Die große eSports-Analyse von GamesWirtschaft: Wem gehört der eSports? Wer verdient daran? Und warum ist es Games-Lobby und Unternehmen so wichtig, offizielle Anerkennung als Sport zu erlangen?
Mit jeder geleerten Dose Red Bull leisten die Verbraucher einen bescheidenen Beitrag, damit sich der österreichische Energydrink-Abfüller auch künftig mit großer Hingabe der Inszenierung von Sport-Events widmen kann. Tausende Zuschauer auf den Tribünen und Millionen vor den Bildschirmen sind dann Zeuge, wenn beim Red Bull Air Race waghalsige Doppeldeckerpiloten um Pylonen schwirren und bei den „X-Fighters“ zu allem entschlossene Motocross-Fahrer über Erdhügel brettern.
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Niemand wird in Abrede stellen, dass die spektakulären Red-Bull-Sport-Events ganz erhebliche mentale und athletische Anforderungen an die teilnehmenden Downhill-Biker, Formel-1-Piloten, Snowboarder und Skateboarder stellen.
Gleichzeitig werden sich nur wenige finden, die sich für eine Aufnahme dieser Leibesertüchtigungen ins olympische Sortiment aussprechen. Oder gar der Meinung sind, man müsste einem Unternehmen mit 5 Milliarden Umsatz zusätzliche finanzielle Förderung aus dem Steuersäckel angedeihen lassen.
Genau dies passiert aber beim Thema eSports.
eSports-Analyse: Die Parallelen zwischen Red Bull Air Race und League of Legends
Schauen wir uns das Red-Bull-Modell genauer an:
- Wer gibt die Regeln dieser Wettbewerbe vor? Red Bull.
- Wer hält die Rechte an allen Marken und Logos? Red Bull.
- Wer bucht die Hallen, Stadien, Innenstädte? Red Bull.
- Wer bezahlt Preisgelder, Profis, Flüge, Unterkunft? Red Bull.
- Wer wirbt zusätzliche Sponsoren? Red Bull.
- Wer vermarktet die Übertragungen in Web und TV? Red Bull.
Wenn man nun gedanklich das Wort „Red Bull“ zum Beispiel durch „Riot Games“ ersetzt, ergeben sich faszinierende Parallelen zu League of Legends (LoL), dem meistgespielten eSports-Titel.
League of Legends ist das einzige Produkt von Riot Games, einer US-Tochter des chinesischen Unternehmens Tencent, dem mit weitem Abstand größten Anbieter von Computer- und Videospielen des Planeten.
Wem gehört der eSport?
Von klassischen Massensportarten wie Fußball, Leichtathletik, Skifahren, Golf oder Tischtennis unterscheiden sich eSports-Spiele dadurch, dass sie nicht der Allgemeinheit „gehören“. Das gilt für League of Legends, Counter-Strike, SMITE oder Dota 2 genauso wie zum Beispiel für Red Bull Air Race oder Stefan Raabs Wok-WM. Sämtliche Rechte an den Disziplinen liegen in den Händen des jeweiligen Unternehmens.
Riot ist Herr des Verfahrens, in jeder Hinsicht. Riot kann Spielregeln, Spielmodi, Spielzugänge, technische Anforderungen, Übertragungsrechte, Businessmodell, Turniere und Eintrittskarten-Preise nach eigenem Gutdünken anpassen oder auch einzelne Spieler, Teams, Veranstalter, Medienpartner und Dritt-Anbieter ausschließen, wann immer das aus unternehmerischer Sicht geboten erscheint.
Beispiel: Niemand darf mal eben ein größeres League of Legends-Turnier ausrichten, ohne dass Riot damit einverstanden wäre. Wer es doch versucht, wird zügig Post von den Anwälten bekommen, denn: Die europäische Marke „League of Legends“ umfasst unter anderem die „Veranstaltung und Durchführung von Wettkämpfen“. Wenn es nicht im ureigensten kommerziellen Interesse von Riot läge, gäbe es auch keine Twitch- oder Youtube-Streams von und mit League of Legends.
334 Millionen Zuschauer haben allein die letztjährige LoL-WM verfolgt. Nicht zuletzt aus der phänomenalen Popularität von Spielen wie League of Legends, Counter-Strike und Dota 2 und aus den beeindruckenden Wachstumsprognosen leitet die hiesige Games-Branche den Anspruch ab, dass eSports endlich Anerkennung als „richtige“ Sportart finden muss.
