Welche Wahrheit darf’s denn sein? Die Games-Industrie sucht nach Balance in einer immer komplexeren Welt mit immer mehr Abhängigkeiten.
Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,
gelegentlich soll es Journalisten ganz gut tun, nicht nur Pressemitteilungen ab- und umzuschreiben oder sich an Social-Media-Postings abzuarbeiten, sondern sich auch mal so was wie eine eigene Meinung zu gönnen. So richtig mit Ross und Reiter und Für und Wider und Argumenten und so.
Kehrseite: Mit hinreichender Wahrscheinlichkeit macht man sich mit einer klar artikulierten Position bedingt Freunde.
Beispiel: Wenn Sie diese Kolumne regelmäßig verfolgen, wissen Sie, dass ich der bundesdeutschen Gießkannen-Games-Förderung nicht nur Frohsinn abgewinnen kann. Zwar finde ich gezieltes Anreizen und Anschubsen total sinnvoll, halte es aber mit Henry Ford, der über Werbung gesagt haben soll: Die Hälfte ist rausgeschmissenes Geld – man wisse bloß nicht, welche.
Wir bewegen uns zwangsläufig in einem Dilemma: Denn einerseits sind die Herausforderungen und Nöte, zuweilen Zukunfts-Ängste vieler Spiele-Entwickler ja offenkundig. Anderseits besteht immer das Risiko, mit Forderungen nach immer mehr und immer neuen Subventionen als Nimmersatt-Gewerbe wahrgenommen zu werden.
Differenzierung tut Not.
Wobei wir beim Thema wären: Denn in dieser Woche trug es sich zu, dass die CSU-Politikerin Dorothee Bär für das Amt der Bundes-Forschungs-, Technik- und Raumfahrt-Ministerin nominiert wurde. Nach Lage der Dinge bekommt sie am kommenden Dienstag ihre Ernennungsurkunde.

Partei-Chef Markus Söder betonte in der Pressekonferenz mehrfach und ausdrücklich, dass Bär auch die Zuständigkeit für Games aus dem Wirtschaftsministerium erbt. Laut Söder einer der „wachsenden Industrie-Bereiche“. Naja, geht so.
Ich stehe keiner politischen Färbung nahe, aber ich sag’s ganz offen: Auch mit einigen Tagen Abstand find ich die Entscheidung immer noch gut und richtig. Von allen denkbaren Szenarien mit Blick auf Ministerium und Minister(in) war und ist es das beste Setup.
Warum? Eine überzeugtere Lobbyistin wird sich im politischen Berlin nicht finden. Bär steht der Industrie nahe, seit Jahrzehnten – für meinen Geschmack fast schon etwas zu nahe. Aber mei.
In der Branche kam die Personalie und der wohlwollende Kommentar nicht durchgängig gut an. In Mails, Messages und Kommentaren brach sich Entrüstung Bahn, wie man denn dieser Person von dieser Partei das Wort reden könne – bei der Historie.
Bekanntermaßen scheut auch Bär nicht davor zurück, auch mal einen rauszuhauen oder ihr konservatives Mitte-Rechts-Profil zu schärfen. Es ist keine fünf Wochen her, da brandmarkte die CSU-Politikern jene Aktivisten, die Bengalos auf dem Anwesen von Bauernpräsident und Dann-doch-nicht-Landwirtschaftsminister Felßner gezündet hatten, als „Ökoterroristen“.
Hätte Parteifreund Dobrindt nicht schon das Unwort des Jahres 2022 für das Wording „Klimaterroristen“ gewonnen – Bär hätte gute Chancen.
Wer Games-Ministerin Bär für eine glatte Fehlbesetzung hält, wird geringe Probleme haben, genügend Argumente zu ergoogeln. Gleichwohl habe ich bisher keine belastbaren Vorschläge gehört, welcher Kandidat die Anforderungen und Erwartungen denn in gleicher Weise erfüllen würde oder gar eine bessere Eignung mitbringt.
Mindestens genauso ambivalent ist das Thema Saudi-Arabien. In der Branche verfolgt man mit einiger Anspannung, in welch irrem Tempo die Monarchie wuchert und sich unentbehrlich macht – durch Übernahmen und Beteiligungen an großen Spiele-Herstellern, aber vor allem mit Blick auf den E-Sport. Ich war selbst verblüfft, als ich vor kurzem mal grob überschlagen habe, wie viele meiner Branchen-Kontakte mittlerweile direkt oder indirekt auf der Payroll der Saudis stehen.
Analog zu anderen Ländern am Golf müht sich die Monarchie um ein porentief sauberes Image, das Fachkräfte, Investoren und Touristen überzeugt. Gleichzeitig bleibt die Menschenrechts-Lage ein Thema. Die Taktfrequenz, in der das Regime Menschen hinrichten lässt, ist weltweit fast ohne Beispiel.
Wann immer Saudi-Arabien im Games-Kontext statt findet, kann man daher die Uhr danach stellen, dass das Land negativ konnotiert wird. Motto: Das LNG-Gas und das Erdöl und die Kohle für feudale Gamescom-Auftritte nehmen wir ganz gerne – aber wenn es um Videospiele geht, hört der Spaß auf.
Hinsichtlich der Rolle von Saudi-Arabien werden sich also belastbare Argumente finden, die am Ende zu einer Geht-gar-nicht-Bewertung führen. Gleichwohl stellt sich automatisch die Frage: Wie lautet eigentlich die Alternative? Gibt es überhaupt eine?
Ohne die fossilen Milliarden aus Riad wäre der kommerzielle E-Sport vielleicht nicht tot, aber abseits der Top-5-Titel sähe es in vielen Disziplinen und bei Zulieferern zappenduster aus. Sollte der Kronprinz eines fernen Tages die Lust auf Games verlieren, bekommen weite Teile des Gewerbes ein Problem.
Ums konkret zu machen: Wo sonst auf der Welt könnten E-Sport-WM und -Olympia ausgetragen werden? In China? In den USA? Also: in den USA? Really?
Diese und unzählige andere Dilemmata durchziehen die komplette Industrie – es gibt kaum ein Thema, das nicht mit einem regelrechten Beipackzettel und einer langen Liste an Risiken und Nebenwirkungen ausgeliefert werden müsste. Lootboxen, Förderung, Influencer, Steam, Roblox, Game Pass, Trump, Hogwarts Legacy, Künstliche Intelligenz, Dorothee Bär … suchen Sie sich was aus.
Die Blickwinkel, aus denen sich Personen und Vorgänge bewerten lassen, sind so vielfältig wie die gesellschaftlichen Gruppen und Menschen, die sich dazu verhalten.
Und deshalb meine ich (auch auf die Gefahr hin, dass dies etwas zu kurz gesprungen wirken mag): Ein B2B-Medium sollte diesen Beipackzettel zwar zur Kenntnis nehmen, sich aber darauf fokussieren, die B2B-Perspektive beizusteuern und bestmöglich auszuleuchten – Ende.
Für die wirklich relevanten Themen im Leben finden sich ja weiß Gott berufenere Expertinnen und Experten.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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