Start Meinung Augen auf bei der Berufswahl (Fröhlich am Freitag)

Augen auf bei der Berufswahl (Fröhlich am Freitag)

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Wie lassen sich junge Menschen von einer Karriere in der Games-Branche begeistern? (Abbildung: privat)
Wie lassen sich junge Menschen von einer Karriere in der Games-Branche begeistern? (Abbildung: privat)

Kinder wollen später mal Prinzessin oder Feuerwehrmann werden, aber selten Games-Entwickler. Warum eigentlich nicht?

Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

am vergangenen Wochenende hat ein ehemaliger Mitschüler im Nachgang zu einem Klassentreffen sein Versprechen eingelöst – indem er die Freundschaftsbuch-Seiten aus der Grundschul-Zeit abfotografiert und in die gemeinsame WhatsApp-Gruppe gestellt hat.

Na, da war was los.

Aus heutiger Sicht sind die einst abgefragten Informationen ein einziger Verstoß gegen ungefähr alle Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung. Wir als knapp 10jährige haben uns natürlich nix dabei gedacht, als wir pflichtbewusst unsere vollständige Adresse, die Telefonnummer, Augenfarbe, Größe und Gewicht (!) mit unseren Geha- oder Pelikan-Füllern reingemalt haben.

Selbst der Laie erkennt auf den ersten Blick, aus welchem Jahrzehnt die Kladde stammt – nämlich aus der ersten Hälfte der 80er Jahre. Und zwar allein daran, dass in der Rubrik „Liebste Musikgruppen“ und „Liebste Songs“ einmal die ZDF-Hitparade durchdekliniert wird: Nena, Spider Murphy Gang, Trio, Peter Schilling und sehr, sehr oft Geier Sturzflug (die mit dem Bruttosozialprodukt).

Am interessantesten finde ich die Einträge in der Zeile: „Ich möchte … werden“. Zuweilen ist dort ein „Weiß ich noch nicht“ oder ein großes Fragezeichen zu besichtigen, weil die Planlosigkeit nun mal die Lebenswirklichkeit von Grundschülern widerspiegelt. Andere wollten ganz bodenständige Berufe ergreifen – ‚Frisöse‘, Sekretärin, LKW-Fahrer, Elektriker, Schreiner, Lehrerin, Bäuerin (es war/ist eine sehr ländliche Gegend) oder Schlosser zum Beispiel, in exotischeren Fällen auch Goldschlägerin, Rally-Fahrer oder Profifußballer.

Bei mir steht da original: „Journalistin, Schriftst.“. Ja, so hab ich auch geguckt.

Dass der Grundschul-Berufswunsch einige Jahre später tatsächlich Wirklichkeit wurde, hat in erfreulich vielen Fällen geklappt. Einer schrieb „Sparkassenangesteller“ – und wurde … Sparkassenangestellter.

Careful what you wish for.

Eine damalige Mitschülerin ist heute eine gefragte Bestatterin (soweit man das für diesen Berufsstand so sagen kann). Was in der WhatsApp-Gruppe die berechtigte Frage aufkommen ließ, wie die Reaktionen ausgefallen wären, wenn sie in der 3. oder 4. Klasse dieses Berufsziel formuliert hätte (Vermutung: „Leute, was stimmt mit dem Kind nicht …?“).

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Ich bin nicht ganz auf der Höhe, ob solche Freundschaftsbücher in Zeiten von TikTok und Insta immer noch ein ‚Ding‘ unter jungen Leuten sind. Angeboten und vertrieben werden diese Produkte jedenfalls zuhauf. Im Paw Patrol-Freundschaftsbuch gibt es zum Beispiel den Eintrag „Das finde ich PAWtastisch“ und eine „Das ist so cool!“-Rubrik („Platz für ein Buch, einen Film oder ein Spiel.“). Und natürlich existiert darin eine Zeile für „Das will ich mal werden.

In meinen eigenen Berufsplänen haben mich die führenden Fachzeitschriften der späten 80er Jahre bestärkt, die einen erheblichen Teil des Taschengelds auffraßen. Meine persönlichen Helden waren Power-Play-Redakteure wie Heinrich Lenhardt, Boris Schneider, Anatol Locker, Martin Gaksch oder Michael Hengst. Viele ihrer ‚Tests‘ und Meinungskästen konnte ich auswendig rezitieren. Als geschätzt 13- oder 14jährige hab ich mal all meinen Mut zusammengenommen und auf einer Computer-Messe bei der Rezeptionistin am Verlagsstand vorgefühlt, ob denn „der Herr Schneider auch da“ sei. Antwort: „Denk schon – soll ich mal schau’n?“. Ich so: „Ne ne, lassen’se mal, der hat bestimmt viel zu tun…“.

Der weitere Verlauf meiner beruflichen Laufbahn ist als Blaupause gänzlich ungeeignet, weil er mit unfassbar vielen Zufällen und – sagen wir es gemeinsam – Glück zu tun hat. Der Nürnberger Games-Magazin-Verlag, der mein erster Auftrag- und späterer Arbeitgeber werden sollte, befand sich gerade einmal 30 Kilometer Luftlinie von meinem Wohnort entfernt. Jede andere geografische Lage hätte die Geschichte an dieser Stelle vorzeitig beendet – selbst München wäre schon unerreichbar gewesen, buchstäblich.

Kein Jugendlicher, der seine sieben Sinne beisammen hat, will heute mehr ‚Spieletester‘ werden (zumindest würde ich hart davon abraten). Dann schon eher E-Sportler oder Influencer. Der dringende Wunsch nach YouTube-Fame flackerte auch bei Teenagern in meinem Umfeld für kurze Zeit auf – zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als sich erster Frust breit machte, weil der Abrufzähler des hochgeladenen Videos auch nach Wochen wie festbetoniert schien. Erstaunlicherweise hatte absolut niemand auf diesen Beitrag gewartet. Also dann doch ‚was Richtiges‘.

