Start Meinung Eine Branche dreht am Betriebsrat (Fröhlich am Freitag).

Eine Branche dreht am Betriebsrat (Fröhlich am Freitag).

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Gleicher Lohn für gleiche Arbeit - ein Thema, das zum Tagesgeschäft im Betriebsrat gehört.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit - ein Thema, das zum Tagesgeschäft im Betriebsrat gehört.

Eine 200-Milliarden-Dollar-Industrie hadert mit der Frage, ob sie sich Gewerkschaften oder einen Betriebsrat überhaupt leisten kann – und will.

Verehrte GamesWitschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,

vor wenigen Tagen hat sich im Vereinigten Königreich der „deutlichste und rücksichtsloseste Versuch“ seit Menschengedenken zugetragen, eine Gewerkschaft in der Spielebranche auszubremsen. Behauptet zumindest die Gewerkschaft.

Zu etwas Besonderem macht diesen Fall, weil es sich um Beschäftigte und Standorte von Rockstar Games in UK handelt – dem Entwickler des kommerziell und popkulturell wichtigsten Videospiels des Jahrzehnts: Grand Theft Auto VI, kurz GTA 6. Termin: 26. Mai 2026. 19. November 2026.

31 Rockstar-Mitarbeiter seien entlassen worden, nachdem sie sich – zumindest dieses Detail gilt als geeint – in einem privaten Discord-Kanal über ihren Arbeitgeber ausgetauscht hatten. Der Rockstar-Mutterkonzern Take-Two (Börsenwert: um die 40 Mrd. €) argumentiert mit grobem Fehlverhalten: Die Gruppe habe vertrauliche Firmen-Interna geteilt.

Dass der Anteil der Gewerkschafts-Mitglieder unter den Gekündigten bei 100 Prozent liegt, ist mutmaßlich ein ganz schräger Zufall.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Es wäre nicht der erste Fall in der Games-Industrie, der die herzliche Abneigung der Arbeitgeberseite gegenüber übermäßigem Reingequatsche durch Arbeitnehmer illustriert. In Deutschland zeigt sich dies entlang des Reizworts ‚Betriebsrat‘.

Die Widerstände sind enorm, die Vorbehalte sowieso.

Eine der ersten größeren Storys, die bei GamesWirtschaft Anfang 2016 online ging, drehte sich um die Abwehrschlacht bei Goodgame Studios in Hamburg – ein Unternehmen, das in kurzer Zeit über 1.000 Leute ein- und später in mehreren Schüben wieder ausstellte.

Fast auf den Tag zehn Jahre ist es her, dass dort 30 Beschäftigte ihren Job verloren, weil sie dem Vernehmen nach einen Betriebsrat vorbereiten. Das Management dementierte diese Lesart scharf und führte „Leistungsdefizite“ an, also ein ganz ähnlicher Sound wie bei Rockstar.

Der Spiegel titelte daraufhin: Die Feel-Bad-Manager. Die Hamburger Morgenpost raunte: Sind das Deutschlands schlimmste Chefs?

Dazu muss man wissen: Die Videospiel-Branche ‚kann‘ Betriebsrat eigentlich gar nicht. Noch bis vor zwei, drei Jahren gab es nicht einmal eine Handvoll organisierter Interessensvertretungen in der deutschen Branche – meist bei (sehr) großen Niederlassungen internationaler Konzerne: Microsoft, Nintendo, Electronic Arts.

Mittlerweile zeigt sich eine bemerkenswerte Dynamik: In den letzten 24 Monaten hat sich die Zahl mehr als verdoppelt. Die Gremien schießen wie Pfifferlinge aus dem Humus – überall in der Republik: im Großraum Frankfurt (Deck 13, Limbic, KAIKO), in Worms (Kalypso), in Berlin (Ubisoft), Mainz (auch Ubisoft), Düsseldorf (nochmal Ubisoft). 

