Start Meinung Fußball-WM: Endspiel für EA (Fröhlich am Freitag)

Fußball-WM: Endspiel für EA (Fröhlich am Freitag)

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Electronic Arts versorgt die FIFA 23-Spieler mit einem dedizierten Fußball-WM-Modus (Abbildung: EA)
Electronic Arts versorgt die FIFA 23-Spieler mit einem dedizierten Fußball-WM-Modus (Abbildung: EA)

Am Sonntag startet die amtliche Fußball-WM in Katar – und in FIFA 23. Danach trennen sich die Wege von Electronic Arts und Verband.

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

na, sind Sie auch schon so richtig dolle in Fußball-WM-Stimmung? Analoge Panini-Lootboxen und Kicker-Sonderheft besorgt? Autofähnchen montiert und Balkon beflaggt? Bratwürste und Fassbier eingelagert?

Am Sonntagabend beginnt das Turnier in Doha mit dem Classico Katar gegen Ecuador – ab kommendem Mittwoch greift dann Flicks Nationalmannschaft ins Geschehen ein.

Ich fühle mich top vorbereitet. In den vergangenen Tagen und Wochen habe ich ungefähr keine Talk-Show, kein Interview und keine Reportage rund um die WM in Katar ausgelassen. Ich weiß jetzt zum Beispiel, dass Katar pi mal Daumen mit Schleswig-Holstein zu vergleichen ist – also flächentechnisch. Nur das Wetter ist schlechter. In Katar. Zumindest dann, wenn unter freiem Himmel Fußball praktiziert werden soll.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Gerade die Öffentlich-Rechtlichen mühen sich ja nach Kräften, die teuren Übertragungsrechte mit kritischen Beiträgen zu flankieren – eine nicht enden wollende Kaskade des Einerseits-Andererseits. Motto: Ja, ja, schlimm das alles mit den Menschenrechten und den Bauarbeitern, aber der Sport ebnet ja auch den Weg für Reformen. Was mit der WM in Russland 2018 oder Olympia in Beijing schon mal richtig klasse geklappt hat.

Eins ist schon jetzt sicher: Der ohnehin abenteuerlich schlechte Leumund des Weltfußballverbands ist durch die mindestens anrüchige Vergabe an den neureichen Zwergstaat am Golf nicht zwingend besser geworden. In sozialen Netzwerken und in den Leitartikeln ist man sich daher weitgehend einig, dass die Fußball-WM dringend zu boykottieren sei.

In der Praxis heißt das oft genug: Nicht-Fußballfans verzichten auf Fußball. Freiwillig. Nimm dies, Katar! Für die fossilen Energieträger hätten wir im winterlichen Europa durchaus Verwendung – aber mit Infantinos infamer Inszenierung wollen wir nichts zu tun haben. Zumindest bis nach der WM, wenn es beim hiesigen Rekordmeister wieder heißt: „Mia san Qatar-Airways-Spezln“.

Die größte Herausforderung mit Blick auf die Aufmerksamkeits-Ökonomie bleibt aber die unmittelbare Konkurrenz zur parallel stattfindenden Advenszeit: Wo Discounter und Supermärkte während einer ‚normalen‘ WM förmlich überquillen vor Fußball-Aktionsflächen, regieren Lebkuchen, Zimtsterne und Schoko-Nikoläuse. Wen wundert es da, dass es vielen schwer fällt, sich mental auf eine Wüsten-WM einzulassen, wenn sich zeitgleich Mariah Carey, Chris Rea und Wham warmjodeln?

Selbst die großen Sponsoren fremdeln erkennbar, inmitten skandalöser Umstände den richtigen Sound zu finden. Wer die Websites von FIFA-Partnern wie Coca-Cola, VISA oder Rewe ansteuert, findet auf Anhieb exakt keinen Bezug zur Fußball-WM. Möglicherweise ändert sich das noch in den verbleibenden 48 Stunden bis zum Anpfiff.