Der Games-Branchenverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU e. V.) hat erst vor wenigen Wochen eine eigene eSports-Vereinigung gegründet. Verbands-Geschäftsführer Dr. Maximilian Schenk vertritt nicht nur die hiesigen Unternehmen, sondern auch die Auffassung, dass Deutschland die Voraussetzungen mitbringt, um „zum wichtigsten eSports-Hub in Europa“ zu werden.
„Die Entstehung neuer Arbeitsplätze bei Entwicklern, Publishern, Broadcastern und Dienstleistern könnte das Ergebnis eines stärkeren Engagements und einer größeren Anerkennung von eSports in Deutschland sein“, so Schenk. „Ebenso würden mehr international relevante Turniere hierzulande ausgetragen werden, wenn der rechtliche Rahmen dies künftig ermöglicht.“
Die Spur des Geldes: Wer verdient am eSport?
Doch warum ist es Lobby-Gruppierungen wie dem BIU und Veranstaltern wie der Electronic Sports League (ESL) ein so dringendes Bedürfnis, dass eSports als Sport anerkannt wird? Wo es doch auch ohne diesen vermeintlichen Ritterschlag bislang durchaus möglich erschien, ganze Stadien und Mehrzweckhallen zu füllen, hinreichend Profis zu versammeln und beachtliche Preisgelder auszuschreiben?
Wann immer die Motivation unklar erscheint, dann halten sich Steuerfahnder, Staatsanwälte und Journalisten an das Motto „Follow the money“. Die Spur des Geldes liefert auch Antworten auf die Frage, wem die Anerkennung von League of Legends oder Counter-Strike als „gemeinnützige Sportart“ am Ende nutzt.
Im Zentrum des eSports-Ökosystems stehen vier US-amerikanische Spielehersteller:
- Riot Games (League of Legends / Umsatz: 1,6 Mrd. Dollar)
- Valve (Counter-Strike, Dota 2, Team Fortress 2 / Umsatz: 3,5 Mrd. Dollar)
- Activision Blizzard (Overwatch, Heroes of the Storm, Hearthstone, Call of Duty, Starcraft 2, Major Gaming League / Umsatz: 4,5 Mrd. Dollar)
- Electronic Arts (FIFA 17, Battlefield / Umsatz: 3,6 Mrd. Dollar)
Zum engeren Kreis hinzugezählt werden muss zudem der weißrussische Anbieter Wargaming.net, der mit World of Tanks und World of Warplanes nach Schätzungen annähernd eine halbe Milliarde Dollar umsetzt.
Zum Vergleich: Die FIFA – der mächtigste Sportverband der Welt – schaffte 2015 einen Umsatz von 1,1 Mrd. Dollar, der Deutsche Fußballbund (DFB) nahm zuletzt 230 Millionen Euro ein.
Wer profitiert vom eSports-Wachstum?
Wenn es um eSports geht, landet man schnell beim lokalen Platzhirschen Electronic Sports League (ESL), der bereits seit dem Jahr 2000 Turniere ausrichtet, Ligen betreibt und vermarktet. Die ESL wird von der Kölner Turtle Entertainment GmbH betrieben, die 2014 laut Bundesanzeiger bei einem Umsatz von rund 16 Mio. Euro einen Fehlbetrag von zwei Mio. Euro auswies, vorwiegend begründet durch massive Investitionen.
Mitte 2015 wurde die Turtle-Mehrheit für 78 Mio. Euro an den börsennotierten, schwedischen Medienkonzern Modern Times Group (MTG) verkauft, der auch am bekannten eSports-Format Dreamhack beteiligt ist.