Jüngster Zugang ist Astragon Development im nordrhein-westfälischen Hamm. Das Studio wurde 1990 als Independent Arts gegründet und kam 35 Jahre ohne Betriebsrat aus. Und so viel sei gespoilert: Es ist nicht der letzte in dieser Saison.

Warum gerade jetzt? Und warum vielfach im Rhein-Main-Gebiet? Eine Antwort lautet: Verdi.

Als die Gewerkschaft im Vorfeld der Gamescom 2024 mehr Transparenz, besseren Kündigungsschutz, verbindliche Überstunden- und Urlaubs-Regelungen und faire Aufstiegs-Chancen anregte (etwa über den Weg eines Tarifvertrags), kanzelte der Branchenverband die Forderungen als „generisch“ ab. Den ganz unterschiedlichen Realitäten in den Programmierstuben werde das nicht gerecht. Und überhaupt lägen Tippi-Toppi-Arbeitsbedingungen ja im eigenen Interesse der Unternehmen. 

Spätestens ab diesem Zeitpunkt musste jedem klar sein: Von der Arbeitgeberseite hat Verdi keine Liebe zu erwarten.

Was nicht schlimm wäre, wenn es doch nur ein Format gäbe, das auch die Lage der roundabout 10.000 Beschäftigten in der Games-Entwicklung und -Vermarktung ein bisschen im Blick hätte. Is’ aber nicht. Und gerade dann, wenn die Eiseskälte des Marktes ins Gesicht bläst, sehnen sich viele eben nach dem wärmenden Lagerfeuer eines Betriebsrats – auch wenn wirklich jedem bewusst ist, dass einmal beschlossene Mutterkonzern-Grausamkeiten bestenfalls gelindert, aber selten verhindert werden.

Das Ende der Pandemie war in dieser Hinsicht eine Art Kipppunkt. Zuvor war Personal beispielsweise mit der Aussicht auf großzügige Remote-Regelungen angeworben worden – Zusagen, die peu à peu aufgeweicht und schließlich abgeschafft wurden. Wem’s nicht passt, möge gehen. Zur Not zurück ins Heimatland.

Nun ist es immer von Vorteil, wenn man die Argumente aller Seiten kennt. Und ich kann die jeweiligen Blickwinkel komplett nachfühlen: Die der Unternehmer, die um Bürokratie, nervige Anhörungs-Schleifen, Mehrkosten, Eigenständigkeit, zuweilen Lebenswerk fürchten – und in einem Betriebsratswunsch in erster Linie ein Misstrauensvotum sehen. Was zuweilen (aber längst nicht immer) zutrifft.

Und dann sind da die Angestellten, die stumpfe Existenzängste plagen, weil sie Augen und Ohren im Kopf haben und feststellen, wie eine Entlassungswelle nach der anderen durchs Land rollt, die weder vor motivierten Talents noch vor Führungskräften Halt macht. Weil sie mitkriegen, wie vermeintlich stabile Betriebe wanken. Wie die Zahl der „Open for work“-Banner der LinkedIn-Kontakte wächst.

Der Markt fühlt sich an, als befände man sich inmitten einer Partie Minesweeper: einmal daneben gelegen, schon fliegt der Laden in die Luft. Das macht was mit den Leuten. 

Und was ist jetzt mit Rockstar Games?

Wo die Wahrheit verläuft, werden letztlich Gerichte zu klären haben. Ein Comeback der in Ungnade Gefallenen – und damit ihre Chance, mindestens bis zum Release an GTA 6 mitwirken zu können – erscheint nach aller Lebenserfahrung wenig wahrscheinlich. Am Ende wird man sich auf ein Scheidungspaket einigen – und die verbliebene Belegschaft dürfte das Signal verstanden haben, dass nicht unbemerkt bleibt, ob und wie und vor allem: auf welchen Kanälen sie sich über die Zustände an ihrem Arbeitsplatz austauscht.

Eins ist sicher: Auf der Liste der mittelguten Ideen rangiert Discord irgendwo zwischen Kaffeeküche, WhatsApp und Pub.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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