Wie wichtig ist es, wo ein Computerspiel entsteht? Der Markt gibt eine klare Antwort: gar nicht. Schade eigentlich.
Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,
draußen mögen hochsommerliche Temperaturen herrschen, doch im deutschen Einzelhandel hat bereits die Weihnachts-Saison begonnen. Mit hinreichender Wahrscheinlichkeit verkauft Ihnen der Supermarkt Ihres Vertrauens schon jetzt Schokoladen-Nikoläuse, Zimtsterne, Vanillekipferl, Spekulatius und natürlich: Lebkuchen.
Das Epizentrum des Lebkuchen-Wesens ist Nürnberg. Nur wo Nürnberger Lebkuchen drauf steht, ist auch Nürnberger Lebkuchen drin – schließlich handelt es sich um eine geschützte Herkunftsbezeichnung, die eine Produktion innerhalb des Stadtgebiets voraussetzt. Wenn man in diesen Tagen durch bestimmte Straßenzüge läuft oder fährt, liegt daher ein verführerischer Duft in der Luft.
Seit ich einst ein PR-Praktikum bei Schöller absolviert habe, weiß ich: Die heiße Phase startet schon im Sommer – spätestens ab Anfang September taucht die Ware dann bundesweit in den Regalen auf. Allein bei Lebkuchen-Schmidt laufen dann 3 Millionen Stück vom Band, pro Tag. Am Nürnberger Hauptmarkt – dort, wo der berühmte Christkindlesmarkt ausgetragen wird – gibt es Ganzjahres-Läden. Authentischer geht’s kaum.
Einst dienten Nürnberger Lebkuchen als beliebtes Festtags-Souvenir für ferne Verwandtschaft – servierfertig verpackt in Dosen, Truhen und Kisten. Mittlerweile ist das nicht mehr so. Und zwar seit dem Zeitpunkt, als Lebkuchen-Schmidt – einer der Marktführer – die Republik mit Popup-Stores überzogen hat und sich alle Jahre wieder bundesweit in Einkaufszentren und in leerstehenden Eisdielen einnistet.
Dass Nürnberger Lebkuchen immer und überall verfügbar sind (offline wie online), macht das Gebäck nicht länger zu einer Besonderheit, sondern zu einer Beliebigkeit. Zwangsläufige Folge: Wenn Lebkuchen, dann von lokalen Bäckereien, wo die klebrige Haselnuss-Mandel-Honig-Kardamom-Piment-Masse noch von Hand auf die bierdeckelgroße Oblate gespachtelt wird.
Länder, Städte und Regionen sind mächtig stolz auf solche Traditionen und Spezialitäten – auf Berliner Currywurst, bayerisches Bier, Hamburger Franzbrötchen, Wiener Schnitzel und Dresdner Stollen genauso wie auf Dialekte, Feste, Bräuche. Kurzum: auf ihre Kultur. Allein die Zahl der Lieder, die die Gamescom-Gastgeberstadt lobpreisen, liegt im deutlich fünfstelligen Bereich – da simma dabei.
Der Videospiele-Industrie und ihrer Kundschaft hingegen sind Herkunft und Tradition zunehmend egaler – mit Ausnahme von Japan oder Südkorea vielleicht. Wer wo wie ein Spiel entwickelt und wo es anschließend vertrieben wird, spielt keine wesentliche Rolle. Zumal gerade bei Großprojekten ganz viele Studios zusammenwirken: die Engine aus Vancouver, die Animationen aus Singapur, der Multiplayer aus Malmö (nur mal als Beispiel).
Globalisierung at work. Wo es dann auch schon wurscht ist, ob die verlängerte Werkbank in Berlin, Bukarest oder Beijing steht.
Umgekehrt kann es Publishern und Entwicklern auch egal sein, wo der Umsatz entsteht – solange er überhaupt entsteht. Die meisten Kunden des Regensburger Online-Rollenspiel-Herstellers Cipsoft sitzen zum Beispiel in Brasilien.
