Die Spiele-Industrie regelt den Zugang zu ihren Produkten – und zwar über Geld: Wer zahlt, darf früher spielen.
Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
Sie werden es möglicherweise an der verringerten Taktfrequenz der Beiträge auf der Website gemerkt haben: Ich urlaube. Zumindest den weitaus größten Teil des Tages. Auf einem Schiffchen von Hafen zu Hafen schippernd, zusammen mit 1.700 weiteren Passagieren. Immer in der Hoffnung, dass die frisch verbaute Starlink-Einheit an Bord weiterhin einigermaßen stabil läuft – auf hoher See lernt man Demut für jedes Kilobyte, das stabil durch die Leitung flutscht.
Angenehmer Nebeneffekt einer solchen Reise: Kolumnen-Material für Monate.
Vor einigen Tagen trug sich zum Beispiel Folgendes zu: Bei unserem bevorzugten Buffet-Restaurant standen wir eines Abends unvermittelt vor einem Absperrband. Die als Türsteher abkommandierte Mitarbeiterin gab freundlich, aber bestimmt zu verstehen: „Heut’ nur für Mitglieder…“
Oh, wow.
Dezente Berghain-Vibes wehten über das Deck.
Ein flüchtiger Blick ins Innere des Raums zeigte emsig wuselnde Gäste, an deren Hälsen güldene Schlüsselanhänger baumelten – offenkundig ‚Mitglieder‘. Wie sich herausstellen sollte, handelte es sich um Teilnehmer eines mir bis dahin unbekannten, fein ausziselierten Club-Programms, das abhängig von gebuchten Reisen und zurückgelegten Seemeilen verschiedene Boni freischaltet – bevorzugter Check-In, Rabatte auf Wellness-Anwendungen, Ausflugs-Kontingente, all sowas. Und eben regelmäßig reservierte Restaurant-Slots.
Die dafür nötigen Seemeilen (und damit der Geldeinsatz) für die einzelnen Club-Stufen sind gewaltig, erst recht mit Blick auf die dürren Gegenleistungen und die Halbwertszeiten. Und falls es sich die Reederei eines Tages anders überlegt, kann sie das Programm laut AGB jederzeit beliebig justieren oder ganz einstellen. Einfach so, ohne Angabe von Gründen. Wert der bis dahin erspielten Privilegien: null. Eine Zwangsläufigkeit, die im Übrigen auch das weitverbreitete (und fast immer berechtigte) Misstrauen gegenüber NFTs in Games erklärt.
Nun sind derlei Vielflieger-Programme ja nichts Neues. Als Verbraucher wird einem regelrecht antrainiert, dass es für entsprechende Extra-Kohle auch Extra-Leistung gibt – ob Krankenversicherung, ICE-Waggon, Freizeitpark oder Front-of-Stage-Platz bei Konzerten.
Meine Bahncard hat mir zum Beispiel neben potenziellen Freifahrten, Upgrades und bestenfalls theoretischem DB-Lounge-Zugang kürzlich auch ein Bündel Getränke-Gutscheine in die App gespült, die ich seitdem ‚abbaue‘. Was schwerer fällt, als es klingt: Mal streikt die Kaffeemaschine, mal ist das Personal mit dem Einscannen des Barcodes überfordert, mal fehlt der komplette Waggon mit dem Bordbistro.
In der Games-Industrie fällt das gezielte Portionieren von Inhalten, Dienstleistungen und Boni besonders leicht: Apps und Online-Games werden schließlich von vornherein so konzipiert und geplant, dass sie über viele Jahre funktionieren und mit immer mehr Missionen, Figuren, Gebäuden aufgejazzt werden. Wer nicht die nötige Zeit oder Geduld mitbringt, um Inhalte freizuspielen, greift eben zu Mikro-, zuweilen auch Makrotransaktionen.
Solange es sich um rein dekorativen Digital-Nippes handelt, ist gegen eine Angebots-Differenzierung absolut nichts einzuwenden, zumal in Free2Play-Titeln. Ungleich problematischer ist aus meiner Sicht die immer weiter um sich greifende Unsitte, Vorbestellern oder Premium-Editions-Käufern einen früheren Zugang zu Vollpreis-Spielen oder Mehrspielermodi zu ermöglichen – zuletzt bei Blockbustern wie Starfield, EA Sports FC 24 oder Call of Duty: Modern Warfare 3. Der Zeitvorsprung beträgt manchmal wenige Tage, oft aber eine ganze Woche oder noch mehr.
So wie ich diese liebenswerte Industrie kennengelernt habe, spricht viel dafür, dass das Zahl-mehr-spiele-früher-Aufpreis-Modell künftig noch viel, viel häufiger zum Einsatz kommt und noch mehr zeitliche Abstufungen erfährt – normaler early access, advanced early access, premium early access. Einfach deshalb, weil es funktioniert (zumindest bei besonders begehrten Titeln) und weil es logistisch viel einfacher umzusetzen ist als die Produktion physischer Collector’s-Edition-Ware.
Unterwegs wird es zuverlässig zu Übertreibungen auf der nach oben offenen Gier-ist-gut-Skala kommen. Denn zwischen „Goodie für Highroller“ und „Gelebte Abzocke“ verläuft eine extrem feine Linie. Die Kunst besteht darin, bei der Kundschaft zumindest das Gefühl zu erzeugen, dass man für das On-Top-Investment tatsächlich deutlich mehr Leistung bekommt. Und umgekehrt nicht den Eindruck zu erwecken, dass dem Proletariat Basis-Leistungen stumpf vorenthalten oder weggekürzt werden – so wie im Falle des Du-kommst-hier-nicht-rein-Bord-Restaurants.
Aber wie so Vieles fällt auch dies in die Kategorie „Jammern auf Sonnendeck-Niveau“. Ernsthafte Sorgen würde ich mir derzeit ohnehin erst dann machen, sobald Rettungsboot-VIP-Plätze im Leistungskatalog des Club-Programms auftauchen.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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