Unter der Überschrift „Der Free2play-Nepp“ stellt Mick Schnelle der deutschen Games-Branche ein vernichtendes Zeugnis aus. Bei GamesWirtschaft antwortet ihm Aeria-Games-Studiochef Bernd Beyreuther.
Vorbemerkung: Wie bei allen Gastbeiträgen und Kommentaren auf GamesWirtschaft.de spiegelt auch diese Kolumne ausschließlich die Meinung des Verfassers und nicht zwingend die Meinung der Redaktion wider.
[toc]Als Gameswirtschaft vor einigen Tagen eine aktualisierte Übersicht der größten deutschen Spielefirmen brachte, entlockte das dem von mir – nicht nur eigentlich, sondern wirklich – sehr geschätzten Mick Schnelle einen Stoßseufzer: “Das Traurige dabei: Die meisten der ‚großen‘ deutschen Entwickler produzieren nur noch Free2Pay-Ramsch. Welch Verschwendung von Entwicklerpotenzial.”
Ich konnte nicht anders, als das zu kommentieren: “Eigentlich gab es vor Free2play keine wirklich deutsche ‚Industrie'“. Und das kann ich nur wiederholen: Free2play hat die deutsche Spieleindustrie geschaffen – und diese wiederum den westlichen Free2play-Markt.
- Schaut man sich die deutschen Firmen an, dann wird deutlich: 85 Prozent der deutschen Spieleentwickler arbeiten heute in Free2play-Firmen.
- Erst der enorme Personalbedarf der Free2play-Firmen hat zu einer Internationalisierung der Spielebranche geführt. Heute kommen Entwickler aus der ganzen Welt nach Deutschland – vor zehn Jahren litten wir darunter, dass die allerbesten Leute ins Ausland gingen.
- Die Größe, wirtschaftliche Stabilität und Professionalität der deutschen Firmen ist drastisch besser als vor 10 oder 15 Jahren.
- Durch diese stabilen und großen Firmen, aber auch durch das Businessmodell ist ein vitales Ökosystem entstanden: Allein in Berlin gibt es mehr Entwickler als vor Jahren in ganz Deutschland.
Mick antwortet auf meine Behauptung mit einer wortgewaltigen Meinungs-Kolumne auf GamersGlobal, die im wesentlichen 4 Punkte formuliert:
- Richtige Spiele haben Anfang und Ende. Einen Spannungsbogen.
- Free2play-Apps sind keine Spiele.
- Die Free2play-Industrie setzt nur auf Hütchenspieler-Tricks und Nepp.
- Die Free2play-Industrie blockiert kreative Köpfe – die doch eigentlich “richtige” Spiele machen könnten und “wenn ein Gutteil der erfahrenen Experten plötzlich nur noch Verdummungs-Apps produziert, braucht man auf Qualitätssoftware ‚Made in Germany‘ nicht mehr zu warten. “
Hm. Ist da was dran? Ich schaue mal genauer hin – ein bisschen hat er ja recht. Aber nur ein bisschen.
“Richtige Spiele haben Anfang und Ende. Einen Spannungsbogen.”
Was für ein Quatsch! Ein Kommentar bringt es auf den Punkt: “Stimmt, ich vergaß den tollen Spannungsbogen und das prima Leveldesign bei Schach. Aber hab ich schon drei Mal durchgespielt. Seitdem liegt es in der Kiste.” Spiele auf einmal durchspielbare Erfahrungen zu reduzieren, macht für einen Gamedesigner gar keinen Sinn. Das Brettspiel Siedler von Catan in meinem Regal spricht eine ganz andere Sprache – das ist abgegriffen und zerfleddert, weil es immer und immer und immer wieder gespielt wurde. Die Sims, Minecraft, Counter-Strike habe ich auch nie durchgespielt. Die Verengung des Spielbegriffs auf erzählerische-filmische Erfahrungen ist für einen Gamedesigner unbedingt schädlich, da sie Spielmechaniken, User-Experience, User-Interface, Balancing – all die Meisterschaft, die notwendig ist für ein gutes Spiel – vernachlässigt.
Ich behaupte daher: Die richtig guten Spiele kann man immer und immer wieder spielen. Das andere sind interaktive Filme.
“Free2play-Apps sind keine Spiele!”