Nun kann man vor diesem Hintergrund natürlich fragen: Wen juckt’s, wo das Spiel herkommt? Nur: Dafür, dass Games neben ihrer wirtschaftlichen Relevanz dem Vernehmen nach auch ein Kulturgut darstellen, ist ihre Herkunft … nun … ganz schön beliebig geworden. Ob Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien.
Zumindest der Bundesregierung ist die DNA eines Spiels schon noch irgendwie wichtig, ein bisschen jedenfalls. Denn jeder, der die staatliche Games-Förderung in Anspruch nehmen will, muss einen ausgefüllten ‚Kulturtest‘ einreichen – was cringiger klingt, als es ist.
Darin heißt es: „Ein Spiel kann gefördert werden, wenn es wenigstens je zwei Kriterien der nachfolgenden Kategorien I. und II. und mindestens ein Kriterium der Kategorie III. erfüllt.“
In Kategorie 1 wird abgefragt, ob das Spiel in Deutschland oder zumindest in Europa angesiedelt ist und/oder die Schauplätze beziehungsweise die Figuren zeitgeschichtliche oder historische Bezüge oder einen Bezug zur hiesigen Kultur aufweist. Diesen Bezug zur hiesigen Kultur würde ich beispielsweise beim Autobahn-Polizei-Simulator bejahen.
Einer von zwei erforderlichen Punkten lässt sich allein dadurch einheimsen, wenn das Spiel „mindestens auch in deutscher Sprache“ erscheint. Mutet trivial an, aber die allermeisten deutschen Studios sparen sich buchstäblich die Muttersprache und kommunizieren mit Belegschaft und/oder Community ausschließlich auf Englisch.
Dennoch: Wer bei diesem Kulturtest durchfällt, ist selber schuld. Mit Ausnahme von Tetris lassen sich die Argumente für ungefähr jedes Spiel irgendwie hinbiegen. Weshalb alle 550 Projekte, die bislang positiv beschieden wurden, den Kulturtest zwangsläufig bestanden haben. Wir gratulieren.
Nun weiß ich auch, dass Spiele für den internationalen Markt gebaut werden (müssen) – erstens aus Gründen der Refinanzierung, zweitens mit Blick auf die Skalierung. Allerdings hat diese Notwendigkeit zwangsläufig zur Folge, dass nur noch die wenigsten Games als Botschafter fungieren – im Unterschied zu Filmen, Serien und Musik, wo ein Squid Game, One Piece oder meinetwegen BTS eben auch Kultur transportieren, und zwar in alle Welt.
Eine Art deutscher Spielekultur gab es hierzulande zuletzt in den 90ern, wo Bundesliga Manager, Die Siedler, Das Amt, Der Planer, Die Fugger, Anstoß, Der Patrizier, Hanse & Co. eine Tradition begründeten, auf deren Humus später das deutsche Browsergames-Wesen gedieh. Einige dieser Spiele sind seit 10, 15, 20 Jahren in Betrieb.
Wie das (wieder) gelingen könnte? Indem man zum Beispiel die Spiele-Subventionen der Bundesländer in diese Richtung weiterentwickelt und sich so vom Bund und dessen Produktionskostenabsenkungs-Logik abgrenzt – weniger Wirtschafts-, mehr Kulturförderung, mit einem klaren regionalen Fokus. Und einem ‚echten‘ Kulturtest.
Dass sich Kommerz und Folklore nicht ausschließen müssen, belegen ja Beispiele wie The Witcher (basierend auf einer polnischen Buchvorlage) oder das in Tschechien entwickelte Kingdom Come: Deliverance, das im Böhmen des 15. Jahrhunderts spielt.
Will sagen: Ich glaube, dass spielgewordene Franzbrötchen wichtig wären. Natürlich nicht nur, aber eben: auch. Mehr Leberkäsjunkie wagen.
