Wie lockt man Spiele-Entwickler aus dem Home-Office zurück ins Büro? Die GamesWirtschaft-Umfrage zeigt: mit Gratis-Pizza – unter anderem.
Im Frühjahr und Sommer 2020 konnte es in vielen Unternehmen nicht schnell genug gehen: Im Lichte der ersten Corona-Welle wurden ganze Branchen in den vorläufigen Home-Office-Zustand versetzt – was zunächst unterschiedlich gut klappte.
Auf Skepsis folgte Euphorie: Geschäftsführer und Führungskräfte rechneten Szenarien durch, wie sich teure Büroflächen auf Dauer verkleinern oder gar ganz auflösen lassen. Umgekehrt gewöhnten sich viele Arbeitnehmer an vermeintlich effizienteres Arbeiten im Dachgeschoss oder Keller, zur Not am Wohnzimmer- und Küchentisch – und daran, dass sinnbefreite und noch dazu unbezahlte Rush-Hour-Pendelei entfällt.
Vier Jahre später ist vielerorts Ernüchterung ein- und die Realität zurückgekehrt: Sowohl Startups und Mittelständler als auch DAX-Unternehmen und Tech-Konzerne wie Google oder Amazon wollen ihre Angestellten wieder regelmäßig im Büro sehen. Immer öfter greift Präsenzpflicht – zumindest an einzelnen Tagen.
Ist das Modell ‚Home-Office‘ damit gescheitert? Mitnichten, wie eine GamesWirtschaft-Umfrage zeigt: Denn viele Studios und Publisher haben sich genau angeschaut, was sich bewährt hat – und was nicht. Im Ergebnis kommt mittlerweile eine Art Best-of-both-worlds zum Einsatz – inklusive mancher Sonderregelung, um mühsam angeworbenes Fachpersonal nicht zu vergrätzen.
Gezeigt hat sich aber auch: Gerade für Brainstormings, Team-Meetings und vertrauliche Besprechungen bleiben Vor-Ort-Termine offenkundig unverzichtbar – zumal das Büro-Lagerfeuer auch nicht ganz erlischen darf. Es soll sich weiterhin wie eine Firma anfühlen und nicht wie eine lose Aneinanderreihung von Zoom- und Teams-Besprechungen.
Home-Office 2024: So arbeitet Deutschlands Spiele-Industrie
So haben sich führende Studios und Publisher mit Blick auf die Home-Office- und Remote-Regelungen aufgestellt (wird laufend ergänzt):
Astragon Entertainment UPDATE
Police Simulator, Bau-Simulator, Bus-Simulator und Landwirtschafts-Simulator sind das Kerngeschäft von Astragon.
Für die Beschäftigten im Düsseldorfer Hauptquartier gilt: Der überwiegende Teil der Arbeitszeit ist Home-Office-fähig. Die physische Anwesenheit ist an sechs Tagen pro Monat vorgesehen, davon vier frei wählbare und zwei für den persönlichen Austausch in den jeweiligen Projekt-Teams. Alle zwei Monate trifft sich das komplette Astragon-Team zur ‚Office Week‘.
Die Regelung hat post-pandemisch einige Nachschärfungen erfahren: Ursprünglich lautete der Plan, mit weniger Büro-Tagen auszukommen. Doch die Praxis habe gezeigt, dass einige Meetings, Workshops und Absprachen einfacher und effizienter funktionieren, wenn die beteiligten Kollegen vor Ort sind.
Gameforge
Das Projekt Homeforge habe aus Gameforge eine „bessere Firma“ gemacht als zu Beginn der Pandemie – so lautete die Zwölf-Monats-Bilanz des Karlsruher Online-Games-Pionier (OGame, NosTale).
Nach wie vor zählt Gameforge zu den Betrieben mit der wohl weitreichendsten Flexibilität: Die 300 Beschäftigten können unbegrenzt viele Home-Office-Tage in Anspruch nehmen – einzelne Teams organisieren in Eigenregie regelmäßige Präsenz-Meetings.
