Start Meinung Ein kleines bisschen Standort-Patriotismus (Fröhlich am Freitag)

Ein kleines bisschen Standort-Patriotismus (Fröhlich am Freitag)

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Die Adidas-Zentrale in Herzogenaurach - davor: Firmengründer Adi Dassler in Bronze (Foto: GamesWirtschaft)
Die Adidas-Zentrale in Herzogenaurach - davor: Firmengründer Adi Dassler in Bronze (Foto: GamesWirtschaft)

Dass Adidas vom DFB zugunsten von Nike abserviert wird, mag am Ego rütteln. Sonderlich überraschen wird der Wechsel hoffentlich niemanden.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

ein Stück mehr Standort-Patriotismus hätte er sich schon gewünscht, nölte der Wirtschaftsminister. Adidas und Schwarz-Rot-Gold, das gehört doch zusammen und sei „ein Stück deutscher Identität“, findet Habeck. Die fränkische CSU-Politikerin Dorothee Bär – in der Games-Branche keine Unbekannte und Mitglied des FC-Bayern-Verwaltungsbeirats (ein Verein, der von Ex-Adidas-Boss Herbert Hainer geführt wird) – geißelt das Votum als „gnadenlose Fehlentscheidung“.

Was war passiert? Nach mehr als 70 Jahren mustert der Deutsche Fußballbund (DFB) den Ausrüster aus – anstelle der drei Streifen wird die Nationalmannschaft ab 2027 mit dem Nike-Swoosh auflaufen. Nach Informationen des Handelsblatts hat der US-Weltmarktführer entlang der Ausschreibung satte 100 Mio. € pro Jahr geboten – mehr als das Doppelte wie Adidas. Tradition hin oder her: Das ist ein Angebot, das kein Präsidium der Welt ablehnen kann und streng genommen auch gar nicht ablehnen darf. Wenn es nur ums gefühlige War-schon-immer-so-und-bleibt-auch-so ginge, könnte man sich die (obligatorische) Ausschreibung von vornherein sparen.

Die Eilmeldung platzt ausgerechnet in eine Woche, in der Adidas mit dem DFB eine Reihe gemeinsamer Promotion-Aktivitäten während der Heim-EM-Vorbereitung durchführt. Am Dienstag fand zum Beispiel ein Presse-Event unter dem Motto ‚Typisch deutsch‘ statt – inklusive „kulinarischer Begleitung und lockerem Elfmeterschießen am Nachmittag“. Wenn das nichts ist.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Gestern, also keine 48 Stunden später, wurde das Adidas-Management von der DFB-Entscheidung offenbar kalt erwischt – man sei vom Verband „darüber informiert worden“. Eine Formulierung, die natürlich auch Bände spricht über die bilateralen Beziehungen der beiden Partner.

Als die Pressemitteilung am späten Nachmittag im Posteingang aufploppte, fühlte sich das für einen kurzen Moment wie eine Erschütterung der Macht an. Es war, als konnte man das „Noooooooooooooooooo….“ aus dem feudalen Adidas-Hauptquartier in Herzogenaurach fast hören – keine 30 Minuten von hier entfernt. Direkt am Eingang sitzt der namensgebende Gründer Adolf ‚Adi‘ Dassler in Form einer Bronzestatue auf einer Holzbank und blickt versonnen in den Sonnenuntergang.

Anders als zu Dasslers Gründerzeiten sind die Adidas-Leibchen, -Bälle und -Schuhe natürlich schon lange nicht mehr ‚Made in Germany‘, sondern made in Vietnam, Kambodscha, China, Indonesien, Pakistan. Irgendwo muss die Marge ja herkommen, damit von den 150 € fürs DFB 2024 Heimtrikot Authentic unterm Strich noch was übrig bleibt für die Dividende – soviel zum Thema ‚Standort-Patriotismus‘.

Eine Branche, die diese sehr spezielle Form des ‚Patriotismus‘ schon etwas länger abgelegt hat, ist die Videospiele-Industrie. Das lässt sich an ganz vielen Details ablesen, etwa an den Subventions-Programmen rund um den Globus. Die unverhohlene Botschaft jeder Games-Förderung lautet ja: Am Ende ist es ein kleines bisschen wumpe, wo ein Spiel entsteht – Madrid, Mailand, Hauptsache Italien. Solange die Produktionskosten an Standort A um 10, 20, 30 Prozent günstiger sind als an Standort B, geht der Auftrag halt nach A.

