Start Meinung Wenn ChatGPT die Games-Dialoge schreibt (Fröhlich am Freitag)

Wenn ChatGPT die Games-Dialoge schreibt (Fröhlich am Freitag)

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Wie von Zauberhand: Für Spiele wie Hogwarts Legacy werden Unmengen an Assets benötigt (Abbildung: Warner Bros.)
Wie von Zauberhand: Für Spiele wie Hogwarts Legacy werden Unmengen an Assets benötigt (Abbildung: Warner Bros.)

ChatGPT elektrisiert nicht nur Schüler und Studenten: Künstliche Intelligenz wird die Games-Industrie durchdringen und verändern – möglicherweise zum Guten.

Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

in meinem früheren Leben habe ich Spiele „getestet“. Ich war also Spieletesterin. Das galt dereinst als ehrbarer Beruf, weil hochauflagige Spielezeitschriften analog zur Stiftung Warentest hochseriöse Kaufberatung leisteten – in lichten Momenten sogar Verbraucherschutz.

Anders als heute gab es nämlich nicht nur eineinhalb ernstzunehmende Fußball- oder Basketball-Simulationen für PC und Konsole, sondern Dutzende – darunter unfassbar viel Schrott, der nur deshalb kommerziell funktionierte, weil er erstens billig produzierte wurde. Und zweitens, weil sich die Kunden in Ermangelung von Amazon-/Steam-Rezensionen, Foren und Social Media nicht wechselseitig vor diesem Schrott warnen konnten. Zumindest: nicht schnell genug.

Weil die Disketten, Module, CDs und DVDs zunächst noch vervielfältigt werden mussten, ergab sich ein zeitliches Delta zwischen Fertigstellung und Veröffentlichung. Sobald kompetenten Pressesprechern und Marketing-Strategen klar wurde, dass ihr Produkt nichts taugte oder in unfertigem Zustand in die Karstadt-Regale gelangen würde, verpasste die Testversion leider, leider den Paketdienst und damit den Redaktionsschluss. Noch heute werden diese Der-Hund-hat-die-Hausaufgaben-gefressen-Spielchen praktiziert, um Vorbesteller und Early Adaptor nicht unnötig zu verunsichern.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Jedenfalls war es bis hinein ins frühe 21. Jahrhundert in den meisten Redaktionen üblich, Games in ihre Features, also in ihre Bestandteile zu zerlegen und diese Komponenten zu gewichten und miteinander zu vergleichen: Grafik, Sound, Schwierigkeitsgrade, Steuerung, Zwischensequenzen, Missions-Design.

Ein wichtiges Kriterium lautete „Künstliche Intelligenz“ – gemeint war damit das möglichst clevere Verhalten der Computergegner. Schickt die Games-KI immer und immer wieder die gleichen Truppen in Richtung meiner Burgmauern? Oder wird situativ reagiert, indem beispielsweise schlecht verteidigte Flanken erkannt werden? Und: ‚Lernt‘ der Computer dazu – oder wiederholt er den gleichen Fehler, wo es doch beim ersten Mal schon schief ging?

Die Computerspiele-KI der 90er Jahre ist mit jener von heute natürlich nur noch in Ansätzen vergleichbar. Die Studios haben enorme Fortschritte gemacht – und mit ihr die Figuren in den Produkten. In einem Spiel wie The Last of Us 2 fühlt sich Ellies Häuserkampf gegen Zombies schon ziemlich glaubhaft, weil unvorhersehbar an. Finde ich.

Perfekt zielende Gegner zu kreieren, sei überhaupt kein Problem, sagen Programmierer. Allerdings: Zu viel Intelligenz killt den Spielspaß. Nach wie vor erscheinen Rennspiele, bei denen die computergesteuerten Piloten faktisch keine Fahrfehler begehen und sich nie verbremsen, sondern wie an einer Perlenschnur durch Haarnadelkurven surfen. Ja ne, is‘ klar, Forza Horizon.

In diesen Tagen hat das sperrige Thema „Künstliche Intelligenz“ wieder Hochkonjunktur – aus guten Gründen. Denn lange war KI ein eher abstrakter Begriff, der eher auf technischer, akademischer und ethischer Ebene diskutiert wurde. Oder eben mit Blick auf Pixelhäufchen, die zügig den Weg von A nach B finden.

Seit sich aber rumgesprochen hat, dass ChatGPT ziemlich souverän Bücher, Rezepte, Artikel, Studien, Verträge, Programm-Code oder Gute-Nacht-Geschichten zusammenfasst, interpretiert, weiterdenkt, kontrolliert oder komplett neu schreibt, ist das Netz im KI-Fieber. Denn plötzlich erschließt sich ein Markt der Möglichkeiten an Anwendungsgebieten. Dass ChatGPT & Co. zuweilen auch ziemlichen Käse produzieren, sollte nicht zu fataler Gelassenheit verleiten. Denn in der Tendenz wird die Qualität besser, mit jedem Tag. Microsoft und Google statten Suchmaschinen und Office-Programme mit KI-Elementen aus.

