Der Xodus weg von X hin zu Bluesky ist mess- und unübersehbar. Dafür gibt es Gründe. Warum GamesWirtschaft auf X bleibt – trotz allem.
Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
vor sechs Jahren hat die CSU-Digital-Politikerin Dorothee Bär den gleichermaßen schönen wie wahren Satz formuliert, auf Twitter seien vorrangig Politiker, Journalisten und Psychopathen unterwegs.
Das stimmte schon damals, als X noch Twitter hieß – und ist heute richtiger denn je.
Die Übernahme des damaligen Kurznachrichtendienstes durch Elon Musk vor zwei Jahren hat eine vorübergehende Bettflucht in Richtung Mastodon (Mastodon? C’mon, Sie erinnern sich doch? Nein? Oh.) ausgelöst, deren Dynamik sich durch den verblüffend deutlichen Wahlsieg von Musk-Bro Trump messbar intensiviert hat – jetzt eben zu Bluesky (dem man beim Wachsen förmlich zugucken kann), in Ausnahmefällen zur Instagram-Schwägerin Threads.
Warum gerade jetzt? Zur Begründung wird meist auf die unheilige Trump-Musk-Melange samt einer unguten Stimmung verwiesen, die einen Verbleib auf X als Zumutung erscheinen lassen. Und überhaupt sei X bekanntlich seit jeher wahlweise überbewertet, überflüssig, dem Untergang geweiht und/oder eine kommunikative Güllegrube.
Mit sensationell geringem Aufwand lassen sich deshalb sehr viele Likes, schnurrende Zustimmung und vermutlich auch eine Handvoll Karma-Punkte einsammeln, indem man als X-Casual-Nutzer auf Nicht-X-Plattformen verkündet, dass man X verlassen habe – gerne flankiert von einem Beweis-Screenshot. Dabei gilt ja eigentlich: „This is not an airport. You don’t need to announce your departure.“
Wer sich dennoch entscheidet, derlei ‚Boykott‘ nicht im stillen Kämmerlein zu praktizieren, sondern sehr öffentlich zu machen, verknüpft damit serienmäßig eine Botschaft, die klar machen soll: Leute, alle mal herschauen, ich bin sehr stabil – und stehe auf der richtigen Seite. Das ist selbstverständlich völlig legitim. Jede und jeder muss und darf für sich selbst definieren, wo rote Linien verlaufen – und entsprechend handeln. Alleine schon aus Gründen der Katharsis. Jeder ist frei in der Wahl seiner Echokammern.
Im Falle von Unternehmen, Verbänden, Veranstaltern, Bundesligisten, Parteien, VIPs, Medien ist die Lage etwas komplexer, weil es schlichtweg um Sichtbarkeit geht. Und damit um Geld, denn Herstellung und Erhalt von Sichtbarkeit ist gemeinhin aufwändig und daher teuer. Richtig teuer. Der PR-Effekt eines X-Rückzugs gleicht indes einer Magnesium-Fackel: Brennt hell, aber kurz. Schon 24 Stunden später hat sich der Vorgang versendet. Deshalb gilt es sorgfältig abzuwägen, auf welchen Frequenzen man funken möchte.
Wer ‚was mit Medien‘ macht, weiß: Dinge passieren stets zuerst auf X – erst mit Verzögerung woanders. Der X-Faktor ist gar nicht so sehr die Zahl der Nutzer (plus Bots und Karteileichen), sondern die Qualität der Absender plus Multiplikator-Effekt. Das gilt auch für die Spiele-Industrie: Marktführende Publisher, Studios, etliche CEOs und Top-Manager finden dort statt, Analysten, Influencer und Fachpresse ohnehin.
Klar, dieser Zustand kann sich jederzeit ändern. Wäre ich verwundert, wenn Phil Spencer, der Games-Branchenverband, Jason Schreier, CD Projekt oder die Gamescom morgen ihre Xkommunikation bekannt geben würden? Natürlich nicht. Gäbe es dafür Applaus? Aber hallo. Wäre es klug? Geht so.
Sehr grundsätzlich halte ich es für eine mittel-smarte Idee, sich aus freien Stücken selbst Stöcke zwischen die Speichen zu schieben, indem man Kommunikations-Kanäle kurzerhand abklemmt. Es gibt selten was zu gewinnen. Vielmehr steigt das ohnehin große Risiko von Abhängigkeiten im digitalen Raum. Wer kann mit Gewissheit vorhersagen, ob es Bluesky in zwölf Monaten in dieser Form noch gibt? Oder ob zwischenzeitlich ein shady Staats-Konzern den Laden samt der Nutzerdaten übernimmt? Was ist, wenn ein Krypto-Fonds einsteigt, der kei-nes-falls NFTs und Blockchain-Features plant (Stand jetzt)? Wer sagt, dass Meta mittelfristig an Threads und dessen Geschäftsmodell festhält?
Sie und ich sind zu lange im Biz, um solche Szenarien kategorisch ausschließen zu können. Der IT-Friedhof ist gespickt mit disruptiven Erfolgsmodellen – Stadia, Mixer, Google+, Kinect, Vine, Hangouts, Clubhouse, YouTube Gaming, MySpace, you name it. Ganze Influencer-Heerscharen sind aus Protest vor Algorithmus-, Design- oder Provisions-Anpassungen schon zu Twitch oder YouTube und umgekehrt gewechselt – nur um ein halbes Jahr später doch wieder auf allen Hochzeiten mitzutanzen.
Wenn es aus Games-Entwickler-Sicht empfehlenswert ist, nicht nur auf eine einzige Plattform (PlayStation, Appstore, Play Store, Xbox, Switch, Steam, GOG, Epic Games Store etc.) zu setzen oder einige wenige Absatzmärkte zu bespielen, sondern ganz viele – warum sollte das nicht auch für Social Media gelten? Die Welt dreht sich so schnell – Diversifikation ist key.