MTG-Vorstandschef Lindemann macht keinen Hehl aus den Beweggründen hinter der Übernahme: „Der durchschnittliche Umsatz pro eSports-Fan lag 2014 bei gerade mal 2 Dollar – verglichen mit den 56 Dollar eines Fans traditioneller Sportarten. Dieses globale Phänomen birgt also enormes Potenzial.“
Ein kommerzielles Interesse am eSports-Wachstum in Deutschland haben darüber hinaus:
- Lobby-Verbände, allen voran der deutsche Branchen-Bundesverband BIU
- Video- und Live-Streaming-Plattformen, insbesondere Twitch (eine Amazon-Tochter) und Youtube (eine Google-Tochter)
- Turnier-Ausrichter wie Valve, ESL oder Red Bull
- Fernsehsender wie ProSieben, Sky und Sport1
- Betreiber von Stadien und Veranstaltungshallen, darunter Schalke 04 (Veltins Arena)
- Sponsoren wie Intel, Asus, TAG Heuer oder Volkswagen
- Dienstleister und Agenturen
- Auf Highend-Zubehör spezialisierte Hardware-Hersteller wie Roccat oder Speedlink
- Startups wie das Berliner eSports-Trainings-Startup Dojo Madness
- Professionelle Clans und eSports-Teams („ProGamer“)
Steuersparmodell eSports
Nun ist es in einer Marktwirtschaft guter Brauch, dass Unternehmen Geld verdienen sollen, gerne auch richtig viel Geld. Indes ist es mindestens diskussionswürdig, ob einzelne Konzerne von Förderung und Steuerwohltaten profitieren sollten, wenn jenseits von Vertriebsbüros nur selten mehr als eine Handvoll Arbeitsplätze in Deutschland entstehen und Profite nicht zwingend in Deutschland versteuert, sondern wie im Falle von Valve über Töchter in Luxemburg abgewickelt werden.
Überhaupt nimmt das Thema „Steuern“ in der Debatte einen beunruhigend großen Platz ein. Der BIU liebäugelt in einer Stellungnahme sehr offen mit einer steuerrechtlichen Anerkennung der Gemeinnützigkeit von eSports-Teams, was „die Befreiung von der Körperschaftssteuer (…), der Gewerbesteuer (…) und der Grundsteuer (…)“ zur Folge hätte. Dies würde Clans motivieren, sich als Verein einzutragen.
Nun hindert Spieler schon jetzt niemand daran, sich analog zu Karnickelzüchter-, Kegel- und Karnevals-Vereinen zusammenzuschließen und einen eingetragenen Verein zu gründen, wie es bereits vielfach geschehen ist. Der Knackpunkt ist die Anerkennung der Gemeinnützigkeit seitens des zuständigen Finanzamts, die zu den erwähnten steuerrechtlichen Vorteilen führt.
Die Hürden sind hoch: Das Wirken des gemeinnützigen Vereins darf nicht nur den zahlenden Mitgliedern (zum Beispiel einem Clan) zugute kommen, sondern explizit auch der Allgemeinheit. Jedermann muss Mitglied werden können, geschlossene Gesellschaften sind ausgeschlossen. Zudem dürfen keine Gewinnerzielungsabsichten mit den Aktivitäten des Vereins verknüpft sein. Wer als halbprofessionelles Team bei hochdotierten Turnieren antreten möchte, kann nicht gleichzeitig auf Gemeinnützigkeit pochen.
Was in keinem Dokument explizit erwähnt wird, aber in den Überlegungen von Industrie und Verbänden eine Rolle spielen dürfte: International bedeutsame Sportveranstaltungen erfahren steuerlich oft eine Sonderbehandlung und sind von der Umsatzsteuer ausgenommen – sei es die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 oder ein Golf-Turnier wie der Ryders Cup. Würde im Falle von eSports ähnlich verfahren, wären Ausrichter bei Großereignissen wie der Dota-2-WM „The International“ oder der League-of-Legends-WM steuerbefreit.
Auch hier gilt: Follow the money.
Der Fokus auf berufsmäßige Progamer erklärt zudem, warum die eSports-Abteilung des VfL Wolfsburg nicht etwa Teil des gemeinnützigen „Vereins für Leibesübungen Wolfsburg e. V.“ ist, in dem sich solch illustre Abteilungen wie Armwrestling, Cheerleading, Jazzdance und Rollkunstlauf tummeln. Vielmehr sind die beiden E-Sportler bei der ausgelagerten Fußball-Lizenzspieler-Abteilung – also der VfL Wolfsburg GmbH – unter Vertrag.
eSports-Analyse: Der Unterschied zwischen Sport und Spiel
Die Politik kann und darf nicht bestimmen, was Sport ist und was nicht. Der Sport ist autonom. Soll eSports als Sport Anerkennung finden, führt kein Weg vorbei am Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und seiner Landesverbände. Im Juli 2015 sorgte jener Spitzenverband für ein mittelschweres Beben im Games-Segment: eSports sei kein Sport und habe somit keinen Platz im DOSB.
