Start Meinung Helge, Hennes, Helene und der helle Wahnsinn (Fröhlich am Freitag)

Helge, Hennes, Helene und der helle Wahnsinn (Fröhlich am Freitag)

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In der letzten August-Woche schlägt das 'Heart of Gaming' in Köln (Abbildung: ähnlich)
In der letzten August-Woche schlägt das 'Heart of Gaming' in Köln (Abbildung: ähnlich)

Atemlos, Halle 8, spür, was Gamescom mit uns macht: Der Großraum Köln platzt in den kommenden Tagen aus allen Nähten.

Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

an ganz vielen Orten der Republik heißt es an diesem Wochenende: „Ich packe meinen Koffer und nehme mit …“. Denn am Dienstag startet mit der Opening Night Live die Gamescom 2023 in Köln. 81 Prozent der GamesWirtschaftsWeisen taxieren die zu erwartenden Besucherzahlen auf 300.000+. Was im Übrigen auch mein Tipp wäre – irgendwas zwischen 2022 (265.000) und 2019 (370.000). Wie auch immer: Eine größere Fach- und Publikums-Messe wird sich in diesem Jahr nirgends im Land finden.

Auch der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck wird für seinen Trolley einen zusätzlichen Schlüpper einplanen müssen, denn anders als in den Vorjahren verteilt sich das politische Programm auf zwei Tage – eine Abendveranstaltung am Mittwoch plus der Rundgang am Donnerstagmorgen, noch vor Öffnung der Messehallen. Für hinreichend Medien-Interesse dürfte daher gesorgt sein, zumal die im Ampel-Fegefeuer stehende Familienministerin Lisa Paus am selben Tag nach Köln kommt (Stand: jetzt).

Große Erwartungen mit Blick auf den Unterhaltungswert setze ich auf den Event-Kanon bestehend aus Gamescom in der Koelnmesse, Helene Fischer in der benachbarten Lanxess Arena, dem Heimspiel des 1. FC Köln, Helge Schneider im Tanzbrunnen und parallel ausgetragenen Gleisarbeiten am Bahnhof Köln Messe/Deutz, während der Hauptbahnhof von ICEs nicht angefahren wird. Dat is ming Kölle.

An den verantwortlichen Stellen bei der Messeleitung, bei den Verkehrsbetrieben und im Rathaus begegnet man dieser Melange mit der gleichen, buddhaesken Grundgelassenheit wie die Bewohner Floridas während der Hurricane Season. Selbst für den Fall, dass das Dach wegfliegen sollte: Es hätt noch immer jott jegange.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Verlass ist bei aller Anspannung auf die Kölner Hotellerie, auch 2023. Nämlich dahingehend, dass man diesen potenzierten Nachfrage-Peak zum Anlass nimmt, um die Einnahme-Ausfälle der zurückliegenden Lockdowns binnen einer Woche nachzuholen – und zwar komplett. Anders lassen sich die aufgerufenen Übernachtungs-Tarife nicht erklären. Ich kann mich nicht entsinnen, rechtsrheinisch jemals mehr für weniger Standard bezahlt zu haben – trotz Buchung im Vorjahr.

Leider hatte sich mein Stammhaus mit Blick auf unkalkulierbare Energie- und damit Zimmerpreise geweigert, Blankoscheck-Reservierungen mit langem Vorlauf anzunehmen. Was insofern clever war (aus deren Sicht), weil sich im Nachgang die Besucher der auf August verlegten Helene-Fischer-Konzerte und Gamescom-Last-Minute-Bucher wechselseitig hochgeschaukelt haben.

Umso mehr muss jeder Tag möglichst sinnstiftend genutzt werden. Mein Terminkalender ist daher pickepackevoll, stellenweise in geradezu unverantwortlicher Weise. Interviews, Präsentationen, Hintergrundgespräche, Panels, Empfänge, Rundgänge, dazwischen die wunderbaren Lass-mal-wieder-labern-Termine. Analog zu Tetris besteht die Kunst darin, Lücken geschmeidig zu füllen – ohne unnötige Hektik aufkommen zu lassen. Und ohne der Versuchung zu erlegen, unmittelbar aufeinanderfolgende Termine in Congress Centrum Nord und Business Area hinkriegen zu wollen. Lasst mich zurück, alleine könnt ihr es schaffen.

In Phasen wie diesen schwillt der GamesWirtschaft-Posteingang locker auf das Fünffache seiner normalen Größe an – alleine gestern kamen buchstäblich im Minutentakt Terminanfragen und Pressemitteilungen reingeschossen, vom Startup am anderen Ende der Welt über Dienstleister bis zum DAX-Konzern.

Auffällig auch in diesem Jahr: Jedes noch so abseitige Gewerbe entdeckt plötzlich eine tief empfundene, unterjährig schlummernde, aber stets authentische Hingabe zum Thema Videospiele. Ein ziemlich zuverlässiges Signal, wie weit der Absender inhaltlich und mental vom Fach entfernt ist und wie viele Jahrzehnte die letzte Mario Kart-Partie zurückliegt, liefert der Begriff ‚daddeln‘.

