anfänglicher Da-simma-dabei-Euphorie in Unternehmen, Medien und Behörden eingesickert. Bei den allermeisten Online-Portalen, Rundfunkanstalten und Tageszeitungen wird nicht länger mit Sonderzeichen gegen den Gender Pay Gap angegendert – mit ganz wenigen Ausnahmen wie der unverwüstlichen taz.

Was es stattdessen und an ganz vielen Stellen gibt, sind klare Richtlinien, die zu möglichst neutralen Formulierungen ermuntern, teils verpflichten. Dann sind’s halt keine Mitarbeiter, sondern Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Oder etwas eleganter: ‚die Beschäftigten‘ oder ‚die Angestellten‘ oder ‚die Belegschaft‘. Geschlechter-gerecht oder Gender-sensibel, wenn man so will. Pragmatisch, praktisch, gut.

Mir gefällt das – weshalb ich das genau so auch bei GamesWirtschaft praktiziere.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Der Blick in den Posteingang und auf Websites zeigt: Normal ist das nicht. Die Realität ist mit „grassierender Wildwuchs“ nur unzureichend beschrieben – so, als würde jeder Absender auf Teufel komm raus seine ganz eigene Interpretation der Komma-Setzung am Markt etablieren wollen. Paragraph Eins: Jeder macht seins. Das gilt für Medien genauso wie für Unternehmen.

  • Bei der Gamescom gibt es zum Beispiel weder Besucherinnen noch Besucher, sondern ‚Besuchende‘ – die Steigerung lautet ‚Fachbesuchende‘. Aussteller sind keine Aussteller, sondern Ausstellende. Wo’s gar nicht anders geht, greift Plan B: Es heißt also nicht Content-Creatende, sondern Creator:innen.
  • Die großen Player wie Electronic Arts, Microsoft Xbox, Ubisoft, Capcom, THQ Nordic, Square Enix und Bethesda, viele mittelständische Publisher und Indie-Studios, die meisten Ministerien, die Parteien links der Mitte, Agenturen sowie Veranstalter adressieren wahlweise ‚Spieler*innen‘ oder ‚Spieler:innen‘. In Pressemitteilungen wird demzufolge stramm durchgegendert – auf Social Media seltener bis gar nicht. Der Branchenverband hopst munter zwischen ‚Gamerinnen und Gamern‘ und ‚Spielenden‘.
  • Einigermaßen originell ist die Vorgehensweise der Veranstaltungsbranche: Auf der Leipziger Maschinenbau- und Zulieferer-Messe am vergangenen Wochenende regelte offenkundig das Patriarchat – zumindest finden in den dazugehörigen Pressemeldungen ausschließlich Besucher in ihrer maskulinen Form statt. Wer hingegen Besucher:innen sucht, findet sie an gleicher Stelle an den Spielstationen der Caggtus Leipzig (11. – 13. April) und natürlich auch auf der Buchmesse, wo sich Leser:innen und Autor:innen die Klinke in die Hand geben.

Und die Fachpresse? Auch deren Herangehensweise ist so bunt wie die Medienlandschaft – die Sollbruchstellen verlaufen manchmal innerhalb des selben Hauses: GamePro gendert – GameStar nicht (zumindest nicht serienmäßig).

Dass in den Artikeln auf 4P (formerly known as 4Players) gezielt ‚Held*innen‘ und ‚Anhänger*innen‘ auftreten, wird mit einer „gesellschaftlich und sozial sinnvollen Veränderung der Sprache“ hergeleitet, die man im Rahmen des „journalistischen Ethos gerne vertreten“ wolle. Ich persönlich finde ja, dass sich ‚Ethos‘ in der Praxis an ganz anderen Faktoren festmacht, aber das mag man als altmodisch bewerten.

Nun lässt sich argumentieren: Wen schert’s? Hammwer denn keine anderen Probleme? Soll doch jeder Betrieb und jede PR-Abteilung und jede Agentur selbst entscheiden, wie sie es mit der Genderei hält.

Spoiler-Alarm: Genau das passiert auch – und zwar mit bemerkenswertem Aufwand und mit heiligem Ernst. So gibt es regelrechte Schulungen, Analysen, Präsentationen, Checklisten, Rund-Mails. So wie in Styleguides jede CMYK-Nuance von Marken-Logos auf die Nachkommastelle festgelegt wird, existieren in Deutschlands Games-Industrie erstaunlich klare Vorstellungen und Vorgaben mit Blick auf die Frage: Wie blicken wir eigentlich auf unser Publikum im deutschsprachigen Raum – und welche Ansprache leitet sich daraus ab?