A wie Australien zum Beispiel. Auf der Gamescom 2023 warb Down Under mit dem Spruch: „Don’t let all the dumb ways to die in Australia stop you discovering the new 30 % Australian Digital Games Tax Offset.“

Die Androhung staatlicher Zuwendungen im dreistelligen Millionen-Bereich mag auch eine Erklärung liefern, warum die deutsche Entwickler-Landschaft in den vergangenen Jahren flurbereinigt wurde – und warum es nur noch ganz wenige eigentümergeführte Spiele-Unternehmen relevanter Größe im Land gibt, die nicht längst in Konzern-Strukturen aufgegangen sind. Konzerne, die offenkundig Angebot vorgelegt haben, die man nicht ablehnen konnte. Das Schicksal der deutschen Töchter und damit das Ausmaß von ‚Standort-Patriotismus‘ liegt seitdem vollumfänglich in den Händen der Headquarters in Stockholm, Paris, Wakefield, Göteborg, Riad.

Weil sich Games wie jedes andere Produkt auf dem Weltmarkt behaupten müssen (vielleicht mit Ausnahme von Helene-Fischer-Alben), ist die Herkunft kein entscheidender Faktor – zumal es sich vielfach ja um Co-Produktionen handelt, bei denen einzelne Gewerke global zugekauft werden. Ubisoft Berlin – dessen Ansiedlung vom Land Berlin mit 1,6 Mio. € incentiviert wurde – war/ist zum Beispiel an der turbulenten Entwicklung des kürzlich vom Stapel gelaufenen Piraten-Abenteuers Skull and Bones beteiligt. Die kreative Federführung bei diesem Projekt liegt indes 10.000 Kilometer entfernt bei Ubisoft Singapore.

Eine ‚deutsche Games-Industrie‘, so wie man sich das als Laie analog zur ‚deutschen Auto-Industrie‘ vorstellt, gibt so gesehen nur punktuell. Vielmehr handelt es sich mittlerweile überwiegend um eine Industrie, die auch Niederlassungen in Deutschland betreibt. Den Löwenanteil zum 10-Milliarden-€-Games-Umsatz in Deutschland steuern zum Beispiel Sony PlayStation und Nintendo bei – die Online-, In-Game- und AppStore-Umsätze großer Publisher werden vorsichtshalber direkt in Luxemburg und Irland verbucht, um den deutschen Fiskus nicht unnötig zu belasten.

Daneben gibt es natürlich weiterhin außergewöhnlich erfolgreiche Mittelständler und rührige Startups, die aber allesamt international denken und international aufgestellt sind. Kein Betrieb, egal welcher Größe, kann sich einen alleinigen Fokus auf den deutschsprachigen Markt leisten – weder mit Blick auf Um- und Absatz noch bei der Belegschaft.

Das gilt natürlich erst recht für Weltmarken wie Adidas, die zwar ihren Ursprung in Deutschland haben, aber nun mal global produzieren – dort, wo es am günstigsten ist. Man kann sich einen damit einhergehenden und möglicherweise wünschenswerten ‚Standort-Patriotismus‘ für Made-in-Vietnam-Trikots herbeireden, muss aber natürlich auch zur Kenntnis nehmen, dass die Lebenswirklichkeit eine andere ist – auch hinsichtlich der Eigentümer-Strukturen sehr deutscher Marken: Der Anteil hiesiger institutioneller Aktionäre bei Mercedes-Benz liegt beispielsweise bei schmalen 7,4 Prozent – allein zwei chinesische Investoren kontrollieren 20 Prozent. Bei Mitbewerber Volkswagen hält das Emirat Katar 17 Prozent.

Stimmrechte schlagen nun mal Menschenrechte. Und das ist bekanntlich nirgends so offensichtlich wie im Profi-Fußball.

2027 endet also die Ära der drei Streifen auf der Berufsbekleidung der Nationalspieler. Wenn man sich mal für zwei Sekunden von lästiger Nostalgie frei macht, könnte man natürlich argumentieren, dass es fast schon ein bisschen egal ist, mit welcher Trikotage eine Mannschaft aufläuft – zumal die Spieler bei ihren Stollen-Schlappen ja ohnehin nicht an eine bestimmte Marke gebunden sind. Ein gewisser Mario Götze hat Deutschland in der 113. Minute des WM-Finales 2014 in Rio mit neongelben Nike-Tretern zum Titel geschossen.

Wenn das kein gutes Omen ist.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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7 Kommentare

  1. Wirds zur EM mehr Fußball-Themen Artikel geben? Dann nutze ich für die Zeit andere Websites.
    Dabei hätten sich das neue Microsoft Rechenzentrum am Rhein in Verbindung mit K.I. Entwicklung und Cloud Gaming so schön angeboten.

    • Einmal pro Quartal sind Fußball-Themen gesetzlich vorgeschrieben. Aber natürlich steht die Zufriedenheit der Leser an erster Stelle – andernfalls greift wie immer die Geld-zurück-Garantie.

