200.000 Euro für Lost Ember, 400.000 für Everspace: Die großen Kickstarter-Erfolge deutscher Studios übertünchen die Schattenseiten des Crowdfundings.

[no_toc]Als Northworks vor zehn Jahren gegründet wurde, gehörte „Die Höhle der Löwen“-Juror Frank Thelen zu den ersten Investoren. Seit 2010 sind die Hamburger eine Tochter des Münchner Free2play-Riesen Travian Games: Der Northworks-Fußballmanager GoalUnited zählt nach wie vor zu den Stützen im Sortiment des größten bayerischen Spieleherstellers.

Mit einem Umsatz jenseits von 30 Millionen Euro und mehr als 200 Mitarbeitern gehört Travian nicht gerade zu den Unternehmen, die zwingend auf eine externe Vorfinanzierung eines Spieleprojekts angewiesen wären.

Trotzdem startete am 11. Oktober eine Crowdfunding-Kampagne für das Einsame-Insel-Überlebens-Spiel Thousand Miles Out. Ziel von Northworks: die Fans von Anfang an in die Entwicklung einbinden, Feedback einsammeln, eine Community aufbauen. Zwei Wochen später wurde die Kampagne abgebrochen: 285 Unterstützer und magere 16.429 Euro waren ein deutliches Signal, dass das Ziel von 300.000 Euro unmöglich erreicht werden konnte.

Hauptgrund für das Aus: Es sei nicht gelungen, genügend Aufmerksamkeit auf die Kampagne zu lenken.

Überleben auf einer einsamen Insel - die Idee hinter Thousand Miles Out von Northworks.
Überleben auf einer einsamen Insel – die Idee hinter Thousand Miles Out von Northworks.

Kickstarter-Flops: Fehlende Aufmerksamkeit führt zum Scheitern

Fehlende Aufmerksamkeit – das ist Todesursache Nummer 1 für Abertausende von Projekten, die auf dem Kickstarter-Friedhof ruhen. Über die gescheiterten Kampagnen wird üblicherweise der Mantel des Schweigens gebreitet. Im Gedächtnis bleiben die Projekte, die binnen kurzer Zeit erhebliche Summen einsammeln und das ursprüngliche Finanzierungsziel um ein Vielfaches übersteigen. Everspace, Lost Ember, Battle Worlds: Kronos, Die Zwerge – ganz zu schweigen von US-Multimillionen-Kampagnen wie Wasteland 2, Elite: Dangerous, Project Eternity oder Star Citizen.

Doch egal ob 20.000, 100.000 oder 1 Million Euro: Die eingeworbenen Beträge reichen eher selten, um ein Spiel komplett zu finanzieren. In erster Linie dient der Betrag dazu, um einen Prototypen oder einen ersten Spielabschnitt zu entwickeln und parallel ganz klassisch einen Publisher ins Boot zu holen. Oder eine Förderung zu beantragen.

Die 15 erfolgreichsten Games-Kickstarter-Projekte aus Deutschland (Stand: Oktober 2016)
Die 15 erfolgreichsten Games-Kickstarter-Projekte aus Deutschland (Stand: Oktober 2016)

Kickstarter: Der lange Weg bis zum Funding

Erst seit Mitte 2015 existiert eine deutschsprachige Kickstarter-Fassung – zuvor war es für deutsche Studios nur über Umwege möglich, über die Plattform Gelder bei den Spiele-Fans einzuwerben.

Wer an ein Projekt glaubt und einen Betrag ab 1 Dollar investiert, wird zum „Backer“, also Unterstützer – und bekommt oft genug Zugang zu exklusiven Foren, Betas und Spielmaterialien, um die Entwicklung hautnah zu verfolgen. Wer das fertige Spiel oder vom Team unterschriebene Poster oder einen „Die Zwerge“-Bierkrug haben möchte oder in den Credits als Co-Entwickler erwähnt werden will, der kann auch 50, 100, 500 oder 1.000 Dollar einzahlen.

Bei Erreichen sogenannter Stretch-Goals wird das Spiel größer, schöner, für weitere Systeme und Sprachen umgesetzt oder professionell vertont. Überspringt das Projekt innerhalb einer bestimmten Frist die eingangs festlegte Dollar-/Euro-Zielmarke, ist das Projekt „funded“, also finanziert.

Ob das Spiel letzten Endes pünktlich oder überhaupt fertiggestellt wird, ist am Ende immer eine Wette – manchmal geht es gut, oft genug aber auch schief. Die Zuwendungen via Kickstarter sind übrigens nur eine Finanzierungsquelle der Entwickler. Hinzu kommen zum Beispiel Paypal-Spenden, (Vor-)Verkäufe über den eigenen Webshop, Fördermittel der Länder oder Steam Early Access.

