In der kommenden Woche schaut die weltweite Videospiele-Industrie nach Nordrhein-Westfalen. Der Games-Standort NRW kann Aufmerksamkeit gut gebrauchen.
Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
verehrter GamesWirtschaft-Leser,
unweit der GamesWirtschaft-Zentrale befindet sich ein Hornbach-Markt – quasi mein zweites Wohnzimmer. Knapp 100 gibt es davon in Deutschland (also Hornbachs, nicht Wohnzimmer).
Ein Baumarkt solcher Größenordnung beschäftigt im Schnitt bis zu 120 Leute. Würde dieser Hornbach nicht Schrauben und Holzlatten und Armaturen verkaufen, sondern … sagen wir … Computerspiele entwickeln, dann wäre ‚meine‘ Filiale das zweitgrößte Games-Unternehmen. Und zwar in ganz Bayern.
Auch im Gamescom-Gastgeberland Nordrhein-Westfalen würde es bequem für Platz 3 reichen. Denn wie die GamesWirtschaft-Auswertung in dieser Woche gezeigt hat: In einem Bundesland mit 18 Millionen Einwohnern bringt es die komplette Top 10 der Branche mit Müh und Not auf 800 Jobs.

Und ja, ich bin genauso überrascht wie vermutlich Sie – und ganz viele, die mich in dieser Woche angepingt haben. Doch selbst nach weiteren Quer- und Gegen-Checks bei gleichermaßen gut vernetzten wie informierten Szene-Kennern wollte sich partout kein Betrieb finden, der die NRW-Statistik signifikant aufgebohrt hätte.
Darüber müssen wir reden – wann, wenn nicht jetzt eingangs der Gamescom, wo sich faktisch die komplette Videospiele-Welt in und um Köln trifft? Und wo keine Pressemitteilung und kein Grußwort von Ministerpräsident, OB und Staatskanzlei-Chef ohne das Stichwort „Games-Standort Nummer 1“ oder „Gamesland Nummer 1“ auskommt.
Ich würde glatt ein frisch gezapftes Kölsch darauf verwetten, dass dies auch am Mittwoch und Donnerstag der Fall sein wird.
Woran liegt es also, dass NRW auf der Stelle tritt, bestenfalls? Wo das Land doch beste Bedingungen für den Aufbau erfolgreicher Firmen mitbringt – riesiges Einzugsgebiet, patente Hochschulen, üppige Förderung, ein engmaschiges Ökosystem, Events von Weltrang?

Mein Gefühl: Analog zur Montan-Industrie befindet sich der gewerbsmäßige Games-Abbau an Rhein und Ruhr in einer Art Dauer-Strukturwandel.
So ist es kein Zufall, dass sich die drei ältesten Games-Studios Deutschlands allesamt in Nordrhein-Westfalen befinden: Die Geschichte von Blue Byte (heute: Ubisoft Düsseldorf), Egosoft (X-Serie, Würselen) und Independent Arts (heute Astragon Developments, Hamm) reicht bis Ende der 80er zurück – also in die Ära von Gameboy, MS-DOS und Ninja Turtles.
Als Jung-Redakteurin führten mich Studio-Besuche regelmäßig an Sehnsuchtsorte wie Bochum, Mülheim oder Gütersloh. Kult-Marken wie Anstoß, Gothic oder Die Siedler, alles NRW.
Doch das ist lange her. Unterwegs musste die Region mehrere Rück- und Nackenschläge hinnehmen. In den 90ern und Anfang 2000ern war man schon mal auf gutem Weg – bis spektakuläre Pleiten ganze Landstriche in den Abgrund rissen. Die Folgen wirken bis heute nach.
Hinzu kommt: Das Geschäftsmodell, das in Hamburg, Berlin und Bayern für besonders viele und gar nicht mal schlecht bezahlte Games-Jobs sorgt, ist in NRW krass unterentwickelt. Abseits von vereinzelten Browsergame-Erfolgen wie Die Siedler Online, Rail Nation oder dem unverwüstlichen Online-Fußballmanager (OFM) ist die Branche nie wirklich im Free2Play-Markt angekommen. Der Fokus lag stets auf PC- und Konsolen-Spielen zum Festpreis. Daran hat sich exakt nichts geändert.
Die AppStores sind weiß Gott kein Selbstläufer. Aber sie gehören eben zu einem vitalen, sprich: resilienten Branchenmix dazu – Stichwort: Strukturwandel.
Im Ergebnis ist es es im abgelaufenen Vierteljahrhundert nicht gelungen, zusätzlich zu Gaming Minds, Astragon und Ubi-, Ego-. Aerosoft weitere Mittelständler zu entwickeln, die auf Dauer 20, 30, 50 sozialversicherungspflichtige Jobs tragen. Vielmehr waren es zuletzt die Produktionen von Solo-Entwicklern und jungen Indie-Studios, die für Aufsehen und Auszeichnungen sorgten: Chained Echoes, Harold Halibut, Fall of Porcupine, Solarpunk, unter anderem.
An fehlender Rückendeckung durch die jeweils amtierende Landesregierung (egal ob Rot-Grün, Schwarz-Gelb oder aktuell Schwarz-Grün) liegt’s jedenfalls nicht. Denn entgegen der gängigen Erzählung, dass der Staat für Erhalt und Ausbau der Branche nichts oder zumindest zu wenig tut, nimmt er erstaunlich viel (und vor allem: Jahr für Jahr mehr) Geld in die Hand. Man mag sich besser nicht ausmalen, wie die Lage heute aussähe, wären diese Zuwendungen ausgeblieben.
In der ersten Dekade – also von 2011 bis 2021 – hat alleine die landeseigene Film- und Medienstiftung über 14 Mio. € in die Entwicklung von Computerspielen investiert. Nicht weniger als „eine Erfolgsgeschichte“ sei das, heißt es in PR-Beipackzetteln. Woran sich dieser Erfolg konkret fest macht: unklar. Doch weil mindestens das Potential weiterhin so „enorm“ ist, sind mittlerweile 5 Mio. € eingeplant – pro Jahr.
Zusätzlich hat der Bund ab 2020 weit über 200 Mio. € ausgeschüttet, wovon auch NRW substanziell profitierte. Tropico 7, X-26, Railway Empire 2, Highway Police Simulator, Oddsparks oder Seafarer: The Ship Sim gehören zu den Top-50-Projekten mit siebenstelligen Förderbescheiden.
Dass Scheuer und Habeck immer mal wieder zum unvermittelten Kohle-Ausstieg gezwungen waren, weil die Förder-Flöze vorzeitig versiegten, hat Probleme verschärft und Mutterkonzerne ungeduldig werden lassen. Doch zur kompletten Wahrheit gehört eben auch, dass nicht wenige Produkte brutal an den Erwartungen vorbei performten – entweder qualitativ oder kommerziell oder beides.
Linderung ist in Sicht: Sofern CSU-Tech-Ministerin Bär ihren Etat unfallfrei durch die stürmische Haushalts-See bringt, kämen allein 2025 und 2026 weitere 200 Mio. € on top. Damit lässt sich arbeiten, will ich meinen.
Und deshalb werden die kommenden Monate auch so wichtig: Gleich mehrere große Spiele erscheinen. NRW muss liefern. Und ich würde vermuten: NRW kann liefern. Davon hängt ganz entscheidend die Vorfinanzierungs-Bereitschaft (und -fähigkeit) für Folge-Projekte ab – und damit die Zukunft des Standorts.
Zunächst wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende und natürlich ganz viel Spaß in der kommenden Woche in Köln – vielleicht ergibt sich ja die Gelegenheit für ein Kaltgetränk.
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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