
Kein Sektor spielt so viel Geld ein wie Mobilegames. Doch die allermeisten Studios des Landes lassen davon die Finger. Dafür gibt es Gründe.
Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
nehmen wir für einen kurzen Moment an, Sie wollen ein Startup gründen und haben sich für den Anfang etwas Triviales vorgenommen – sagen wir: den Aufbau eines neuen Automobil-Herstellers. Multi-Milliarden-Markt. Weltweites Potenzial.
Ihre Oma beleiht ihr Häuschen, Sie lösen Ihren Bausparvertrag auf. Kann losgehen. Erste Frage: Welches Modell soll vom Band laufen? Vielleicht ein Kleinwagen? Oder doch ein familientauglicher Kombi? Gar ein Sportwagen?
Mit Blick auf die Neuzulassungs-Statistik müsste die Wahl zwingend auf das SUV-Segment fallen. Doch die Konkurrenz ist massiv. Deshalb entscheiden Sie sich notgedrungen für ein Nischenprodukt – nämlich einen knuffigen Roadster. Hat ja schon mal ganz gut funktioniert.

So in etwa muss man sich vorstellen, wie in Deutschland Games-Studios (und ehrlicherweise: Branchenmagazine) entstehen: Man schaut sich an, was man kann, was technisch möglich ist, wo sich Nischen auftun, wie lange die Rücklagen im best und worst case reichen. Und dann legt man los.
In den 90ern waren es zunächst die Point & Click-Adventures sowie Fußballmanager und andere Wirtschaftssimulationen – also mehr oder minder gut getarnte Excel-Tabellen. Daraus haben sich in den Anfang-2000ern die ersten Browsergames entwickelt, die einige der größten Studios des Landes hervorgebracht haben: Gameforge, Bigpoint, Travian, Gameduell, Upjers, Xyrality, InnoGames, um nur die allernaheliegendsten zu nennen.
Diese Firmen bilden bis heute das Rückgrat der Branche – aber selbst unter den „echten Gamern™“ werden sie nur die wenigsten kennen. Wenn die Branche Auszeichnungen unter ihresgleichen verleiht, gewinnen andere. Auf einer Gamescom sind sie de facto unsichtbar. Das gilt für das Browsergames-Gewerbe, aber in noch viel stärkerem Maße für Mobilegames: Jedes Cozy-Wholesome-Pixel-Art-Survival-Roguelike bekommt mehr Zuneigung als ein Für-umme-Handyspiel, das über Juwelen-Pakete für 4,99 € monetarisiert.
Doch just diese Spiele-Apps für Smartphone und Tablet wären eigentlich die Pendants zu den super-erfolgreichen SUVs, wie aus den aktuellen Verbands-Zahlen für Deutschland hervorgeht: Von den 5,5 Mrd. €, die 2024 für Games-Software ausgegeben wurden, entfallen 3 Mrd. € auf AppStore und Google Play – also mehr als jeder zweite Euro. Höchster Pegelstand ever.
Fast der komplette Games-App-Markt ist Free2Play. Nur in seltenen Ausnahmefällen lässt sich mittlerweile noch ein Preis-Etikett rantackern, wie selbst große Hersteller schmerzhaft erfahren mussten.
Vor diesem Hintergrund wirkt es verwunderlich, dass dieser XXL-Markt an den allermeisten der hiesigen Spiele-Entwickler vorbeirauscht wie ein ICE im ländlichen Raum. Nach Wooga (June’s Journey), Lotum (4 Bilder 1 Wort) und Kolibri Games (Idle Miner Tycoon) hat es lange keine durchschlagende Gründer-Story mehr gegeben, die sich auf eine in der Wolle gefärbte Mobile-DNA zurückführen lässt.
Wobei – das ist nicht ganz zutreffend: Hypercasual-Games sind zuletzt tatsächlich ganz gut gelaufen. Und zwar so gut, dass der GTA-Konzern Take-Two mal eben 200 Mio. € für die Berliner Popcore GmbH auf den Tisch gelegt und bei der Farmville-Tochter Zynga eingemeindet hat. Ach, hammse gar nicht mitbekomme? Sehen’se. Grämen Sie nicht: Die Firma ist mittlerweile eine einzige No-comment-Blackbox.
Sind deutsche Studios etwa nicht smart genug, um fürs Smartphone zu produzieren?
Doch, natürlich sind sie das. Nur: Das Free2Play-Biz ist ein Haifischbecken, in dem milliardenschwere Konzerne mit absurd tiefen Marketing-Taschen unterwegs sind. Was halbwegs läuft, wird sofort geklont, dank KI schneller denn je. Zufallstreffer mag es weiterhin geben, aber spätestens bei börsen-notierten Companies scheidet ‚Hoffnung‘ als zulässige Kennzahl aus.
Denn das zuweilen irrationale Nutzungsverhalten konsumbereiter Großstädter lässt sich berechnen – und zwar erstaunlich präzise. Die Analytics-Abteilungen kennen die exakten Schmerzpunkte – die Nadelstiche erfolgen mit akkupunktur-gleicher Präzision: „Noch 72 Minuten warten oder jetzt sofort mit 2 Diamanten freischalten.“
Eine Geling-Garantie, dass sich ein einmal gelandeter Hit multiplizieren lässt, gibt es leider nicht – siehe Wooga: Claire’s Chronicles konnte nicht an die Fabelzahlen des Wimmelbild-Dauerbrennners June’s Journey anknüpfen. Erst blieben die Spieler weg, dann die App, schließlich die Jobs.
Und so kommt es, dass gerade Newcomer tendenziell die Finger von Free2Play-Apps lassen – trotz des gewaltigen Hebels, den ein gut laufender Titel böte. Denn die Grundvoraussetzung lautet Sichtbarkeit – was auf Steam & Co. schon eine Riesen-Herausforderung darstellt, potenziert sich im Mobile-Bereich.
Dem deutschen Games- und Arbeits-Markt täte ein Kolibri 2.0 mal wieder ganz gut. Denn von Erfolgsgeschichten dieser Art profitiert das komplette Ökosystem – inklusive Zuliefer-Industrie.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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