  2. Im Endeffekt dennoch schade, dass der DFB diesen Weg geht. Man kann es Nostalgie nennen, oder Tradition, aber man ändert ja auch nicht alle paar Jahre sämtliche Regeln im Fußball oder tauscht ständig die Nationalhymne. Vielleicht hätte man sich die Ausschreibung einfach sparen können, denn gewisse Dinge sollten einfach so bleiben wie sie sind…

  3. Uff, also erstmal ist Adidas noch eine deutsche Firma, selbst wenn das irgendwo in Asien produziert wird (wie auch Nike). Und nein, man muss sich nicht für das höchste Angebot entscheiden. Und ja, man _darf_ das auch ablehnen, klingt komisch, ist aber so. Wenn man sich hier für einen Hersteller aus Saudi-Arabien entschieden hätte, würde es diesen Artikel gar nicht geben, stattdessen ist es Nike, also ist es wohl okay, mh?

    Dieser erzwungene Wechsel dann zum Gaming ist irgendwie einfach nur misslungen. Hat was von „Oh, 9/11 ist sicherlich furchtbar, aber bei uns in Hannover haben sie immer noch keine Fahrradwege gebaut“, man muss nicht immer alles auf sich beziehen.

    • Danke für das Feedback. Wie könnte das Argument lauten, warum man ein doppelt so hohes Angebot ablehnt? Befinden wir uns da nicht schon in der Nähe der Untreue? Schließlich handelt es sich um eine Ausschreibung.

      • Vielleicht sollte man sich die Frage stellen, ob man Tradition kaufen kann. Kann man ja mal bei RB Leipzig nachfragen oder die Fans abstimmen lassen. Und man sollte sich auch die Frage stellen, ob man – auch wenn es „nur“ der Ausrüster ist – nicht ein wenig seiner Persönlichkeit verkauft. Muss man immer das höchste Angebot akzeptieren? Ist das Maximum an Geld das, was der DFB erstreben sollte? Dann können wir uns ja bald auf DFB-Pokalspiele in Saudi-Arabien freuen, denn dann verdient der DFB noch mehr Geld und das ist ja offenbar hier das Richtige. Bzw. könnte man ja auch die Länderspiele ans Ausland verkaufen, Trainingslager nur noch in Katar, Länderspiele in New York. Machen wir einfach aus dem Nationalteam ein Franchise wie die Harlem Globetrotters, viel fehlt eh nicht mehr.

        Aber im Ernst: man hat Adidas noch nicht mal die Chance gegeben, ein Gegenangebot zu machen. Ich kann mich auch noch an Zeiten erinnern, wo man froh war, dass Adidas dem DFB die Treue hielt. Und klar, irgendwo wäre der Deal mMn. auch nachvollziehbar, wenn er deutlich höher wäre. Aber sorry, 50 Mio. sind doch lächerlich, 20% davon bekommt ja allein schon der Nationalcoach als Salär. Vielleicht. sollte man da eher an anderen Schrauben drehen. Und was macht der DFB denn nun mit dem Reichtum? Neue Spieler kann er nicht kaufen. Am Ende geht es darum, dass die sich selbst dran bereichern und das ist für mich die größte Schande an diesem Deal.

        Zitat aus einem älteren Artikel:
        „Das ändert nichts daran, dass der DFB seinem Spitzenpersonal üppige Gehälter überweist. Bevor der neue Präsident Bernd Neuendorf im Frühjahr vergangenen Jahres gewählt wurde, war die Vergütung auf 246.000 gedeckelt. Das betraf die Männer, die zusätzlich für Ämter bei Fifa und Uefa bezahlt wurden. Der Präsident bekommt der SZ zufolge vom DFB jährlich 220.000 Euro überwiesen und zusätzlich 250.000 von der Fifa, in dessen Council er sitzt. Er beziehe damit doppelt so viel Geld wie sein Vorgänger Fritz Keller. Praktisch: Die Steigerung der Vergütung im Präsidium des DFB wurde jüngst an die Entwicklung der Entlohnung der Bundestagsabgeordneten gekoppelt. Legen also die Diäten zu, gibt es für das DFB-Präsidium automatisch die gleiche prozentuale Steigerung.“

        • Beleg für die These, dass Adidas kein Gegenangebot abgeben durfte?

          Sehr grundsätzlich ist Nike ja kein Partner, für den man sich schämen müsste – sondern immerhin die Nr. 1 im Sportartikelmarkt, mit weitem Abstand. Aus welchen Gründen sollte man das Angebot ablehnen können/dürfen? Nur wg. ‚Tradition‘? Am Ende ist Adidas einer von mehreren DFB-Sponsoren, für den sich der Deal rechnen muss.

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