Niemand sollte sich daher Illusionen hingeben, dass sein eigener Büro- oder Kreativ-Job ob der eigenen Exzellenz oder Brillanz gegenüber der KI-Konkurrenz auch künftig ’sicher‘ und wettbewerbsfähig und unverzichtbar sei. Das gilt zuvorderst und selbstverständlich auch für den Journalismus. Vor allem jenem, der sich darauf beschränkt, den Inhalt von Pressemitteilungen möglichst unfallfrei wiederzugeben.

Wenn man sich ein bisschen in das Thema reinfuchst, entdeckt man plötzlich überall Produkte, für die das Attribut „krass“ erfunden wurde. Seit dieser Woche gibt es zum Beispiel eine neue Version von Midjourney: Bereits nach Eingabe weniger Stichworte generiert das Tool binnen Minuten absurd professionelle Illustrationen – völlig wurscht, ob Landschaften, Portraits, Gemälde, Cartoons oder Album-Cover (Beispiel 1, Beispiel 2, Beispiel 3). Die Vorschläge lassen sich noch beliebig optimieren und weiterspinnen: weniger Schnörkel am Gebäude, dunklere Wolken, mehr Warhol.

Würde man einen Grafiker an einen solchen Auftrag ransetzen, würde das Tage dauern – und wäre unbezahlbar.

Man muss nicht Wahrsagerei auf Lehramt studiert haben, um zu ahnen: Das Geschäftsmodell vieler Illustratoren, Fotografen und Bildagenturen ist durch solche Services substanziell gefährdet. Shutterstock hat die Flucht nach vorne ergriffen und kürzlich seinerseits AI-Tools integriert.

Gleichzeitig drängen sich unmittelbar Fragen auf, etwa mit Blick aufs Urheberrecht: Wem gehören eigentlich die künstlich erzeugten Grafiken, Figuren, Klamotten, Animationen, Songtexte, Sound-Effekte, Spielfiguren, Gebäude, Logos, Dialoge? Wer darf sie vermarkten, vertreiben, lizenzieren?

Mit diesen Fragen wird sich auch die Games-Industrie beschäftigen (müssen) – zumal in der Entwicklung ohnehin schon Vieles längst automatisch läuft: Ganze Wälder lassen sich auf Knopfdruck generieren. Tools wie die Unreal Engine bringen von Haus aus immer gigantischere Bibliotheken und Funktionen mit, die einst mühsam von Hand gecoded werden mussten.

Wer Hogwarts Legacy spielt, muss den Eindruck gewinnen, dass die irre Menge an ermüdenden „Ach übrigens, was ich Sie noch fragen wollte, Professor …„-Dialogen schon jetzt direkt von ChatGPT generiert wird.

Im besten Fall lassen sich Prototypen und Spiele dank KI schneller und effizienter entwickeln – auch und gerade von Indie-Studios. Technologien, die zunächst nur Großunternehmen zur Verfügung standen, ermöglichen auch Newcomern mit geringem Budget ganz erstaunliche Ergebnisse. Steam und Appstores sind voll damit. In einer Branche, wo ja ganz viele unterschiedliche Gewerke zusammenlaufen, hat KI buchstäblich das Potenzial zum erneuten Game-Changer.

Denn Künstliche Intelligenz ist das, was man disruptiv nennt – also eine Technologie, die ganze Geschäftsmodelle über den Haufen wirft. Die Erfindung des Smartphones war für Anbieter von Navigationssystemen, Digitalkameras, MP3-Playern, Diktiergeräten, Stadtplänen und Camcordern eine eher mittelgute Nachricht.

Wie bei allen Hype-Themen besteht natürlich immer ein Restrisiko, dass vermeintliche Supertechnologien gar nicht mal jene breite und schnelle Durchdringung finden, die ihnen Zukunftsforscher attestieren – Stichwort Virtual Reality, 3D-Drucker, Blockchain, Games-Streaming, 3D-Fernseher. Erst in dieser Woche wurde die Cyber-Datenbrille Google Glass beerdigt.

Beim Thema KI spricht jedoch Vieles dafür, dass es uns auf Dauer beschäftigt – einfach deshalb, weil die Hürden selbst für Laien niedrig sind, weil sich die Tools einfach bedienen lassen und oft kostenlos sind und weil sie das Leben potenziell erleichtern. Der Nutzen drängt sich sofort auf: Man fotografiert vorhandene Küchenvorräte – und bekommt einen Rezeptvorschlag. Und schon halten die Helferlein Einzug in unseren Alltag – genauso wie Siri und Alexa, die Heizungen, Rollläden und Leuchten steuern.