Um Anreize zur Rückkehr in die Zentrale zu schaffen, wurde das Büroumfeld attraktiver gestaltet – etwa durch ein firmeneigenes Fitness-Studio, Sportangebote, Tanzgruppen, Massagen und kostenlose Verpflegung. Eine Gameforge-Bar und gemeinsame Firmenurlaube – zuletzt auf Zypern – sollen den Zusammenhalt stärken.
Plaion
Die Embracer-Tochter mit Niederlassungen in München, im österreichischen Höfen und bei Fishlabs in Hamburg entwickelt und vertreibt ein breites Spiele-Portfolio – von Let’s Sing über Kingdom Come Deliverance bis Dead Island 2.
Je nach Standort gibt es unterschiedliche Vertragsmodelle: Am häufigsten sind Hybridverträge mit zwei flexiblen Tagen und drei Bürotagen, von denen zwei fix festgelegt sind. Allerdings gebe es auch Standorte mit voller Flexibilität des Arbeitsortes und empfohlenen Präsenztagen zu besonderen Anlässen wie Speakers Corners oder Team Events. Dort muss natürlich trotzdem gewährleistet sein, dass Funktionen wie die Rezeption und die IT täglich besetzt sind.
CipSoft
„CipSoft versteht sich als Office-Company“, sagt Co-Gründer Stephan Vogler. Und deshalb sei es wichtig, dass seine fast 100 Kollegen vor Ort persönlich zusammenarbeiten: „Trotzdem gibt es immer wieder gute Gründe, in begrenztem Umfang außerhalb des Büros zu arbeiten. Deswegen dürfen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis zu 20 Prozent der regelmäßigen Wochenarbeitszeit mobil arbeiten. Damit ist es möglich, jede Woche entweder einen vollständigen Tag mobil zu arbeiten oder diese Zeit über mehrere Tage in der Woche zu verteilen.“
Das Verfahren habe sich in den vergangenen 24 Monaten eingespielt und soll beibehalten werden.
Softgames
„Next Generation Instant Games“ sind die Spezialität von Softgames in Berlin. Ein Blick in die Karriere-Rubrik zeigt, was COO André Krug bestätigt: „Wir haben komplett auf Remote First umgestellt.“
In das Büro in der Nähe des Alexanderplatzes können die 105 Mitarbeiter (davon 55 in Deutschland) jederzeit kommen, um zu arbeiten oder sich zu treffen – er selbst sei ein bis zwei Mal die Woche vor Ort.
Ein derart stringent gelebter Remote-Ansatz ist weiterhin eine Seltenheit, zumindest in der deutschen Industrie. Für Softgames sei das Modell ideal, weil es ein Maximum an Flexibilität und Lebensqualität bietet. Krug: „Wir vertrauen unseren Mitarbeitern zu 100 Prozent.“
King Art
Nur wenige inhabergeführte Studios sind in den vergangenen Jahren so stark gewachsen wie King Art – mittlerweile sind in der Bremer Innenstadt etwa 110 Angestellte tätig.
Das King-Art-Modell geht so: Der Mittwoch ist ein frei gestaltbarer Home-Office-Tag – sofern es zu betreuende Kids oder Handwerker-Termine erfordern, lassen sich bei Bedarf auch weitere Tage ergänzen. Abseits von Speichermedien werde aber keine dedizierte Hardware gestellt.
„Grundsätzlich finden wir, dass gelegentliches Homeoffice eine nützliche Sache ist, wenn es um Flexibilität für Mitarbeiter geht“, sagt Gründer und Geschäftsführer Jan Theysen. „Durchgehendes Homeoffice halten wir für kreative Teamarbeit für nicht sinnvoll.“
Kalypso Media
Neben der Zentrale in Worms betreibt Kalypso Media gleich mehrere Studios, unter anderem Claymore in Darmstadt (Commandos: Origins), Realmforge in München (Dungeons) und Gaming Minds in Gütersloh (Railway Empire, Tropico).
