Koste es, was es wolle: Versender und Veranstalter testen die finanziellen und mentalen Schmerzgrenzen der Verbraucher – seien es PS5-Konsolen oder Taylor Swift-Konzerte.
Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
grämen Sie sich bitte nicht, falls Sie in dieser Woche beim Versuch gescheitert sind, Konzerttickets für eine 33jährige, durchaus erfolgreiche Pop-Sängerin zu ergattern, die auf den sieben deutschen Stationen ihrer Eras-Tour neben Country- auch Western-Musik zur Aufführung bringt – Sie sind in bester Gesellschaft.
Denn eigens für die hiesigen Auftritte von US-Superstar Taylor Swift (Shake It Off, Blank Space) im Juli 2024 hatte Marktführer Eventim ein mehrstufiges Verfahren ausbaldowert, das mutmaßlich auch bei künftigen Shows dieser Liga zum Einsatz kommt.
Die Ticket-Interessenten mussten sich zunächst im Juni vor-registrieren. Wem im Anschluss ein Zugangs-Code zugeteilt wurde, hatte aber längst noch keine Karten sicher, sondern allenfalls die erste von mehreren harten Türen überwunden. Der eigentliche Vorverkauf fand erst am Mittwochvormittag statt – und zwar nach dem bekannten Windhundverfahren: Wenn weg, dann Pech. Und sehr, sehr viele hatten Pech.
Im winzigen Jetzt-oder-nie-Zeitfenster zeitigten sich zudem all die bekannten Nebenwirkungen solcher Aktionen: Probleme mit dem Warenkorb. Probleme mit dem Browser. Probleme mit der Kreditkarte. Jeder falsche Klick, jeder zu viel geöffnete Tab, jeder Refresh führt zum Abbruch: „Leider konnte der Vorgang nicht durchgeführt werden.“ Danke fürs Verständnis und best of luck fürs nächste Mal!
„Sollte man durch die Hölle gehen müssen, um an Taylor Swift-Konzertkarten zu kommen?“, fragte sich und ihre Leser eine SPIEGEL-Autorin entnervt.
Bestenfalls eine Nebenrolle für die meisten Kunden spielt in diesem Zusammenhang: Geld. Die konkreten Kategorie- und Kartenpreise wurden ohnehin erst während des laufenden Verkaufs kommuniziert. Aus Gründen: Seitdem M-TV, Ronny’s Pop-Show und Musik-CDs von Spotify, TikTok und YouTube abgelöst wurden, sind Konzert-Tickets zu einem echten Luxusprodukt avanciert.
Der günstigste Stehplatz oder der schäbbigste Sitzplatz ist selten unter 70 bis 100 € zu bekommen, Premium-Acts rufen für bühnen-nahe Tickets 150 bis 250 € auf, ‚VIP-Pakete‘ mit Warmhaltebehälter-Catering und Nippes kosten schnell auch mal 400, 500, 600 € oder mehr. Inklusive Anreise und Unterkunft summiert sich das Invest also auf den Gegenwert eines Familienurlaubs im Allgäu oder auf den Balearen.
Die Bude ist trotzdem rappelvoll – nicht nur bei Swift, die die Veltins-Arena problemlos an zehn aufeinanderfolgenden Abenden füllen könnte. Sondern auch bei Ed Sheeran, Coldplay, Rammstein oder Harry Styles und erst recht bei in Würde gealterten Weltstars wie Bruce Springsteen, Beyoncé oder Elton John.
Nun ist das Pre-Sale-Verfahren an sich nichts Neues, weil es zum Beispiel auch bei Sportereignissen eingesetzt wird – bei Konzerten sei dies zumindest hierzulande ein Novum, heißt es seitens der Verbraucherzentrale. Dort wird spekuliert, das Prozedere diene auch als Testlauf, um (noch) höhere Ticketpreise durchzusetzen.
Mehr noch: Die gewohnten Festpreise könnten mittelfristig durch dynamische Tarife ersetzt werden, die abhängig von der Zahl möglicher Käufer, der regionalen Zahlungsbereitschaft und des verwendeten Endgeräts entstehen. De facto handelt es sich um Auktionen – wer am meisten zahlt, bekommt den Zuschlag.
Sehr grundsätzlich wird man am sogenannten ‚Dynamic Pricing‘ nichts Schlechtes finden können, weil sich aus Angebot und Nachfrage zwangsläufig ein marktgerechter und damit fairer Preis ergibt – Marktwirtschaft pur. Frühbucher-Rabatte, Last-Minute-Tarife, Bahn- und Flug-Tickets: In ganz vielen Fällen wird der Preis ohnehin minutenaktuell der Marktlage angepasst – oft vollautomatisiert durch einen Algorithmus.
Eine solche dynamische Preisgestaltung passiert seit jeher manuell und ganz ohne Zutun, nämlich auf dem Schwarz-, Grau- und Drittmarkt. Frag nach bei PlayStation 5-Interessenten: In den Monaten nach Markteinführung im November 2020 waren enorm viele Kunden in ihrer ‚Not‘ bereit, eine Investition zu tätigen, die 200, 300, 400 € über der unverbindlichen Preisempfehlung lag.
Warum? Weil sie die Faxen dicke hatten. Der Vertrieb der Spielkonsole lief bis hinein ins Weihnachtsgeschäft 2022 fast ausschließlich über ziemlich unberechenbare ‚Drops‘. Bedeutete: Online-Shops schalteten vorwarnungslos winzige Kontingente frei, die binnen weniger Minuten verdampften. Der durchschnittlich talentierte Kunde hatte allenfalls Mini-Chancen – gegen die Tools der Scalper war kaum ein Kraut gewachsen.