Wahre Geschichte in diesem Zusammenhang: Letztens fiel das WLAN bei meiner Schwiegermama aus – kein WhatsApp, keine ZDF-Mediathek, kein Radio über Amazon Show. Kurzum: Super-GAU. Nachdem wir den Fehler vor Ort behoben hatten, war die Seniorin überglücklich und meinte beiläufig im Spaß: „Hach, Alexa, schön, dass du wieder da bist.“ Und aus dem Lautsprecher schallte es: „Ich freue mich auch. Wir sind ein super Team!“

Alle mussten herzhaft schmunzeln. Gleichzeitig rollte mir ein kleiner Schauer über den Rücken. Das wird noch sehr spannend.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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2 Kommentare

  1. Zitat: „Gleichzeitig rollte mir ein kleiner Schauer über den Rücken. Das wird noch sehr spannend.“

    Informativer Artikel, guter Schlußpunkt. Bisschen Dystopie hatte noch gefehlt… 😀

  2. Naja, ich vergleiche KI gerne mit der frühen Ära der Industrieroboter, bei der sich auch ettliche Arbeiter um ihre Jobs betrogen gefühlt haben. Im Grunde ist das eine Entwicklung, die uns Werkzeuge ermöglichen, die unsere Jobs produktiver machen. Sei es nun im verfassen von Texten oder eben Illustrationen. Übrigens arbeitete unsere Firma eine zeit lang auch schon an Level-Design KIs, das fanden unsere Leveldesigner auch nicht witzig.

    Und nichts anderes als das ist KI, ein Werkzeug, dass dem Menschen vor dem Bildschirm dazu dient ein Ziel zu erreichen. Deswegen kann man diese ganze Thematik auch schon wieder beenden. Man muss wissen wie man die Werkzeuge einsetzt, das erfordert wiederum Fachpersonal. Auch müssen die Ergebnisse – noch – stellenweise nachbearbeitet werden. Es werden also über kurz oder lang nur solche Jobs wegfallen, die durch das Werkzeug austauschbar geworden sind. Das wird weder alle Illustratoren noch Photographen doer sonstige Kreativberufe treffen, nur eben jene, die sich nicht weiterentwickeln!

    Zum Thema Urheberrecht ist die Sachlage aktuell zwar noch in einer Grauzone aber über kurz oder lang bin ich davon überzeugt, dass es sich dahingehend klären wird, dass KI zunächst einmal keine Urheberrechtsverletzung begeht. Das Argument wird ja ganz gerne von den KI-Gegnern ins Feld geführt. Ohne jetzt zu sehr in die technischen Details zu gehen, KI sind nicht intelligent – viel mehr handelt es sich um eine deterministische Maschine, deren Komplexität mittlerweile ein Level erreicht hat, bei dem die Entscheidungsfindung für uns nicht mehr nachvollziehbar ist. Und zu dieser Entscheidungsfindung gehört es auch, dass sich die KI „inspirieren“ lässt, etwa von geschützten Werken auf Google. Diese Werke werden aber nicht 1:1 in das Modell übernommen und so verbreitet, was eben der Rechtsgrund für die Urheberschaft ist, sondern die Werke werden in logik „umgerechnet“ und am Ende in das Modell integriert. Respekt an dieser Stelle wer in der Lage ist aus der Logik sein geschütztes Werk herauszulesen und dann einen Copyright-Claim zu machen – richtig, geht nicht!

    Am Ende bleibt also nur die Frage wem die Werke gehören und da ist die Antwort bislang recht einfach, das kommt auf das Lizenzmodell an. Midjourney ist beispielsweise Creative Commons lizensiert und somit gehören die Werke niemandem. Aber hier kommt dann wieder der Grafiker/Illustrator ins Spiel, der das von der KI generierte Werk als Inspiration für ein eigenes Werk verwendet und damit wiederum ein Urheberrecht besitzt. Ich persöhnlich nutze Midjourney regelmäßig um richtig coole Bilder zu erstellen, die ich von Hand so niemals hätte gestalten können – oder es hätte einfach Monate gedauert.

    Letztendlich wird es keine Frage sein ob das irgendwann einzug in die Arbeitswelt halten wird sondern wann. Die Technologie ist da, man wird die Nutzung weder regulieren noch verbieten können und so müssen wir eben damt zurecht kommen. Im übrigen auch ein Grund zwingend Informatik bereits an Grundschulen zu unterrichten – wer nicht mitzieht wird leider zukünftig abgehängt werden!

    Durch die gleiche Situation mussten auch die Fabrikarbeiter, deren Jobs durch Roboter ersetzt wurden

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