Um überhaupt als DOSB-Mitglied in Betracht zu kommen, bedarf es einer „sportartbestimmenden motorischen Aktivität“, die gleichzeitig „Selbstzweck der Betätigung“ sein muss. Der Haken: Unter dem Sammelbegriff eSports sind so unterschiedliche Disziplinen wie Counter-Strike, Hearthstone und FIFA vereint, die in Ablauf, Regelwerk und motorischem Anspruch unterschiedlicher nicht sein könnten – von einheitlichen Liga-Strukturen ganz zu schweigen. Hier kocht jede Disziplin ihre eigene Suppe: So veranstaltet beispielsweise die deutsche Fußball-Liga DFL und Electronic Arts mit großem Zuspruch die „Virtuelle Bundesliga“ auf Basis des jeweils aktuellen FIFA-Spiels.
Nach einem Gutachten des Bundesverwaltungsgerichts von 2005 gibt es einen sehr klaren Unterschied zwischen „Sport“ und „Spiel“ – Ersteres ist auf Erhaltung und Steigerung von Gesundheit und körperlicher Leistungsfähigkeit ausgerichtet, Zweiteres zielt auf Zeitvertreib, Entspannung und Zerstreuung. Im Zweifel dürften Dota 2 und Counter-Strike in die Kategorie „Spiel“ fallen – egal mit welcher Ernsthaftigkeit und Intensität man diese Tätigkeit betreibt.
Mindestens das explizite Ziel der Gesundheitsförderung wird sich nur mit großer Mühe aus dem Umstand herauskeltern lassen, dass fünfköpfige Teams mit Maus und Tastatur bewaffnet vor einem PC sitzen.
Herzfrequenz & Cortisol: Wie anstrengend ist eSports?
Wiederholt wird darauf abgehoben, dass E-Sport mindestens so anstrengend sei wie Billard oder Darts, deren Verbände im DOSB zu Hause sind – und allein schon deshalb Sport seien. Dass im Wettbewerb ausgetragene Computerspiele physisch und psychisch fordernd sind, ist in der Sportwissenschaft tendenziell unstrittig. Eine Studie der Sporthochschule Köln unter Leitung von Prof. Ingo Froböse wies nach, dass Herzfrequenz und Cortisolpegel von Profispielern durchaus dem eines Marathonläufers entsprechen.
Indes betrafen die Untersuchungen den sogenannten ProGamer, der täglich zehn Stunden aufwärts trainiert – inwieweit auch gewöhnliche Freizeitspieler von den Segnungen profitieren, bleibt offen. Für einzelne eSport-Titel wie Hearthstone ist – und das werden selbst die eifrigsten Befürworter zugestehen – eher unterentwickelte Athletik vonnöten. Ein Argument, das auch dem ebenfalls um sportliche Anerkennung ringenden Poker-Spiel stets vorgehalten wird.
Hier liegt eines der Hauptdramen, wenn von „eSports“ die Rede ist: die Schwammigkeit. Je nach Absender ist damit jeder gemeint, der einmal pro Woche im Mehrspielermodus gegen einen anderen Spieler antritt – oder aber professionell organisierte, vermarktete und trainierende Amateur- und Berufs-Spieler.
Das oft zitierte Beispiel „Schach“ taugt übrigens nicht länger als Kronzeuge, warum eSports dringend Anerkennung finden muss als Sport: Zwar gilt Schach weiterhin steuerrechtlich als Sport und ist als solches explizit in den Bestimmungen der Finanzbehörden für die Erteilung der Gemeinnützigkeit aufgeführt. Doch dem Schachbund, immerhin DOSB-Gründungsmitglied, wurden zuletzt sämtliche öffentliche Förderungen zusammengestrichen.
eSports-Analyse: FIFA ja – Counter-Strike nein
Hinzu kommt, dass mindestens Call of Duty, Battlefield und Counter-Strike jene ethischen Maßstäbe verletzen, die beispielsweise auch dem Ultimate Fighting oder Wrestling eine sportpolitische Würdigung seitens des DOSB verweigern. Nun kann man das augenrollend als Rückständigkeit alter Männer zur Kenntnis nehmen und olympische Gegenbeispiele wie Schießen und Fechten anführen, bei denen tödliche Gewalt zumindest abstrakt simuliert wird.
