Start Meinung Die Exzentriker (Fröhlich am Freitag)

Die Exzentriker (Fröhlich am Freitag)

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Scheinwerfer, Security, Standing Ovations: Hideo Kojima bei seinem Auftritt auf der Gamescom 2019 (Foto: GamesWirtschaft)
Scheinwerfer, Security, Standing Ovations: Hideo Kojima bei seinem Auftritt auf der Gamescom 2019 (Foto: GamesWirtschaft)

Die Games-Branche erreicht Milliarden und setzt Milliarden um – aber kaum jemand kennt das Personal, das die Games baut. Das sollte sich ändern.

Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

in diesen Tagen jährt sich eine Kolumne, die vor 25 Jahren im damals marktführenden PC-Spielemagazin abgedruckt wurde. Darin hatte ich die deutschen Spiele-Entwickler sanft zu etwas mehr Exzentrik ermuntert – Ferrari statt Astra, Spukschloss statt Reihenmittelhaus, Internationale Raumstation statt Bierkönig.

Also ganz nach dem Vorbild der neureichen Kollegen aus dem angelsächsischen Raum – allen voran Richard Garriott, Chris Roberts, John Carmack oder John Romero, mit Einschränkungen auch Sid Meier, Will Wright, Warren Spector oder Peter Molyneux. Leute, die allein ob ihrer Persönlichkeit (und natürlich wegen ihrer richtungsweisenden Ideen) immer für Schlagzeilen gut waren und regelmäßig auf den Titelseiten abgebildet waren.

Als nicht ganz ernst gemeinte Reaktion auf einen nicht ganz ernst gemeinten Text formte sich in der Branche eine kleine Gruppe, deren Mitglieder teils heute noch in führenden Positionen tätig sind: Die Exzentriker. Mit dem erklärten Ziel, Messen und andere Veranstaltungen „durch im Alltag gelebte Exzentrik“ unsicher zu machen. Sogar ein „Eccentric European Tour“-T-Shirt wurde aufgelegt – purer Rock’n Roll, wenn Sie mich fragen.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Mein Beitrag hatte bei allem Flachs einen konkreten Anlass. Er rührte daher, dass schon damals einfach niemand die Namen und Gesichter jener Leute kannte, die Computer- und Videospiele in Deutschland bauen. Selbst die kreativen Köpfe großer Titel, die sich hunderttausendfach verkauften, musste man bei Vor-Ort-Terminen fast schon anflehen, sich vor die Kamera zu stellen – Motto: „Muss das wirklich sein?“. Verbunden mit hilfesuchenden Können-wir-nicht-auch-was-ausm-Archiv-nehmen-Blicken zum PR-Manager.

Das unmissverständliche Signal: Wir wollen einfach nur in Ruhe unsere Spiele entwickeln. So wie bei Loriot, wo die Hausfrau aus der Küche ihren Mann im Wohnzimmer fragt: „Hermann?“ – „Ja …“ – „Was machst du da?“ „Nichts.“„Nichts? Wieso nichts?“„Ich mache nichts“„Gar nichts?“ – „Nein.“„Überhaupt nichts?“„Nein. Ich sitze hier.“ „Du sitzt da?“ – „Ja.“ – Und wo sie im weiteren Verlauf mit zunehmendem Unverständnis darauf reagiert, dass er einfach nur im Sessel sitzt. Er müsse doch irgendwas tun. Und er so: „Ich möchte einfach hier sitzen.“

Was hat sich seit 1998 geändert? Nix. Die allermeisten der deutschen Games-Entwickler möchten weiterhin sitzen. Mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass sie in acht Wochen, wenn die Gamescom in Köln startet, völlig unbehelligt durch die Hallen latschen können. Mehr noch: Man könnte die leitenden Spieldesigner der 100 weltweit erfolgreichsten Computerspiele über die Messe schicken, ohne dass sie erkannt, angesprochen oder um ein Selfie gebeten würden – auf einer Fachmesse, wohlgemerkt.

Das gleiche Experiment würde auf ungefähr jedem anderen popkulturellen Event gründlich schief gehen: Selbst Nebendarsteller grenzwertiger Netflix-Serien kämen auf einer regionalen Comic-Con keine 10 Meter weit. Oder lassen Sie mal Fitzek, Schätzing, Funke, Link oder Zeh über eine Buchmesse flanieren – Ausnahmezustand.

Erstaunlicherweise kommt auch niemand auf die Idee, sich Spiele unterschreiben zu lassen. Zwar gibt es auf der Gamescom seit jeher eine dedizierte ‚Signing Area‘. Nur: Wer signiert dort? Influencer. Letsplayer. Streamer. Also im weitesten Sinne Entertainer, die was mit Spielen machen. Aber eben nicht jene, die Spiele machen.

Überhaupt ist es extrem aus der Mode gekommen, Games mit einzelnen Personen zu verknüpfen – vielleicht abgesehen von Hideo Kojima, dem Popstar der Branche und Gründer von Kojima Productions, der auf der Gamescom einen eigenen Kojima Productions-Fanartikel-Stand betreibt und der vor ein paar Tagen die Sony-Doku Hideo Kojima: Connecting Worlds vorgestellt hat. In der Hauptrolle: Hideo Kojima.

Schon der Trailer raunt: „He’s probably the most well-known game creator in the world.“ Kunststück – bei quasi nicht-vorhandener Konkurrenz.

Als Kojima vor vier Jahren bei der Gamescom-Eröffnungs-Show auftrat, musste die Security die heranstürmende Meute an der Row Zero auf Abstand halten. Das muss man wollen. Kojima will.