Man tritt der Kultur- und Kreativ-Wirtschaft im Allgemeinen und der Computerspiele-Branche im Besonderen nicht allzu nahe, wenn man ihr ganz überwiegend eine Grundhaltung bescheinigt, die zuweilen abwertend als ‚politisch korrekt‘ (oder neudeutsch: ‚woke‘) beschrieben wird – aber im Kern ja was sehr Positives meint, nämlich ein wachsames Auge auf Unwucht aller Art. Also pro Vielfalt, Gleichberechtigung, Inklusion – contra Diskriminierung, Rassismus, Extremismus, Sexismus, all das.

Nur: Wenn man der zugegebenermaßen reichlich romantischen Vorstellung nachhängt, dass Pressemitteilungen und anderweitige Verlautbarungen nach Möglichkeit von der Presse aufgegriffen werden sollen, dann sind Gender-Sternchen ungefähr so hilfreich wie der Versand von PDF-Dokumenten, Schwarz-/Weiß-Portrait-Fotos oder angehängte 30-MB-Key-Artworks (und Sie ahnen nicht, wie oft das vorkommt).

Gerade bei der Wiedergabe wörtlicher Zitate wird es regelmäßig bizarr. Es sind somit ganz praktische Erwägungen, die dankenswerterweise zu Neubewertungen führen. Beim Autobauer Audi (um ein aktuelles Beispiel zu nennen) wird genau aus diesem Grund neuerdings nicht mehr gegendert.

In diesem Zusammenhang darf man ein kleines bisschen gespannt sein, in welcher Form das Thema im Koalitionsvertrag Eingang findet. CDU und CSU hatten in Wahlkampf und -programm ja sehr offensiv „für ein Deutsch ohne Beipackzettel und Bevormundung“ getrommelt. Stattdessen wolle man sich dafür einsetzen, dass im öffentlichen Raum – an Schulen und Universitäten, in TV und Radio, in der Verwaltung – auf Gendersprache verzichtet wird. Es klingt nach anstrengenden Diskussionen mit den mitverhandelnden Sozialdemokraten.

Ganz ehrlich: In stillen Momenten keimt leiser Neid auf, dass man zumindest diese wundervolle Facette des Kulturkampfs im Angelsächsischen nicht kennt. This is for the players – Ende der Diskussion.

Ein sonniges Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


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3 Kommentare

  1. ich möchte zu bedenken geben, das

    „Verehrter GamesWirtschafts-Leser,
    verehrte GamesWirtschafts-Leserin,“

    nicht ausreicht um alle anzusprechen!

    So wie Jan Böhmermann immer zu sagen pflegt, fehlen bei dieser Ansprache „alle dazwischen und außerhalb“. An dieser Stelle würde sich doch dann auch „Verehrter GamesWirtschafts-Lesende,“ anbieten.

  2. Wunderbar sachlich geschrieben und zugleich doch kritisch aktuell.

    Dabei liegt die Macht nicht in den Worten selbst, sondern bei Jenen, die die Worte definieren.
    Im diesem Sinne sollte es also Ziel sein, stets *Das dahinter“ zu sehen/erkennen und entsprechende Intention anzuwenden, anstatt oberflächlich zu verschlimmbessern.

    Mein absoluter Graus sind englische wissenschaftliche Texte mit They/Them, die leider nicht selten äußerst verwirrend sind… sind es nun Mehrere Personen oder doch nur Eine…

    Persönlich bin ich für vernunftvolle und faire Gleichberechtigung und Gleichstellung. Doch leider ist es nicht immer möglich eines oder beides *zeitnah“ umzusetzen, zu Vieles ist historisch unausgewogen gewachsen. Auch hilft halb-blinder Aktionismus oft nicht weiter und führt nicht selten zu noch mehr ungleichheit und vorallem ungerechtigkeit. Und die grundlegenden Basis/Probleme anzugehen braucht manchmal viele Jahre und Jahrzehnte.

    Ich hoffe das unsere Welt einmal das Ziel einer fairen und gerechten Welt erreicht… aber erstmal müssen wir uns wieder aufrappeln, das derzeitige (globale) Chaos in Ordnung bringen und anfangen die Welt wieder Stück für Stück besser zu machen… auch und gerade mit Sprache und Kommunikation.

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