Nur: Solange nicht klar definiert ist, welche Spiele mit eSports eigentlich gemeint sind und welche eher nicht, wird dem eSports mittelfristig kein Blankoschein ausgestellt. Niemand will das Risiko eingehen, dass unter der Überschrift „Sport“ zunächst harmlose FIFA-16-Spiele durchgewunken werden, um dann im nächsten Schritt Battlefield-1-Matches zu erleben, in denen Erste-Weltkriegs-Soldaten sich im Senfgas winden und mit Klappspaten aufeinander losgehen.
Nicht zu unterschätzen: Im Gegensatz zu klassischen Sportarten schließt der eSport viele Kinder und Jugendliche aus – mit wenigen Ausnahmen wie FIFA. Strategiespiele wie League of Legends, Starcraft 2 und Dota 2 sind erst ab 12 Jahren freigegeben, Halo 5, Overwatch und Counter-Strike tragen ein USK-16-Siegel, Call of Duty und Battlefield sind reine Erwachsenen-Spiele. In einem Alter, in dem ein Kind erste Erfahrungen mit League of Legends sammeln könnte, sind Nachwuchs-Kicker längst in der D-Jugend angekommen.
Visa für eSportler: Das herbeigeredete Problem
Weil eSports nicht als Sport anerkannt ist, hatten professionelle Turnier-Teilnehmer in der Vergangenheit angeblich „massive Probleme“ bei der Einreise nach Deutschland. Wie viele genau? Nahe null. Schlagzeilen machte ein Fall des chinesischen Teams „Invictus Gaming“, das 2015 am Flughafen Frankfurt abgewiesen wurde.
Doch nach GamesWirtschaft-Recherchen ist dies der einzig aktenkundige Fall – zumal es Aufgabe von Management und Veranstalter ist, die entsprechenden Visa und Genehmigungen für Turniere in Taipeh, Seattle, Manila oder Frankfurt zu organisieren.
Der BIU argumentiert: Wäre eSports Sport, könnten Spieler und Trainer von Visa-Ausnahmeregelungen für Athleten profitieren. Nur: Dazu muss man nicht zwingend als Leistungssportler firmieren. Spieler aus eSports-Nationen wie Schweden, Bulgarien, Polen, Serbien, Tschechien, Korea, Israel, Kanada, Finnland oder den USA können ohnehin ohne Visum nach Deutschland reisen und antreten – nach der Ankunft wird dann ein „dem Aufenthaltszweck entsprechender Aufenthaltstitel“ ausgestellt.
Turnier-Zuschauer aus der EU, den USA, Taiwan oder Südkorea, die einer Veranstaltung in Berlin oder Köln beiwohnen, müssen für Kurzaufenthalte bis maximal drei Monate ebenfalls kein Visum beantragen.
eSports: Eine Milliarden-Branche verschließt die Augen vor dem Doping
Verbandsvertreter und Veranstalter berauschen sich regelmäßig an den exorbitant hohen Abruf- und Zuschauerzahlen bei Turnieren. Dabei hat der eSports ein ganz anderes Rausch-Problem ungeklärter Größenordnung, dessen Bekämpfung mit „halbherzig“ noch vornehm umschrieben ist: Doping.
Es gibt wenige Aktivitäten, in denen die gezielte Medikamenten-Einnahme derart unmittelbare und messbare Vorteile bringt. Leistungssteigernde Substanzen verbessern Konzentration, Ausdauer und Reaktionsschnelligkeit und reduzieren Jetlag und Lampenfieber bei Turnieren vor Tausenden Zuschauern, bei denen es um Prämien in Millionenhöhe geht. Ritalin, Adderall, Valium, Amphetamine – die Liste potenziell „nützlicher“ Medikamente ist lang.
Ob die spektakulären Aussteiger-Enthüllungen und Kronzeugen-Geständnisse der vergangenen Monate bedauernswerte Ausnahmen sind oder ob es im eSports flächendeckendes Doping gibt, vermag niemand zu sagen. Prävention und Kontrolle sind seitens der Ausrichter aber unverzichtbar, zum Schutz von fair spielenden Teilnehmern, von Sponsoren, von Zuschauern und Fans und nicht zuletzt der Gesundheit der Spieler.
