Start Meinung O du Künstliche (Fröhlich am Freitag)

O du Künstliche (Fröhlich am Freitag)

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Wenn echtes Plastik auf echtes Plastik trifft, entsteht echte Weihnachts-Stimmung (Foto: GamesWirtschaft)
Wenn echtes Plastik auf echtes Plastik trifft, entsteht echte Weihnachts-Stimmung (Foto: GamesWirtschaft)

Generieren oder blamieren: Wenig hat die Games-Industrie im Jahr 2025 so sehr umgetrieben wie die Frage nach der ‚richtigen‘ Dosierung generativer KI.

Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

na, haben Sie Ihren Weihnachtsbaum schon installiert? Oder liegt die Nordmann-Tanne noch eingenetzt auf Balkon und Terrasse?

Falls Sie sich ganz traditionell für eine echte Fichte oder Tanne entscheiden (so richtig mit Holz und Zweigen und Ecken und Kanten), gehören Sie mittlerweile zu einer Minderheit im Land. Jeder Vierte stellt erst gar keinen Baum auf, sagen Umfragen – und mindestens in der gleichen Größenordnung liegt mittlerweile der Marktanteil der künstlichen Weihnachtsbäume.

Man klingt fast wie Opa Hoppenstedt – aber es ist nun mal Fakt: Früher war mehr Lametta.

Die Befürworter der Plastik-Tanne argumentieren mit Kosten-Nutzen (hält ewig), Nachhaltigkeit, Komfort, schwerer Entflammbarkeit und konstant tadellosem Erscheinungsbild. Tatsächlich waren die Dinger einst eine ästhetische Zumutung – bei Kunst-Gewächsen neueren Datums muss man schon zwei oder drei Mal ganz genau hingucken, um das Imitat zu entlarven.

Analoges gilt für das Flammenspiel künstlicher Laternen, für Tür- und Adventskränze und Vanillekipferl- und Bratapfel-Aroma powered by IKEA-Duftkerze – Besinnlichkeit to go. Aus der Perspektive von Kindern ist es ohnehin ziemlich egal, ob der Rauschebart vom studentischen Aushilfs-Nikolaus einer Zupf-Probe Stand hält oder nicht.

In einer Welt, in der alkoholfreies Bier und fleischfreie Fleischpflanzerl die höchsten Zuwachsraten verzeichnen, verwundert es kaum, dass es immer mehr Menschen völlig reicht, wenn es sich ‚echt‘ anfühlt. Ohne all die Risiken und Nebenwirkungen fröhlich vor sich hinnadelnder Rotfichten. Wer will schon der Feuerwehr erklären müssen, wenn sich Umstände unglücklich verketten – etwa der (echte) Kater in Tateinheit mit (echten) Baumkerzen?

Man kann nur hoffen, dass die Freude beim Auspacken der Geschenke einigermaßen echt ist – der Rest ist es nämlich nicht. Oder zumindest immer seltener.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

Im krassen Widerspruch zur künstlichen Feiertags-Folklore steht der Kulturkampf gegen alle Spielarten Künstlicher Intelligenz, die in den vergangenen zwölf Monaten ganze Gewerke auf links gedreht hat – inklusive ‚meiner‘ Medien-Branche, die sich mittlerweile die guten alten Zeiten zurückwünscht, in der Google-Snippets als größte Bedrohung ihrer Profession galten.

Wer sich dem Sturm stellt oder gar pro KI positioniert, muss mit hartem Widerstand rechnen. Das gilt für ungefähr alle Kreativ-Branchen – Film, Musik, Literatur, Werbung. McDonald’s hat einen (ziemlich gut gemachten, wie ich finde) Spot wieder einkassiert, weil der Kunden-Groll schlichtweg verheerend war.

Eine ganz besonders achtsame Spezies ist traditionell die Gamer-Community. Die es sich inzwischen zur Aufgabe gemacht hat, selbst winzigste KI-Spurenelemente aufzuspüren und an den Social-Media-Pranger zu stellen – so wie Plagiatsjäger, die in 80er-Jahre-Dissertationen von Berufspolitikern unzureichend verlinkte Fußnoten zu Rücktritts-Anlässen hochjazzen.

Inzwischen sind wir so weit, dass vermeintlich versehentlich durchgerutschte KI-Entwürfe nachträglich per Update rausgepatcht werden. Im Falle des The Game Awards-Überfliegers Clair Obscur: Expedition 33 führt der a) nachgewiesene und b) eingeräumte KI-Einsatz zu hitzigen Debatten, ob die Trophäe nicht nachträglich aberkannt werden müsste. Weil … so halt.