Everspace von Rockfish Games ist das bislang erfolgreichste Kickstarter-Games-Projekt aus Deutschland.
Everspace von Rockfish Games ist das bislang erfolgreichste Kickstarter-Games-Projekt aus Deutschland.

Kickstarter: Retro geht (fast) immer

Eine Kickstarter-Kampagne ist wie ein startendes Flugzeug: Bekommt es frühzeitig Wind unter die Flügel, kann es mit etwas Glück abheben und die geplante Euro-Reiseflughöhe erreichen. Bei manchen Spielen entwickelt sich eine spannende Eigendynamik: Youtuber rühren die Werbetrommel, Blogger besprechen das Projekt, nationale und internationale Presse produziert Previews, auf Facebook, Twitter und Reddit wird die Kampagne fleißig geteilt und diskutiert.

Einige Genres und Formate haben eine überdurchschnittlich große Chance auf ein Engagement der Fans. Wer sich durchfinanzierte Kickstarter-Games-Projekte ansieht, entdeckt schnell einen gemeinsamen Nenner: Retro geht immer – Pixelgrafik und 16-Bit-Sound bedienen nostalgische Kindheitserinnerungen und sind deshalb regelmäßig erfolgreich. Aktuelles Beispiel: Slaps & Beans mit herzallerliebsten Pixel-Animationen von Bud Spencer und Terence Hill. Mehr Retro geht kaum.

Kickstarter-Hit "Slaps & Beans": Bud Spencer und Terence Hill im Pixel-Look.
Kickstarter-Hit „Slaps & Beans“: Bud Spencer und Terence Hill im Pixel-Look.

Auch Genres, die von traditionellen Publishern nicht (mehr) angefasst werden, schaffen häufig die selbstgesteckten Ziele: Weltraum-Simulationen wie Chris Roberts‘ Star Citizen oder das in Hamburg entstehende Everspace von Rockfish Games sind die prominentesten Beispiele. Aber auch Adventures, Retro-Rollenspiele, Rundenstrategiespiele, Jump & Runs und Shoot’em Ups finden sich in den Hitlisten.

Adrian Goersch: Ohne starke Fanbasis geht es nicht

Adrian Goersch, Black Forest Games
Adrian Goersch, Black Forest Games

Doch Kickstarter ist kein Selbstläufer, im Gegenteil. Das Offenburger Studio Black Forest Games hat mit Rogue Stormers und Giana Sisters: Twisted Dreams zwar schon mehrere Spiele erfolgreich bei Kickstarter platziert, wird aber „nach heutigem Stand kein Crowdfunding-Spieleprojekt mehr starten.“

Das Argument von Black-Forest-Geschäftsführer Adrian Goersch: „So eine Kampagne zu führen generiert mittlerweile keine Aufmerksamkeit mehr an sich, die erzielten Summen sind für eine Komplettfinanzierung in der Regel zu niedrig und die Risiken sind uns zu hoch.“

Adrian Goersch unterscheidet zwei Varianten von Entwicklern, die besonders häufig auf Kickstarter zu finden sind: „Es gibt zunächst einmal die Gegenpole ‚Last Chance – Ich habe nichts mehr zu verlieren‘ und ‚Kickstarter-Pro – Das ist mein Standard Finanzierungsmodell‘, zum Beispiel InXile oder auch King Art. Dazwischen ist alles möglich und grundsätzlich ist Crowdfunding für jeden möglich.“

Entscheidend ist aus seiner Sicht die externe Unterstützung, am besten durch eine starke Fanbasis oder Community. Die ergebe sich entweder aus dem Bekanntheitsgrad einer Person (Tim Schäfer), aus dem referenzierten Spiel (Mighty Nr. 9/Megaman) oder einer Verbindung von beidem (Chris Roberts/Wing Commander/Star Citizen).

„Ein weiteres Beispiel ist Everspace von Rockfish, das auf die Fanbase von Galaxy on Fire bauen konnte. Etwas anders ist es bei Lost Ember, die eine sehr starke Unterstützung durch die lokale Gamesszene erfahren haben und vorab sehr stark am Community-Aufbau gearbeitet haben“, analysiert Goersch.

Giana Sisters von Black Forest Games sammelte 180.000 Euro via Kickstarter ein.
Giana Sisters von Black Forest Games sammelte 180.000 Euro via Kickstarter ein.

50.000 Dollar für das nächste World of Warcraft

Jan Theysen, King Art Games
Jan Theysen, King Art Games

Zu den hiesigen Kickstarter-Veteranen zählt auch das Bremer Studio King Art Games, bekannt geworden durch das Adventure The Book of Unwritten Tales. Dessen zweiter Teil sowie das Rundenstrategiespiel Battle Worlds: Kronos und zuletzt das Rollenspiel Die Zwerge erreichten die geplanten Euro-Zielmarken. King-Art-Chef Jan Theysen und sein Team setzen auch künftig auf Kickstarter und arbeiten bereits am nächsten Kickstarter-Projekt, das für Anfang 2017 geplant ist.