Wie in anderen Industriezweigen sind mittlerweile Unternehmer und Manager die eigentlichen Stars – sie sind es, die in den Neuheiten-Livestreams zum Publikum sprechen. Jeder Nebensatz von Phil Spencer (Microsoft), Yves Guillemot (Ubisoft), Tim Sweeney (Epic) und Jim Ryan (Sony) wird gewogen und interpretiert. Noch ist es nicht so weit wie in der Tech-Branche, wo die Red-Carpet-Auftritte und Yacht-Ausflüge von Bezos, Zuckerberg, Musk oder Cook längst Bild-, Gala– und Bunte-Relevanz haben.

Nun kann sich niemand einen obskuren Personenkult wünschen. Aber mit Blick auf den Status Quo würde ich doch meine Anregung von 1998 wiederholen wollen, Games stärker mit handelnden Personen und Persönlichkeiten zu verknüpfen. Niemand muss sein Licht untern Scheffel stellen: Der gestern angelaufene Games Germany Steam Sale zeigt zum Beispiel sehr anschaulich die irre Bandbreite hiesiger Spiele-Produzenten.

Sie haben sicher Recht mit dem Einwand, dass die jeweiligen Arbeitgeber an einer Zuspitzung auf einzelne Personen gar kein Interesse haben und dass ein Studio mit einem stumpfen Twitch-Stream mehr potenzielle Kunden abholt als mit Beiträgen in TV oder Radio. Aber es führt eben auch nicht dazu, dass Games außerhalb ihrer Blase im öffentlichen Diskurs stattfinden. Es sei denn, Dinge gehen schief. Oder die Branche will Geld.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Der Spiele-Entwickler an und für sich ist ein scheues Wesen. Unter seinesgleichen durchaus gesellig, aber eben scheu. Es drängt – mit Ausnahmen – einfach niemanden ins Rampenlicht oder auf die Bühne.

Gleiches galt und gilt für Gründer großer Studios und Publisher, die bestenfalls alle Schaltjahre aus ihren Katakomben treten. Und wenn, weil sie sich zu einer Keynote oder einer Panel-Diskussion auf Konferenzen im In- und Umland haben breitschlagen lassen. Nur: Für die Außenwirkung bringt es wenig, wenn Kardinäle in Kathedralen über den Katholizismus referieren. Die Branche braucht Missionare, die die frohe Botschaft dort hin tragen, wo sie bislang nicht oder unzureichend angekommen ist.

Dazu muss man nicht wie einst Richard Garriott zum Weltraumtourist umschulen. Aber es würde schon reichen, wenn die deutsche Games-Industrie nicht nur über Verbände und Lobbyisten wahrgenommen wird. Sondern wenn man auch den eigentlichen Spiele-Machern wieder öfter ein Gesicht gibt.

Zum Beispiel würde es dem Gewerbe gut tun, wenn Lanz, Schöneberger & Co. in ihren Talk-Shows nicht nur Autoren begrüßen, die mal wieder ein „sehr lesenswertes Buch“ geschrieben haben. Oder eine „sehr sehenswerte Dokumentation“ in der ARD-/ZDF-Mediathek zeigen. Sondern zur Abwechslung mal jemanden, der ein „sehr spielenswertes Spiel“ gebaut hat.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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2 Kommentare

  1. Bei einem guten Spiel ist es der Chef, der sich das Lob der Journalisten und Spieler abholt – es sei denn etwas geht schief, dann steht der/die verantwortliche Producer oder Lead im Fokus und darf demütig um Verzeihung bitten. So ist es doch wohl in den meisten Branchen: Meine Firma, mein Erfolg und die Mitarbeiter sind für alles andere haftbar.

    Meiner Meinung nach müsste sich zuerst einmal etwas daran ändern, dass den Entwicklern wenn überhaupt nur geringe Wertschätzung entgegengebracht wird. Unter Abschottung, sozialer Abstinenz und völliger Verausgabung noch den Milestone zu erreichen ist gewünscht und wird oftmals auch als nicht verhandelbar kommuniziert aber die Leistung dann zu honorieren – Fehlanzeige! Das trifft gleichermaßen auf kleine Indies aber auch die großen Studios zu.

    Weniger über fehlende Fachkräfte beschweren und stattdessen mal ein verpflichtendes Seminar für alle Führungskräfte einführen, in dem man lernt richtig für erbrachte Leistung zu Loben … aber naja, kostet ja Geld und solange willige Arbeitskräfte spalier stehen um diejenigen zu ersetzen, die einfach nicht mehr wollen oder können) – immerhin ist es ja ein Privileg überhaupt für ein so namenhaftes Unternehmen ein Spiel entwickeln zu dürfen – wird sich eben überhaupt nichts ändern und Namen wie Kojima oder Tom Clancy werden weiterhin das Bild „der Spieleindustrie“ als Bezugspersonen prägen

    • Geb ich dir Recht!

      Wann hört man schon was von den Entwicklern selbst, wenn ein Titel mal Erfolg hat? Die sieht man höchstens wenn man dann auf der GDC oder irgendeiner anderen Konferenz mal einen Talk von ihnen hört.

      Wenn es aber schlecht läuft (und wir hatten ja erst vor kurzem einen sehr prominenten Reinfall), dann werden die Entwickler mal gleich geflamed, Todesdrohung geschrieben,…

      Da kann ich nachvollziehen, warum die meisten Entwickler keine Lust haben sich zu präsentieren.

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