Entwickler und Publisher tun sich erkennbar schwer, mit den Anwerfungen souverän umzugehen. Dem Chef des belgischen Vorzeige-Studios Larian (Baldur’s Gate 3) platzte in dieser Woche das Unterputzkabel. „Holy Fuck“, entfuhr es Swen Vincke auf X, nachdem im Nachgang zu einem Bloomberg-Interview ein Shitstorm über ihm hereingebrochen war.

Es gehe nicht darum, Konzeptkünstler durch KI zu ersetzen, schrieb Vincke. „Wir haben Kreative wegen ihres Talents eingestellt, nicht wegen ihrer Fähigkeit, das zu tun, was eine Maschine vorgibt. Aber sie können mit diesen Werkzeugen experimentieren, um sich das Leben zu erleichtern.“

Bloomberg-Autor Schreier sah sich veranlasst, das Transkript des Interviews offen zu legen. Was es nicht wirklich besser machte. In aufgeregten Zeiten wird jede Silbe mit der Goldwaage abgewogen.

Die Zahnpasta ist jedenfalls aus der Tube. Das Thema kriegt Larian so schnell nicht wieder eingefangen. Vincke will sich demnächst einem öffentlichen Forum stellen, um Fragen zu beantworten. Gnade ihm Gott, wenn im just angekündigten Divinity-Rollenspiel auch nur ein KI-Rest-Krümel auftaucht – Review-Bombing incoming.

Man kann nur hoffen, dass sich über die Feiertage die Gemüter zumindest kurzzeitig abkühlen – Tetrapack-Glühwein oder Sissi-Trilogie-Bingen sollen ja lindern. Aber spätestens nach dem Jahreswechsel wird uns KI wieder einholen und sicher auch 2026 das beherrschende Thema bleiben – bei den Kunden und in den Programmier-Stuben. Wie ich diese gleichermaßen liebenswerte wie kostenbewusste Industrie kenne, dürfte der Ingame-Marktanteil von künstlich generierten Figuren, Schauplätzen, Items und Dialogen in rasender Geschwindigkeit deutlich über jenem von künstlichen Tannen liegen.

Aber jetzt ist erstmal Weihnachten angesagt. Bei Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, darf ich mich von Herzen für das Interesse im abgelaufenen Jahr bedanken – insbesondere für den Zu- und Widerspruch bei strittigen Themen, wo es naturgemäß unterschiedliche Blickwinkel geben kann und muss.

Sowohl GamesWirtschaft.de als auch die Social-Media-Kanäle werden zwischen den Feiertagen mit dem Nötigsten und Wichtigsten bespielt. Das volle Programm startet dann wieder am 5. Januar – der Newsletter pausiert demzufolge bis zum 9. Januar.

Ihnen, Ihrem Team und Ihren Familien wünsche ich eine echt schöne Weihnachtszeit.

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft


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4 Kommentare

  1. Meinetwegen können wir alle Jobs KI ersetzen, wenn wir das bedingungslose Grundeinkommen haben und Milliardäre stärker besteuern. Aber in so einer Utopie leben wir nunmal nicht…

    • Ich sage nur Weberaufstand, man kann die Maschinen nicht stoppen. Sicher sollen wir jetzt schauen, dass wir die Themen wie Urheberrecht klären, aber sehr bald wird „Kann Spuren von KI enthalten“ branchenweiter Standard sein. Faktisch ist es ja schon jetzt fast überall irgendwo im Prozess AI drin.

      Ohne KI Technik wird ein Studio kaum noch wettbewerbsfähig sein, was viele ohnehin jetzt schon nicht sind. Es ist also eine Art Zwang, entweder nutzt man es oder man macht dicht.
      Artists die sich dem verweigern müssen entweder wirklich gut sein oder bekommen halt weniger Aufträge.

      Sicher gibt es Ausnahmen, aber in der allgemeinen Masse kann es nur so kommen, wenn Mobile Games und deren Ads bald vollautomatisiert aus der KI rausgerotzt werden. Ich sage ja damit nicht, dass ich das gutheiße. Aber wer malt z.B. heute noch mit Pinsel? Das Cover von Anno 1404 wurde noch handgemalt, aber ich fürchte die Zeiten sind vorbei und so wird auch digital Painting, händisches rigging und sonst was verdrängt werden.

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