Die ESL arbeitet seit gut einem Jahr mit Doping-Agenturen wie NADA und WADA zusammen und beruft sich auf eine üppige Liste verbotener Substanzen.
Anzahl der positiv getesteten eSports-Aktiven: null. Was entweder bedeutet, dass alle Spieler sauber sind – oder aber, dass die Kontrollen völlig unzureichend sind. Erwischte Spieler haben ohnehin wenig zu befürchten und scheiden allenfalls aus dem Turnier aus. Geldstrafen oder langfristige Sperren sind nicht vorgesehen. Ohne internationale Sportgerichtsbarkeit fehlen umgekehrt Strukturen, damit sich Spieler wirksam gegen Sanktionen wehren können.
eSports: Doping-Entdeckungs-Risiko gleich Null
Es wird nicht genügen, auf Turnieren einen Tapeziertisch aufzubauen und über die Risiken von Doping-Mitteln aufzuklären. Bei der League of Legends-Championship und bei Großturnieren wie „The International“ mit Preisgeldern jenseits von 18 Millionen Dollar gibt es bislang keinerlei Kontrollen. Die Szene ist also in jeder Hinsicht weit entfernt von professionellen Doping-Tests, die über vereinzelte Stichproben bei Finalrunden hinausgehen. Begründung: zu hohe Kosten. Keine Pointe.
Wer seinen Talenten während der Vorrunden und Qualifikationsspiele medikamentös nachhilft, hat exakt gar kein Entdeckungsrisiko.
Hinzu kommt: Je stärker Online-Wettanbieter in den eSports-Markt drängen, desto anfälliger wird er zwangsläufig für betrügerische Spiel- und Wettmanipulationen und Bestechungen, die noch schwerer nachzuweisen sein dürften als bei klassischen Sportarten. Der eSports-Markt ist diesbezüglich komplett unreguliert: Fest steht, dass nichts fest steht.
eSports-Experten wie der britische Funktionär Ian Smith sind sich sicher, dass derzeit vor allem kleinere Turniere betroffen sind – er nennt dies „Micky-Maus-Betrug“, bei dem es um wenige hundert oder tausend Dollar pro Fall geht. Allerdings: Mit steigenden Preisgeldern wächst auch die Attraktivität für die organisierte Kriminalität.
Dabei haben Betrug, Doping und Match-Fixing (also absichtliches Verlieren) das Potenzial, den Markt und das Vertrauen von Fans und Sponsoren zu zerstören: Denn Glaubwürdigkeit, Chancengleichheit und Fairplay sind der Hauptgrund, warum sich Menschen Live-Wettbewerbe ansehen und dafür Geld zahlen.
Spielehersteller und Ausrichter sind sich der Risiken für das Businessmodell bewusst und haben daher Anfang Juli 2016 die eSports Integrity Coalition (ESIC) ins Leben gerufen. An Bord sind neben der ESL auch Twitch und Valve – gleichzeitig fehlen aber wichtige Akteure wie Riot Games, Electronic Arts, Wargaming.net oder Activision Blizzard. Die Initiatoren sind nicht naiv und dürften wissen, dass der bislang vorliegende „Ehrenkodex“ allenfalls symbolischen Charakter hat. Ohne Kontrolle, ohne Prävention, ohne Sanktionierung wird es nicht gehen.
eSports: Weniger Wohltätigkeit, mehr Geschäft
Die eSports-Analyse von GamesWirtschaft belegt: eSports-Disziplinen, -Marken, -Spielerdaten, -Ligen, -Turniere und -Events waren, sind und bleiben in Händen von einigen wenigen, überwiegend börsennotierten Konzernen mit Milliarden-Umsätzen, die in erster Linie ihren Aktionären und Eigentümern verpflichtet sind und sich eher selten dem Gemeinwohl, der Jugendkultur, der Völkerverständigung, der Entwicklungshilfe oder der Gesundheitsförderung verschrieben haben.
Esports ist keine Wohltätigkeitsveranstaltung. Esports ist ein Geschäft.