Weiterhin gilt die Faustregel: zwei frei wählbare Tage Home-Office pro Woche pro Mitarbeiter. Das Prinzip habe sich entlang der Pandemie bewährt, passt zum geschäftlichen Alltag und wird auch von den Beschäftigten gut angenommen. Abhängig von den individuellen Lebensumständen werden in Absprache auch „pragmatische Einzellösungen“ getroffen.
InnoGames
Seit September 2021 – also schon seit drei Jahren – ist beim Hamburger Mobile- und Browsergames-Studio ein hybrides Arbeitsmodell im Einsatz. „Wir haben uns gegen reine Remote-Arbeit entschieden, weil wir überzeugt sind, dass der unmittelbare persönliche Austausch zwischen den Mitarbeitern sehr wichtig ist. Gerade, wenn es um Aufgaben geht, die ein hohes Maß an Kreativität und Interaktion erfordern“, erklärt Co-Gründer und COO Michael Zillmer.
Kurzum: Es gibt die klar formulierte und jüngst nachgeschärfte Erwartungshaltung, dass die Mitarbeiter ins Büro kommen. „Wie oft und wann genau – die Entscheidung überlassen wir aber den Teams. Sie wissen schließlich am besten, was gerade ansteht“, so Zillmer. „So treffen sich manche Teams jede Woche an einem bestimmten Tag, andere treffen sich über einen begrenzten Zeitraum mehrere Tage pro Woche.“
Einmal im Quartal trifft sich die komplette 350köpfige Belegschaft im Hauptquartier zur ‚Hamburg Week‘. Die Rückkehr ins Büro wird außerdem durch verschiedene ‚Incentives‘ befeuert – etwa durch ein kostenloses ‚Kantinen-Lunch‘ pro Woche und ein Technik-Update für die Arbeitsplätze. Und: Durch die Synchronisierung von Deutschland-Ticket und Home-Office-Bonus sollen Fahrtkosten keine Rolle mehr für die Pro-oder-contra-Büro-Entscheidung spielen.
HandyGames
Essen hält nicht nur Leib und Seele zusammen, sondern auch die Belegschaft: Mit großem Aufwand betreibt der unterfränkische Entwickler und Publisher ein eigenes Betriebsrestaurant, dessen Küchen-Team sich um die auskömmliche und vor allem kostenlose Verpflegung der 70+ Mitarbeiter kümmert.
Aus Gründen: Denn alle ausgeschriebenen Stellen sind „on-site only“. Heißt: Wer für und mit HandyGames arbeiten will, muss dies zwangsläufig in Giebelstadt nahe Würzburg tun. Daran wird sich bis auf Weiteres auch nichts ändern, betont Co-Gründer Markus Kassulke.
Travian Games
Bayerns größtes Games-Studio baut Online-Spiele in München. Überwiegend sind noch die Regelungen aus der Corona-Phase aktiv, wie der neue Geschäftsführer Viktor Pulz bestätigt. Bedeutet: Die allermeisten Beschäftigten haben die Möglichkeit, fünf Tage pro Woche im Home-Office zu arbeiten. Vier Mal pro Jahr treffen sich die Beschäftigten für je eine Woche im Betrieb – verteilt auf zwei Office-Events und zwei Team-Events.
In einigen wenigen Gewerken – etwa in der Office-IT oder in der Personal-Abteilung – ist mit Blick auf sensible Daten oder vertrauliche Gespräche eine häufigere Anwesenheit erforderlich.
Eine Ausnahme wurde kürzlich auch für das Management eingeführt, das am Montag und Dienstag zwingend in München vor Ort sein muss. Dass davon zunehmend auch andere Beschäftigte Gebrauch machen, könnte eventuell daran liegen, dass jede Arbeitswoche serienmäßig mit dem ‚Pizza-Monday‘ beginnt – heißt: Gratis-Pizza für alle.