Und es ist ja nicht so, dass Zuckerbergs Meta (Instagram, WhatsApp, Threads), Alphabet (Google, YouTube), Microsoft, Amazon (Twitch) oder der TikTok-Konzern Bytedance sakrosankt wären – oder gar frei von gelebter Willkür. Womöglich werden Sie auch schon die Erfahrung gemacht haben, dass Ihnen harmloseste Links, Memes und Meinungsbeiträge wegen vermeintlichen Verstoßes gegen irgendwelche ‚Standards‘ weggestrichen wurden. Einfach so – ohne die Möglichkeit, sich wirkungsvoll dagegen wehren zu können. Das mag bei einem privat geposteten Panda-Video noch verschmerzbar sein – aus wirtschaftlicher Sicht ist es das nicht. Wer sich auf ‚Play by the rules‘ verlässt, ist verlassen.
Um keinen falschen Zungenschlag reinzubringen: Natürlich könnte X absehbar in einem riesigen Feuerball verglühen – wobei ich es für wahrscheinlicher halte, dass sich zuvor der Stinkstiefel-Marktanteil auf Mitbewerber-Plattformen infolge der Wanderungsbewegungen dem handelsüblichen Schnitt annähert.
Mein Argument lautet nur erstens: Wer etwas zu sagen hat, sollte das auf möglichst vielen, relevanten Marktplätzen tun. Und zweitens: Niemals Türen ohne Not zuschlagen.
Daher war ich auch nicht überrascht, als Habecks PR-Strategen zugeraten haben, dass es entlang des Projekts Kanzleramt hilfreich sein könnte, nach mehr als fünfjähriger Abstinenz wieder auf X zu senden. Man dürfe diesen öffentlichen Raum nicht allein den Populisten und Schreihälsen überlassen. Zwischen den Zeilen schimmert die nüchterne Betrachtung der Wirklichkeit durch: Klar könnte man X ganz easy ignorieren, aber die Postings von Söder, Merz, Klingbeil, Weidel, Wagenknecht, Kubicki, Lindner, Lauterbach, Spahn, Scholz & Co. gehen dadurch ja nicht weg.
Selbst die um Deutungshoheit ringende SPD ist seit letzter Woche wieder da: „Herausfordernde Zeiten verlangen nach besonnenen Antworten. Deshalb haben wir uns für die Rückkehr auf X entschlossen“. Na dann.
Nicht-Stattfinden ist eben keine Option. Das gilt für Politiker und Psychopaten, aber erst recht für mitteilungsfreudige Journalisten.
Und deshalb bleibe ich beim humor- und emotionslosen Grundsatz: GamesWirtschaft ist dort, wo die Branche ist. Und die ist im Web, auf dem Smartphone, logischerweise auf LinkedIn, manchmal auf Threads, immer noch auf Facebook, immer öfter auf Bluesky, aber eben auch – und weiterhin – bei X.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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GamesWirtschaft auf Social Media: LinkedIn ● Facebook ● X ● Threads ● Bluesky
Ich verstehe ehrlichgesagt den Sinn dieses Artikels nicht und warum Sie es für nötig halten, Menschen die X den Rücken kehren, pauschal selbstdarstellerische Gründe vorzuwerfen. Wurde Gameswirtschaft.de dafür kritisiert weiterhin auf Nachrichten auf X zu veröffentlichen?
Ich finde es ist selbstverständlich, dass wenn jemand, der aktiv auf einer Plattform ist und viele Follower hat, diese informiert, wenn er/sie zu einer anderen Plattform wechselt. Und Gründe X zu verlassen gibt es auch abseits vom Politischen genug Gründe.
Ich selbst schaue immer seltener auf X vorbei, weil es leider immer unangenehmer wird weil mir bestimme Inhalte in die Timeline gespühlt werden, die ich nicht sehen möcht, Stichwort Ragebait.
Wenn sie weiter auf X bleiben möchten ist das doch in Ordnung, aber pöbeln Sie bitte nicht über Leute die sich anders entscheiden.
Steht exakt so im Beitrag – jeder und jede kann selbstverständlich frei entscheiden, welche Plattformen bespielt werden sollen. Und natürlich spricht nichts dagegen, den Vorgang öffentlich zu machen. Gleichwohl ist damit natürlich schon ein Statement verbunden. Andernfalls bräuchte es beispielsweise keine dedizierten Pressemitteilungen zum Thema, wie sie derzeit täglich veröffentlicht werden.
Witzigerweise sind diejenigen, welche am lautesten mit dem Finger auf die „Anderen“ zeigen, diejenigen die am meisten hetzen, Fake und Desinformationen verbreiten.
Auch der „Rückkehrer“ Habeck ist da kein ungeschriebenes Blatt. Da halte ich mich aus Angst vor einer Hausdurchsuchung mit Kritik zurück.
Gegen Grüne, Linke und SPD sind die Rechtsextremen fast Pippifax auf X.
Ja, die sind auch gefährlich, kommen aber nicht an die #Doppelmoral Parteien ran.
Jeder darf für sich entscheiden, welchen und wessen Etablissements erlaubt sei, mit den eigenen Inhalten Profite zu erzielen.
Gleichzeitig gilt was Mama Gump gesagt hat.
Ist ein Jammer, dass viele Branchen komplett angewiesen sind auf X aufgrund der Präsenz ihresgleichen. Dafür gibt es leider keine Alternative und daran dürfte sich auch so schnell nichts ändern. Bis die träge Masse sich auf eine andere Plattform einigt, wenn das denn überhaupt passiert, dauert es. So einfach ist das.
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