Im PS5-Ticker berichtete GamesWirtschaft eineinhalb Jahre lang werktäglich (!) über Chancen und Risiken möglicher PlayStation-5-Drops. Regelrechte ‚Heatmaps‘ antizipierten, wo und wann es aus statistischen und stochastischen Gründen zum nächsten Verkauf kommen könnte – möglicherweise Mittwoch gegen 10 Uhr bei Medimax, wie zuletzt vor zwei Monaten? Und was ist von Insider-Gerüchten zu halten, bei Saturn könne am Freitag wieder was ‚droppen‘?
Dedizierte PS5-Bots verschickten E-Mails, Tweets oder Push-Nachrichten, sobald wieder irgendwo Ware auf Lager war – was die Server von Amazon oder Otto genauso an den Rand der Kernschmelze brachte wie das Personal an den Hotlines. Gestandene Vertriebler mit teils jahrzehntelanger Erfahrung schilderten glaubhaft, sie hätten sowas noch nicht erlebt.
Organisierte Gruppen vertickten ihre Online-Shop-Raubzüge im Anschluss auf Ebay und im Amazon Marketplace – oft zum Doppelten der Sony-UVP. Selbst honorige Versender konnten dieser gewerbsmäßigen Abzockerei während des PS5-Goldrauschs nicht widerstehen.
Mit nur zweijähriger Verzögerung setzte sich bei Hersteller und Handel schließlich die Erkenntnis durch, dass konzertierte Vorbestellaktionen doch eigentlich eine ganz kluge Idee wären – also die PlayStation-5-Version des Taylor-Swift-Pre-Sales.
Bleibt die Frage: Warum muten führende Händler, Konzertveranstalter und Konsolenhersteller ihren Kunden immer und immer wieder diese entwürdigenden Vorgänge zu? Anstatt absehbares Interesse zu bündeln und Wartelisten seriös abzuschichten? Oder die Ware von vornherein nach dem Zufallsprinzip zu vergeben – wodurch jeder die gleichen Chancen hätte, völlig stressfrei?
Im Grunde gibt es dafür nur drei Erklärungen: entweder eine gewisse Uns-doch-Egaligkeit (Hauptsache, die Palette ist vom Hof). Oder Marketing. Oder eine Kombination aus beidem.
Bilder von Warteschlangen vor dem Apple-Store verfehlen ihre Wirkung genauso wenig wie Medienberichte über den Run auf Konsolen oder Konzert-Tickets. Eine vermeintliche oder tatsächliche Warenknappheit hat zudem einen eingebauten, weil sich selbst verstärkenden, wenn auch nicht immer gewollten Effekt – was jeder eingangs der Pandemie feststellen konnte, der Klopapier kaufen wollte.
Die große Fear-Of-Missing-Out-Nachfrage nach Tickets von Taylor Swift und anderen ‚Top-Acts‘ mag für Vortragende und Veranstalter erfreulich sein – hat aber auch zwangsläufig zur Folge, dass die zweite Reihe unter die Räder gerät. Denn die Verbraucher verfügen erstaunlicherweise nicht über unlimitierte Mittel.
Zu spüren bekommen haben das in den vergangenen Wochen und Monaten insbesondere Künstler und Bands mit mittelgroßer Fanbasis und Reichweite, aber auch renommierte Festivals. Rock im Park, das quasi hier vor der Haustür in Nürnberg stattfand, war bei weitem nicht ausverkauft – derzeit wird ein Format nach dem anderen vorzeitig abgesagt oder verlegt. Die Kunden stimmen mit dem Geldbeutel ab: zu viel, zu oft, zu teuer.
Ein ähnlicher Sogwirkungs-Effekt zugunsten von Premium-Inhalten zeigt sich im Übrigen in der Games-Industrie, wo sich in den App-, Steam- und PlayStation-Stores die immergleichen Marken festgebissen haben – mit der Folge, dass Ubisoft bei Assassin’s Creed all-in geht und dass sich 24 der letzten 25 Activision-Pressemitteilungen um Call of Duty drehen. Und schon haben ’nur okaye‘ Neuheiten ein echtes Problem.
Dass sich an all der Ungerechtigkeit, all dem Frust und all der Gier im Ticket-Markt kurzfristig etwas zum Besseren wendet, ist eher unwahrscheinlich – auch wenn EU-Abgeordnete dringend verhindern wollen, dass das Dynamic Pricing Schule macht: Kultur müsse für alle zugänglich und bezahlbar sein – viel Glück dabei.
Wenn ich als sehr unregelmäßige Konzert- und Stadion-Besucherin nur eine Anregung formulieren dürfte, dann diese: nämlich die systemseitige Unterbindung des sofortigen Ticket-Wiederverkaufs, wie es erwartbar auch im Falle von Taylor Swift zu beobachten ist. Das reicht auch noch vier Wochen vor Konzert-Beginn – für den Fall, dass eine spontane Weltreise dazwischen kommt.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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Ich glaube die Dame hat die 24 schon ein paar Jahre hinter sich. 😉
Darüber hinaus kann ich nur zustimmen: Wenn die Nachfrage so hoch ist, sind die Preise zu niedrig.
Hoppla, 33 natürlich … wie kommt man auf 24?! #danke
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