Die praktischen Folgen der eingangs beschriebenen Popkultur-Globalisierung bekam letztens übrigens auch eine Delegation aus Japan zu spüren, die auf Einladung des Auswärtigen Amts die Gamescom besuchte und die ich für einige Stunden begleiten durfte.
Noch bevor das Dessert abgeräumt wurde, kam dezente Hektik auf – man wolle noch dringend Mitbringsel auf der Messe einkaufen. Das Entsetzen war mit Händen zu greifen, als ich zart darauf hin wies, dass man die Ware auf dem Kölner Gelände zwar angucken und ausprobieren, aber nicht erwerben und mitnehmen kann.
Einzig in Halle 5 gäbe es Händler, die Merchandise feil bieten. Überwiegend basierend auf Anime- und Manga-Formaten. Made in Japan.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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Die Frage nach dem Kulturgut ist doch letztenendes auch ob es überhaupt Kultur gibt die man zu einem solchen heranziehen könnte und ob sich das am Ende dann auch Verkauft. Ich zumindest kann mir keinen Oktoberfestsimulator 2, 3 oder gar 4 vorstellen. Wo fängt Kultur überhaupt an?
Auch wenn ich mich der Frage nicht erwehren kann ob es für eine Förderung durch Bund und Länder ausreicht ein deutsches Büro zu betreiben und die restliche Entwicklung in einem Billiglohnland in Asien oder Südamerika durchzuführen, sollte doch wohl eher die Frage seinw as wir erreichen wollen mit solchen Subventionsprogrammen. Wenn es nach der Bundesregierung geht dann einen potenten Industrietsandort Deutschland aber den werden wir wohl kaum nur mit deutschem Kulturgut erreichen, was also dann – einen französchischen Entwickler als größten deutschen Arbeitgeber der Branche oder darf es doch lieber etwas Schweden sein? Das Thema der Globalisierung beißt uns hier auf jeden Fall in den Hintern, egal wohin wir diesen auch drehen!
Warum überhaupt Spiele als Kulturgut fördern, warum bauen wir das ganze nicht zu einer Startupmaschine um? Also Neugründungen fördern, kleine Studios fördern und dann auch am besten nicht nur finanziell sondern auch mit Wirtschafts- und Unternehmensberatern. Wer Geld hat und es sich leisten kann braucht auch keine Subventionen vom Staat – auch wenn das den großen börsennotierten Unternehmen wie Ubisoft, die außerdem den Vorsitz des Branchenverbandes inne haben, nicht unbedingt schmecken wird! Mir zumindest als Steuerzahler schmeckt es auch nicht irgendwelche Managerhälter zu finanzieren!
> Wer wo wie ein Spiel entwickelt und wo es anschließend vertrieben wird, spielt keine wesentliche Rolle
Würde ich so nicht sehen. Es kommt zwar nicht grundsätzlich darauf an wo ein Spiel herkommt (mit Ausnahme von China und anderen totalitären Staaten) aber von wem. Blizzard und Microsoft stehen wegen ihrer Geschäftspraktiken doch schon länger in der Kritik und Tencent ist genau so eine tiefdunkelrote Flagge für Games wie Nestle für Nahrungsmittel und Wasser.
Ich würde behaupten nur noch ein geringer Teil der deutschen Studios sind tatsächlich auch nocht deutsche Firmen…
Nur haben wir als Kunden keine Wahl denn zum einen herrschen freie Märkte (außer in China) und somit kann jedes fragwürdige Unternehmen ein seriöses aufkaufen oder sich zumindest daran beteiligen und auf der anderen Seite blickt man als Kunde hier schon gar nicht mehr durch wer jetzt an wem wieviele Anteile hat. Und da liegt auch der Hase im Pfeffer begraben.
Was die Industrie vor allem braucht ist das Vertrauen der Kunden und dafür … Transparenz!!
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