Deck 13 Interactive
Die Flexibilität, die eingangs der Pandemie im Frühjahr 2020 zwangsläufig eingeführt wurde, hat sich der Frankfurter Atlas Fallen-Entwickler bis heute bewahrt. In der Konsequenz arbeitet gut die Hälfte der fast 100 Deck 13-Mtarbeiter vollständig von zu Hause, weitere 35 bis 40 Prozent nutzen ein hybrides Modell und nur ein sehr kleiner Teil ist vorwiegend im Büro tätig, weiß Content & Marketing Manager Phil Pradel.
Mit Ausnahme einzelner Jobs mit bestimmten Anforderungen ist das mobile Arbeiten freiwillig. Seit Dezember 2023 gibt es einmal pro Quartal eine Präsenzwoche, in der sich das gesamte Team in Frankfurt für Workshops und Firmen-Updates einfindet.
Yager
Schon seit Ende der 90er werden bei Yager in Berlin Computerspiele entwickelt – derzeit sind bei der Tencent-Tochter rund 130 Angestellte unter Vertrag.
35 Prozent arbeiten vollständig remote in Deutschland und Europa – dieser Teil der Belegschaft reist regelmäßig nach Berlin, die Hotel- und Reisekosten trägt die Firma. Weitere 65 Prozent leben in der Hauptstadt und arbeiten hybrid.
‚Hybrid‘ bedeutet in der Praxis: 8 Tage pro Monat sollten im Büro verbracht werden, davon entfallen 2 Tage auf „Company-Meeting-Tage“ – die ebenso dem Team-Zusammenhalt dienen wie Sommer- und Weihnachts-Events. Diese ‚Policies‘ wurden in den vergangenen 24 Monaten formalisiert und vertraglich festgeschrieben.
People & Culture Director Nora Neumann: „Es gibt Aspekte der Büroarbeit, die möglicherweise als Rückschritt empfunden werden, insbesondere im Vergleich zur schnellen Online-Zusammenarbeit. Dennoch sind die langfristigen Vorteile in Bezug auf
Teambuilding, Zusammenhalt, Kommunikation und den Aufbau sozialer Fähigkeiten immens, auch wenn sie kurzfristig weniger greifbar sind.“
Nintendo of Europe
Der größte Arbeitgeber der deutschen Games-Industrie sitzt in Frankfurt am Main: Annähernd 1.000 Beschäftigte versorgen (fast) den kompletten Kontinent mit Switch-Konsolen, -Zubehör und -Games.
Die extrem flexiblen Regelungen entlang der ‚Hoch-Phase‘ der Pandemie wurden durch eine einheitliche Vorgabe ersetzt, die grundsätzlich lautet: 3 Tage im Office, 2 Tage zu Hause. Falls es der Job oder ein Projekt erfordert, gilt natürlich Anwesenheitspflicht.
Dies gilt zum Beispiel für Arbeiten an ‚geheimen Inhalten‘ – und es spricht viel dafür, dass damit möglicherweise auch neue Konsolen gemeint sein könnten.
Ubisoft
An den Standorten in Mainz, Düsseldorf und Berlin arbeiten fast 900 Mitarbeiter für den französischen Publisher. Abseits von ‚heimischen‘ Marken wie Anno und Die Siedler sind die Teams auch in internationale Co-Produktionen wie Far Cry oder Rainbow Six eingebunden.
Als ‚Lehre‘ aus den Pandemie-Jahren wurde ein hybrides Arbeitsmodell eingeführt, das immer weiter verfeinert wird, um ein besseres Gleichgewicht zwischen den Vorteilen von Remote und der Arbeit im Büro zu erreichen.
Die nächste Iteration: Demnächst sollen die Beschäftigten drei Tage pro Woche im Büro verbringen – mit dem Ziel, Kreativität und Team-Arbeit zu fördern.
Sie kennen weitere bemerkenswerte Arbeitszeit-Modelle in der Games-Industrie im deutschsprachigen Raum? Dann schicken Sie uns gerne eine kurze E-Mail an die Redaktion (Stichwort: „Home-Office“) – der Beitrag wird laufend erweitert.