„Daddeln“ ist ein klar negativ konnotierter Quatsch-Terminus, der im Alltag nach meinem Eindruck fast ausschließlich von Erziehungsberechtigten verwendet wird – meist in Kombination mit „Immer noch“ und „Schon wieder“. Ohne einen empirischen Beleg liefern zu können, würde ich unterstellen, dass jedes Mal, wenn „daddeln“ als Verb für die Nutzung von Computerspielen in einer Pressemitteilung oder in einem Grußwort angewandt wird, irgendwo in Deutschland ein Katzenbaby jämmerlich zugrunde geht.

Weil ich es genau wissen wollte, was die jungen Leute™ heute so sagen, habe ich eine überaus repräsentative Umfrage auf X (the platform formerly known as Twitter) gestartet. Zu meiner eigenen Überraschung haben sich mehr als drei Viertel der 2.000+ Teilnehmer für „Zocken“ entschieden. Nur auf Platz 2: das grundsolide „Spielen“ (15 Prozent). Danach: „Daddeln“ mit immer noch erschreckenden, aber vertretbaren 5,6 Prozent.

Abgeschlagen auf Platz 4: „gamen“. Zurecht, denn es lässt sich unglaublich schlecht konjugieren – er gamet, sie gamet, ihr gamet, wir gamen, ich werde gegamet haben. Schlimm.

Demnach ist Köln in den kommenden Tagen das Epizentrum des internationalen Zocker-Jet-Sets. Heute in einer Woche werden sich auch einige der drängendsten Fragen rund um die Gamescom etwas besser beantworten lassen, zum Beispiel:

  • Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass einstige XXL-Kunden wie Electronic Arts, Sony PlayStation, THQ Nordic oder Take-Two perspektivisch irgendwann wieder mit eigenem Stand aufs Gelände zurückkehren (obwohl es in diesem Jahr nicht an Vorzeigbarem gemangelt hätte)?
  • Und wenn ja: So wie früher? Oder wird man sich noch stärker als 2023 in Shop-in-Shop-Systemen einmuckeln, wo sich ganz viele Publisher und Studios die Infrastruktur (und Kosten) eines Ankermieters teilen? Mit allen Perks und Benefits wie Ausstellerausweis und Branchenparty, aber ohne den Business-Area-Mühlstein? Also wie die Indie Arena Booth, nur halt mit Call of Duty?
  • Wie viele Security-Gelbwesten werden durchschnittlich benötigt, um MontanaBlack erstens vor sich selbst und zweitens vor seinen Anhängern zu schützen?
  • Wird es gelingen, eine wie auch immer geartete optische Klammer zu finden, damit auch für den Laien (sprich: Politiker) sofort offenkundig wird, welche Wundertaten seit 2019 mit den vielen Hundert Millionen Euro an Steuergeldern vollbracht werden?
  • Und wenn Goethe heute leben würde, wäre er wirklich Gamedesigner, wie es in der Wirtschaftspressekonferenz in dieser Woche tollkühn behauptet wurde? Wo würde sich der junge Werther am ehesten sehen – Indie? AAA? Und hätte er rechtzeitig vor dem Annahme-Stopp seinen Förderantrag eingereicht?

Das Schöne: Egal ob Sie live vor Ort in Köln dabei sind oder sich die Veranstaltung gemütlich von der Tribüne aus ansehen – auf GamesWirtschaft finden Sie ein absurd großes Angebot an Informationen rund um die Gamescom. Angefangen über die Spiele, die Aussteller und die wichtigsten Termine bis hin zu Unterkunft und Anreise. Live-Eindrücke vom Gelände und Meldungen gibt es von Montag bis Freitag täglich frisch auf Facebook, LinkedIn und Twitter X.

Und jetzt packe ich meinen Koffer.

Ein schönes Wochenende und schon jetzt ganz viel Spaß auf und mit der Gamescom wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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4 Kommentare

  1. Ich würde nicht darauf wetten, dass Vor-Corna Besucherzahlen erreicht werden. Wir haben nach wie vor Krieg und das nicht nur in der Ukraine sondern auch im Einzelhandel, bei den Stromanbietern undnicht zuletzt in der Hotellerie – anders kann man sich die deutlich gestiegenen Lebenshaltungs- und Übernachtungskosten nicht erklären – und gleichzeitig steigen jedes Jahr die Eintrittspreise der Köln Messe. Meine Einschätzung wäre daher eine recht flaue Woche mit überwiegend Fachpublikum und Influencern (gab es dagegen nicht mal eine Impfung?) und am Wochenende dann die Familien, die einen Tagesausflug nach Köln geplant haben.

    Hinzu kommt die prekäre Situation mit der Bahn weswegen in meinem Umfeld auch schon viele abgesprungen doer auf das Auto umgestiegen sind. Heißt auch auf den Parkplätzen wird es voll werden und es würde mich nicht wundern wenn sich die Nachfolgenden Spiele um mehrere Stunden dank Stau und Verkehrsegoismus verschieben werden. Die Anfangsszene aus Day-Z wird dagegen wohl Kindergeburtstag sein …

    Wie auch immer, für den bereits absehbaren Stress ist mir der Preis am Ende einfach zu hoch und so „bin ich leider raus“!

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