Vor diesem Hintergrund sind auch die Bündelung der legitimen wirtschaftlichen und politischen Interessen durch esports.BIU oder von Seiten der eben gegründeten World Esports Association (WESA) zu sehen, die ebenso wie die FIFA ihren Sitz in Zürich hat. Die WESA will sich zum Beispiel um die Turnierplan-Abstimmung und Regeln für Spielertransfers kümmern. Der Verband wurde nicht nur von der ESL mitgeschaffen, sie stellt vorsichtshalber auch zwei von fünf Sitzen im Vorstand.
Es ist auch kein Zufall, dass im öffentlichen Diskurs und in Stellungnahmen der Verbände am liebsten mit globalen Fabelzahlen argumentiert wird. Denn das schlicht Atemberaubende Marktwachstum kommt in allererster Linie einer Handvoll internationaler Player zugute – getreu dem Motto: The winner takes it all. Nur ein kleiner Teil der Wertschöpfung entsteht in Deutschland. An dieser ungesunden Konstellation dürfte sich auch dann nichts Wesentliches ändern, wenn eine DOSB-Anerkennung vom Himmel fiele.
Die Hürden für jene DOSB-Aufnahme bleiben ohnehin gigantisch hoch. Die Achillesferse des eSports: Dem Gewerbe mangelt es seit jeher am Faktor Gemeinnützigkeit, also an basisdemokratischen, hierarchischen Strukturen in Form von übergeordneten, explizit nicht gewinnorientierten Dachverbänden mit optimalerweise mehr als 10.000 Mitgliedern, funktionierender Jugendarbeit, nationalen Ligen und Nationalmannschaften.
Solange diese Hausaufgaben nicht erledigt sind, bleibt es bei dem wenig vielversprechenden Ansatz, das Pferd von hinten aufzuzäumen – also erst das Maximale für den Profibetrieb herausholen, dann der Otto-Normalspieler. Irgendwann.
eSports-Ausblick: Verbände und Veranstalter in der Bringschuld
In jedem Fall werden die eSports-Fürsprecher und Verbände klarer belegen müssen, dass sie mit ihren Ansinnen aufrichtig auch den „Breitensport“ – also die geschätzt vier Millionen ambitionierten Freizeit-Spieler – im Blick haben. Derzeit wird fast ausschließlich mit den Segnungen für den kommerziellen eSport argumentiert, der von Visa-Erleichterungen und dem Zugang zu den begehrten Sportfördertöpfen bis hin zur Befreiung von der „Spielhallenerlaubnis“ reicht.
Unbequeme, dennoch wichtige Themen wie Doping oder Wettbetrug spielen in der Debatte hingegen bislang eine beschämend untergeordnete Rolle. Wohlwollend könnte man dies damit erklären, dass es sich eben um ein sehr junges Phänomen handelt – 16 Jahre nach Gründung der ESL.
Oder wie es ein Insider kürzlich formulierte: Ein richtiger Sport ist eSports erst dann, wenn es den ersten größeren Fall von Doping, Manipulation oder Bestechung gibt.
Natürlich gibt es eine Vielzahl stichhaltiger Gründe, dem Thema eSports in der öffentlichen Wahrnehmung deutlich mehr Gewicht und Gesicht zu geben – alleine schon der Fans wegen. Zudem sind eSports-Wettbewerbe schlichtweg ein gigantischer Zuschauermagnet und damit ein relevanter Wirtschaftsfaktor, wenngleich die regionale Hotellerie und Gastronomie von einem eSports-Großereignis in der Frankfurter Commerzbank-Arena kaum mehr profitieren dürfte als von einem Helene-Fischer-Konzert an selber Stelle.
Die Gamesbranche tut gut daran, sich in all diesen Punkten ehrlich zu machen – und sich nicht daran abzuarbeiten, ob eSports nun mehr oder weniger anstrengend sei als etwa Darts-Werfen. Einer Sportart, die erst 2010 vom DOSB anerkannt wurde und für diesen Status nicht weniger als 20 Jahre gebraucht hat. Geholfen hat hier übrigens auch, dass das computergestützte E-Dart explizit nicht vom Dartverband ausgerichtet wird.
Dieser Weg, er wird kein leichter sein.
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[…] Kritisch betrachtet Petra Fröhlich die eSport-Entwicklungen im Jahr 2016 in einem Artikel für Games Wirtschaft, der auch darauf hinweist, dass eSport nicht nur kommerziell orientiert sein, sondern auch die […]
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