Überhaupt ist eine erstaunliche werbliche Zurückhaltung rund um dieses Event zu beobachten – selbst bei den einschlägigen Elektronikmarkt-Ketten. Dabei muss sich eine Fußball-WM in Tat-Einheit mit Weihnachten ja gerade für MediaMarkt, Euronics, Expert & Co. anfühlen, als würde Ostern mit … nun ja … Weihnachten zusammenfallen.

Denn irgendein bislang unerforschtes Gen scheint dafür zu sorgen, dass der durchschnittliche Verbraucher im Umfeld sportlicher Großereignisse morgens aufwacht und zur Erkenntnis gelangt: „Eigentlich wär es gerade jetzt an der Zeit für einen neuen Fernseher mit größerer Bildschirmdiagonale…“. Oder zumindest einen schönen Beamer.

So ganz ohne WM kann (und will) der Einzelhandel daher dann doch nicht. Ich bin jedes Mal begeistert, mit welcher Finesse die kühnen Marketing-Strategen jeden direkten Bezug zu FIFA-Markenrechten umdribbeln. MediaMarkt frohlockt zum Beispiel „Wir sind im WM Fieber!“ und wirbt mit Zutaten für „perfektes Stadionfeeling“.

Solche intellektuellen Bananenflanken zur FIFA-WM (ohne die FIFA-WM zu erwähnen) schlägt derzeit auch die Games-Industrie. In TV-Spots demonstriert Nintendo zum Beispiel, wie sich mit angelegtem Nintendo Switch Sports-Beingurt jedes Wohnzimmer zum Indoor-Bolzplatz umfunktionieren lässt.

Ein dediziertes, offizielles „Computerspiel zur Fussi-WM“ gibt es im Unterschied zu früheren Jahrgängen zwar nicht. Aber: Zum Ende der fast drei Jahrzehnte dauernden Zusammenarbeit mit der FIFA schöpft Electronic Arts nochmal aus dem Vollen. Denn die vielen Millionen FIFA 23-Spieler auf PC, Konsole und Smartphone können seit kurzem den kostenlos freigeschalteten WM-Modus nutzen und damit das komplette Turnier mit allen 32 Teams vor- und nachspielen.

Spielball, Spieler, WM-Pokal, Stadien – alles ‚echt‘.

FIFA 23 ist das letzte FIFA von Electronic Arts und damit zwangsläufig das letzte EA-FIFA mit FIFA-WM. Beide Parteien konnten sich nicht auf eine Vertragsverlängerung verständigen. Ab dem Herbst nächsten Jahres bekommt die Dauerbrenner-Serie deshalb einen neuen, ungleich sperrigeren Namen: EA Sports FC.

Die FIFA selbst fahndet derweil nach neuen Partnern, um ihrerseits spätestens ab 2024 den Videospiele-Markt aufzumischen. Im ersten Schritt wurde bei Roblox ein Fußball-Abenteuerspielplatz eröffnet. Was im FIFA-PR-Sprech als „a new ground-breaking partnership“ gefeiert wird, ist in erster Linie eine mäßig geschickt getarnte Abspielstation für Sponsoren-Logos.

Ob man will oder nicht: Solange man sich nicht unter einem Stein versteckt, wird man spätestens ab Sonntag dem Geschehen in Katar kaum entkommen. Wie also umgehen mit der FIFA und der FIFA-WM?

Es bleibt kompliziert. Ich kann jeden verstehen, der unter dem medialen Trommelfeuer finsterer Nachrichten (Pandemie, Inflation, Krieg) mal für ein paar Stunden abschalten will. Aber auch jeden, der aus den selben Gründen erst gar nicht einschaltet und stattdessen lieber dem Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt zuspricht.

Wie auch immer Sie sich entscheiden: Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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1 Kommentar

  1. Seeehr guter Beitrag. 🙂 Selbstverständlich werde ich mit meinen drei Töchtern die WM verfolgen, aber es ist dieses Mal definitiv ein spezielles Event… Da kann man die Bundesliga schon irgendwie unbeschwerter geniessen. 😀

    Nächsten Freitag dann bitte einen Beitrag über das zweijährige der PS5… 😀

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