Der klassische Core-Gamer zeigt oft eine gut gepflegte Abneigung gegen die “Klicker Klacker“-Spiele. Aber ich denke, es sind die Free2play-Spiele – speziell die mobilen – gewesen, die Games endgültig zu einem Massenphänomen, mehr noch: zum Teil unserer Alltagskultur gemacht haben. Der klassische Core-Gamer ist heute nur noch ein Segment im riesigen Spielemarkt und alles in allem geben Frauen heute mehr Geld für Spiele aus als Männer.
Ich schätze mal, dass die Free2play-Spiele der deutschen Firmen – von Jelly Splash, Dark Orbit, Goodgame Empire, Nonstop Knight, Travian und wie sie alle heißen, täglich von mindestens 20 Millionen Menschen weltweit gespielt werden. Diese Reichweite ist kein Argument für sich – aber wie ich denke doch ein Indikator, das diese Free2play-Spiele doch Spaß machen. Und darum geht es doch bei Spielen – oder?
Wie ein User so treffend schreibt: “Im Endeffekt ist das eine Frage des Geschmacks. Michael Schnelle mag keine Free2play-Spiele. Soviel kann man seinen Beiträgen wohl entnehmen. Na und? Hunderte Millionen Spieler sehen das anders. Die spielen F2P, weil es ihnen Spaß macht. Es muss ja auch nicht jeder Helene Fischer mögen, nicht wahr Michael?“
Eine der spektakulärsten Firmen-Akquisitionen der letzten Monate war die Übernahme von King durch Activision-Blizzard. Der Inbegriff und seit Jahren die Verkörperung der klassischen AAA-Firma – Activision-Blizzard – kauft den den Mobile-Casual-Spezialisten – wie passt das zusammen? Ich finde ganz einfach: Blizzard wie King stehen für die allerbeste Qualität in ihrem jeweiligen Spielgenre.
Ich behaupte daher: Angesichts der langen Liste der herausragenden Free2play-Spiele – League of Legends, World of Tanks, Clash of Clans, Hearthstone, Path of Exile, Warface – kann niemand wirklich ernsthaft behaupten, das wären keine richtigen Spiele.
“Die Free2play-Industrie setzt nur auf Hütchenspieler-Tricks und Nepp”
Mick schreibt: “Es mag so 15 Jahre her sein, da tingelten schummrige Gestalten über fast alle Branchenkonferenzen, wie weiland Vorwerkvertreter durchs Nachkriegsdeutschland. Ihr einziges Thema: Monetarisierung (…) Da hört man natürlich ganz genau hin, wenn schlaue Menschen einen Weg zu dauerhaften Einnahmen weisen. Und genau dazu sollte die Monetarisierung dienen.”
Micks Beschreibung der Entstehung der Free2play-Monetarisierung ist meiner Meinung vollkommen falsch: Es waren keine sinistren Gestalten, die den deutschen Firmen das teuflische Konzept der Mikro-Monetarisierung einimpften. Soweit ich es überblicke, stolperten die Firmen mehr oder weniger zufällig da rein, nachdem Mikro-Payments im Netz möglich wurden. Es wäre eine spannende Aufgabe für einen Journalisten, mal die Entstehung der Free2play-Monetarisierung in Deutschland und Korea zu recherchieren.
Der Erfolg und die Möglichkeit, mit dem Verkauf virtueller Items Geld zu verdienen, überraschte. Ich selbst hielt dies bis 2010 – als ich bei Bigpoint selbst zum ersten Mal in einer Free2play-Firma arbeitete – schlicht nicht für möglich.
Daher ist es wahr: Als Free2play vor Jahren explodierte, da herrschte in den Firmen große Begeisterung für immer neue Mechaniken, die die Umsätze ankurbelten. Die Gamedesigner in den Free2play-Firmen waren auch verantwortlich für die Monetarisierungs-Features. Und ja – es gibt viele Standard-Mechaniken, die gezielt eingesetzt werden. So wie jeder Einzelhändler „krumme“ 0,99-Euro-Preise ansetzt. Und die Spiele werden genau getrackt und der Erfolg optimiert und an KPIs gemessen. Mein geschätzter Freund und Kollege Christian Godorr (heute bei Spilgames, früher Ubisoft) – nannte diese Art des Monetarisierungs-Gamedesigns “die dunkle Seite des Gamedesigns”. Klar gab und gibt es da schwarze Schafe, die mit unlauteren Methoden das System ausgenutzt haben, aber ehrlich gesagt hat man das bei Pay2play-Spielen auch, wenn man ein Spiel für 50 Euro kauft und dann nur einen Reskin mit leichten Balancing-Änderungen vom letzten Titel der Reihe bekommt.