„Ich denke, das Studio muss vor allem klar machen können, warum sie einen Kickstarter machen.“, sagt Theysen. „Die Unterstützer wollen verstehen, warum sie einem Entwickler helfen sollen. Was bringt das dem Spiel? Und was bringt der Kickstarter mir als Spieler? Außerdem muss glaubhaft sein, dass der Entwickler das Spiel umsetzen kann. Ein schlecht gemachtes Kickstarter-Video schafft nicht gerade Vertrauen. Auch wenn ein Fünf-Mann-Team fürs nächste World of Warcraft 50.000 Dollar haben will, sollte man lieber kein Geld locker machen.“

Auch im Falle von Lost Ember wurde zunächst eine Community um das Projekt geschart, ehe die Kickstarter-Kampagne startete. So manch gescheitertes Projekt lässt sich allein dadurch erklären, dass es genau anders herum läuft: „Der mit Abstand wichtigste Punkt meiner Meinung nach ist, dass man als Entwickler eine Fan-Basis aufbauen muss, bevor man den Kickstarter startet“, sagt King-Art-Chef Jan Theysen. „Man darf nicht erwarten, dass man einen Kickstarter macht und die Backer dann schon „von irgendwo kommen werden“.

Neben der Fanbasis unerlässlich: eine penible Vorbereitung, möglichst vorzeigbares Spielmaterial, ein realistischer Blick auf den Extra-Aufwand für die Betreuung der Fans und nicht zuletzt glückliches Timing.

Erscheint am 1. Dezember 2016: das King-Art-Rollenspiel "Die Zwerge".
Erscheint am 1. Dezember 2016: das King-Art-Rollenspiel „Die Zwerge“.

Adrian Goersch: „Fans sind die stärksten Unterstützer, aber auch die lautesten Kritiker.“

Viele erfolgreich finanzierte Projekte stammen von jungen Studios, die sich via Kickstarter ihren Traum vom eigenen Projekt erfüllen – siehe Mooneye Studios. Für solche Startups ist Kickstarter fast schon die einzige Chance, sofern man nicht über größere Mengen Erspartes verfügt.

„Als neugegründetes Studio kann Dir ein erfolgreicher Kickstarter viel Aufmerksamkeit bringen, bei Presse, Spielern und eventuell bei Publishern“, weiß Adrian Goersch. Bankkredite und Fördermittel erhält oft nur, wer bereits einen track record vorweisen kann – also eine möglichst lange Liste an abgeschlossenen Projekten.

Er warnt aber auch davor, das Projekt zu unterschätzen: „Aufwand und Kosten sind sehr viel höher, als man zunächst vermuten würde. Wer denkt an Versandkosten, verschwundene Pakete oder daran, daß ein Ingame-3D-Modell sich nicht zum 3D-Druck eignet? Dann die Backer: Absolute Fans die vorab Geld investieren. Sie sind deine stärksten Unterstützer, können aber auch die lautesten Kritiker werden. Zum Beispiel, wenn du Änderungen im Spiel vornimmst, die sie nicht wollen. So bei uns geschehen mit Rogue Stormers: Wir haben roguelike-Elemente eingebaut und es hat nur so negative Kritiken gehagelt. Jeder sollte sich auch die Frage stellen, was passiert, wenn die Kampagne nicht erfolgreich ist. Wir haben diese Erfahrung gemacht. Es ist extrem demotivierend und frustrierend für das gesamte Team. Wir haben einen Publisher-Deal für Rogue Stormers nicht bekommen, weil im finalen Greenlightmeeting einem Entscheider einfiel, dass es doch mal ein Kickstarterprojekt zum Spiel gab, das nicht erfolgreich war.“

Thousand Miles Out: Schicksal völlig offen

Wie es mit dem eingangs erwähnten, bei Kickstarter gekenterten Projekt Thousand Miles Out weitergeht, ist im Übrigen völlig offen. Das dreiköpfige Entwicklerteam will sich nun zusammensetzen und prüfen, wie die Chancen für einen Plan B stehen.

Auf der Website geben sich die Spieldesigner kämpferisch: „Wir glauben nicht, dass die Spielidee dafür verantwortlich ist, dass die Kampagne nicht genug Fahrt aufgenommen hat. Im Gegenteil, wir sind nach wie vor davon überzeugt das ein Spiel wie Thousand Miles Out Spaß machen wird und es genug Menschen da draußen gibt, die das genauso sehen.“

Um Northworks selbst muss man sich keine Sorgen machen, doch für das Survival-Projekt Thousand Miles Out geht es jetzt buchstäblich ums Überleben.