Tatsächlich haben sich die Berufswünsche von Kindern in den vergangenen Jahrzehnten nur geringfügig weiterentwickelt, wie aktuelle Umfragen belegen: Weiterhin regieren Tierärztin, Lehrerin, Ärztin, Tierpflegerin, Lokführer, Pilot, Polizist, Feuerwehrmann und – natürlich – Fußballprofi. Mit zunehmendem Alter rücken (auch) monetäre Aspekte in den Fokus, weshalb dann eher Arzt/Ärztin, Ingenieur/in, Manager/in, Anwalt/Anwältin oder Architekt/in genannt werden.

Selten bis nie taucht in solchen Befragungen der Wunsch nach einer Karriere als Games-Entwickler oder -designer auf – spielen ja, aber machen? Kaum mehr als 11.000 Menschen gehen in Deutschland dieser Profession bei Entwicklern und Publishern nach, darunter ein erheblicher Anteil an Daten-Analysten, Community-Managern oder Sales- und Marketing-Personal. Im Vergleich zur Situation vor fünf Jahren hat sich diese Zahl genauso stark verändert wie die YouTube-Abrufe des erwähnten Nachwuchs-Influencers, nämlich so gut wie gar nicht.

Die Politik könnte natürlich das Ihre dazu beitragen, das Image und damit die Attraktivität der Branche zu steigern. Tatsächlich wird beim Stichwort ‚Games‘ immer noch zuerst die Nützlichkeit und bereits an zweiter Stelle der Nachwuchs mitgedacht – und zwar nicht für die Produktion von wettbewerbsfähigem Entertainment, sondern für andere, seriöse Branchen.

Erst gestern hat Bayerns CSU-Digitalministerin Judith Gerlach der Ampel-Koalition vorgeworfen, mit der Förderpolitik dem Games-Standort Deutschland zu schaden („ein Desaster“). Was insofern lustig ist, weil es ja Gerlachs Parteifreund Scheuer war, der sich die Mechanik ausgedacht hat.

Der Freistaat Bayern hingegen bleibe selbstverständlich „ein starker und verlässlicher Partner der Spiele-Entwickler“. So sei zum Beispiel ein „ein virtuelles Einsatztraining“ für die bayerischen Feuerwehren entstanden. Frei nach dem Motto der Berufs-Lyriker von Geier Sturzflug: „Ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt – wir fördern das Serious-Games-Produkt.“

Nun wird die Spiele-Branche nicht müde, laut den akuten Fachkräftemangel zu beklagen. Die Motivation, diesen Mangel proaktiv selbst zu beheben (nämlich durch Aus- und Weiterbildung), ist da schon ungleich geringer ausgeprägt – mit löblichen Ausnahmen.

Es ist eine Sache, bei Aktionstagen wie dem Girls Day für das Gewerbe zu trommeln – aber eine ganz andere, jungen Menschen dann auch eine gleichermaßen konkrete wie realistische Berufs-Chance zu eröffnen. Nur ganz wenige Studios und Publisher bilden den Nachwuchs selbst aus, etwa als Fachinformatiker. Und selbst Praktika sind alles andere als normal.

Deutlich gefragter ist weiterhin Senior-Kompetenz zum Junior-Entgelt. Als mir vor ein paar Tagen eine Spiele-Entwicklerin mit jahrelanger Erfahrung verraten hat, welche Jahresgehälter in ersten Sondierungsgesprächen bei führenden, profitablen, durchaus gut beleumundeten und noch dazu an staatlicher Entwicklungshilfe partizipierenden Studios im Raum standen, bin ich ein bisschen vom Glauben abgefallen.

Mittelfristig wird sich zwingend was bei der durchschnittlichen Lohnabrechnung tun müssen, damit Top-Leute, aber erst recht Nachwuchs-Talente und dringend benötigte Berufseinsteiger ihren Lebensunterhalt halbwegs seriös finanzieren können – auch und gerade an Hotspots wie Hamburg, München, Frankfurt oder Berlin.

Sonst wird das nix mit der Aufholjagd am Weltmarkt.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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2 Kommentare

  1. > Als mir vor ein paar Tagen eine Spiele-Entwicklerin mit jahrelanger Erfahrung verraten hat, welche Jahresgehälter in ersten Sondierungsgesprächen bei führenden, profitablen, durchaus gut beleumundeten und noch dazu an staatlicher Entwicklungshilfe partizipierenden Studios im Raum standen, bin ich ein bisschen vom Glauben abgefallen

    Das kann ich leider nur bestätigen. Gerade in der indie-ecke ist das teilweise schon unverschämt wenn ein Studio einen Senior sucht und dafür keine 2000€ Brutto zahlen will. Es mag ja sein, dass Studios glauben, dass der „Spaß am Spiele entwickeln“ Lohn genug sei aber davon kann ich a) nicht meine Miete bezahlen und b) ist das entgegen aller Meinung am Ende doch harte Arbeit ein Spiel auf die Beine zu stellen!

    Zum Thema Berufswunsch kann ich nur sagen bin ich (glücklicherweise) in den 90er Jahren groß geworden, als die Szene gerade ihre Popularität ausgebaut hat und demnach stand der Berufswunsch dann doch schon sehr früh (und spätestens mit dem TV Sender GIGA) dann schon mit nahezu in Beton gegossener Sicherheit fest und .. here I am!

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