Die wirklich guten Free2play-Firmen haben aber schon lange erkannt, dass man Free2play-Spiele mit Monetarisierungsmechaniken zwar “melken” kann – aber nachhaltigen und wirklich großen Erfolg erzielt man nur mit richtig guten Spielen. Und zwar dann, wenn – siehe Punkt 1 – die Spieler immer immer wiederkommen.
Der KPI dazu heisst “Retention”. (KPI = Key Performance Indicator = Messgröße, Retention = Haltbarkeit, Anm. d. Red.)
Daher organisieren kluge Free2play-Firmen die Teams dergestalt, dass die Kreativen – die Gamedesigner – sich wieder ausschließlich um das eigentliche Gameplay kümmern.
Monetarisierung überlässt man Experten, die Statistik und Verkaufspsychologie im Blut haben, sogenannten Business Performance Managern.
Und die richtig klugen Free2play-Firmen werden sich im Zweifel immer für Engagement und gutes Gameplay und gegen Monetarisierung entscheiden.
Gute Spiele zu machen ist eine Kunst – Monetarisieren eher Handwerk.
Daher behaupte ich: Wenn man alle Free2play-Spiele ignoriert, dann sieht man natürlich die wichtigen und spannenden Entwicklungen nicht. Da muss man schon genauer hinschauen. Hütchenspielertricks und Nepp existieren – ohne Frage. Aber kein Entwickler ist gut beraten, nur darauf zu setzen.
“Die Free2play-Industrie verbrennt und blockiert kreative Köpfe, …“
„… die doch eigentlich ‚richtige‘ Spiele machen könnten und “wenn ein Gutteil der erfahrenen Experten plötzlich nur noch Verdummungs-Apps produziert, braucht man auf Qualitätssoftware ‚Made in Germany‘ nicht mehr zu warten.“
Es ist natürlich richtig, dass der wirtschaftliche Erfolg nicht zwangsläufig neue gute Spiele zustande bringt. Ich glaube aber, dass wir – wenn wir eine Chance auf tolle Spiele haben wollen – auch wirtschaftliche stabile Firmen brauchen. Diese wirtschaftliche Stabilität hat für 85 Prozent der Arbeitsplätze in der deutschen GamesIndustrie das Free2play-Business Modell geschaffen. Mäzenatentum und kleine profitable Nischen existieren daneben, aber nicht wirklich für viele Entwickler, sondern für einen verschwindend kleinen Prozentsatz.
Nochmal: Ich behaupte nicht, dass dieser wirtschaftliche Erfolg und die Spielernähe zwangsweise zu besseren Spielen führt – das tut er nicht. Ich behaupte aber, dass diese Stabilität und Kontinuität notwendig sind, um ein Umfeld zu schaffen, wo begabte Kreative großartige Spiele schaffen können.
Ist das einfach? Nein.
Aber Game of Thrones von Bigpoint oder Dreadnought von Yager – beides aus Berlin – scheinen mir schon mal zwei vielversprechende, wirklich hochwertige Free2play-Spiele zu werden, die verdienen, Qualitätssoftware “made in Germany” genannt zu werden.
Und ich bin sicher: Irgendwo in der brodelnden Games-Startup-Szene wird schon an einem Hit gebastelt, der diesmal nicht aus Stockholm oder Helsinki, sondern aus Berlin oder Hamburg kommt, mit Sicherheit Free2play ist – und auch Mick gefällt.
Darauf wette ich einen Kasten feinstes bayerisches Bier!
Über den Autor: Bernd Beyreuther hat 2000 das bekannte Berliner Studio Radon Labs gegründet und mit dem Rollenspiel Das Schwarze Auge: Drakensang 2009 den ersten Deutschen Computerspielpreis gewonnen. Von 2010 bis 2014 war er als Producer und Game Director für die Berliner Bigpoint-Niederlassung tätig und verantwortete das Free2play-Browserspiel Drakensang Online.
Nach einer Station bei King (Candy Crush Saga) ist er seit November 2015 bei Aeria Games in Berlin tätig und bekleidet heute die Funktion des Head of Studio.
[…] Bedeutungslosigkeit abzurutschen. http://www.gamersglobal.de/meinung/der-free2play-nepp Bernd Beyreuther: "Free2play-Nepp?" Von wegen! – Gameswirtschaft.de mein kommentar zum thema: ich habe mir jetzt mal schnelles kolumne durchgelesen. seine […]
Kommentarfunktion ist geschlossen.