Eine Woche lang sorgte sich die Branche, ob Ubisoft den Karren an die Wand gefahren hat. Das ist zum Glück nicht passiert. Doch Fragen bleiben.
Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
heute Morgen – kurz vor 9 Uhr deutscher Zeit – ist ein kollektiver Seufzer der Erleichterung durchs Netz gewabert. So, als habe der Zahnarzt des Vertrauens doch von einer eigentlich befürchteten Wurzelbehandlung abgesehen und beschieden: Wir lassen alles so, wie es ist. Vorerst.
Nachdem der Handel mit Ubisoft-Aktien eine ganze Woche lang ausgesetzt worden war, ließ sich das Papier am heutigen Vormittag wieder kaufen und verkaufen. Am späten Nachmittag überwogen noch minimale Plus-Zeichen.
Dass der Kurs in der Spitze um 10 Prozent zulegte und den Börsenwert von Europas größtem Spielehersteller wieder sanft über die Schwelle von 1 Milliarde Euro hievte, hat einerseits mit überraschend guten Umsätzen zu tun. Aber noch viel, viel mehr mit der sehnlichst erwarteten Antwort auf die bange Frage, warum die Geschäftszahlen-Bekanntgabe am Donnerstag vergangener Woche last-minute verschoben worden war. Ohne Angabe von Gründen – was Tür und Tor für Spekulationen öffnete.
Jene, die mit der Materie vertraut sind, tippten frühzeitig auf ein buchhalterisches Thema – strittige Bewertungen von Beteiligungen, Verbindlichkeiten, Vertriebs- und Markenrechten, Kooperationen, all sowas. Und so war es am Ende auch: Das Veto der Wirtschaftsprüfer sorgte dafür, dass die Ubisoft-Buchhaltung einige Überstunden einlegen und das Zahlenwerk nacharbeiten musste.

Im Markt war die Nervosität unterdessen mit Händen zu greifen. Weil eben auch nicht ausgeschlossen werden konnte, dass sich irgendwo gefährliche Risse in der finanziellen Statik aufgetan haben. Oder dass der absurd niedrige Gesamtwert des Unternehmens in einer mehr oder minder freundlichen Übernahme mündet, etwa durch Großaktionär Tencent. Jenem chinesischen Konzern, der via Frontier, Funcom, Paradox und Supercell schon jetzt immensen Einfluss in der europäischen Branche hat – ganz abgesehen von Riot Games (League of Legends, Valorant) und substanziellen Anteilen an Epic Games (Fortnite, Unreal Engine).
Ebenfalls im Bereich des (Un-)Denkbaren: ein Führungs- und/oder Generationswechsel innerhalb des Gründer-Clans. CEO Yves Guillemot hat das in Frankreich geltende Renten-Eintrittsalter längst überschritten und könnte – so er wollte – unterjährig an der Côte d’Azur entlangschippern, anstatt beobachten zu müssen, wie ein Assassin’s Creed Shadows von Teilen des Publikums aus ideologischen Gründen ans Kreuz geschlagen wird.
Und über allem schwebt die Frage: Was ist eigentlich bei Ubisoft los?
Auch die hiesige Branche hielt den Atem an und drückte Daumen. Denn für die deutsche Games-Industrie ist Ubisoft ein kleines bisschen systemrelevant: Die größten Studios, die meisten Beschäftigten, die höchsten Budgets, die meisten Subventionen – wenn Ubisoft schnieft, husten ganze Standorte. Über 100 Leute bei Ubisoft Mainz haben an Anno 117 mitgewirkt; die Hauptstadt-Filiale ist Ankermieter im künftigen House of Games in Berlin.
Deshalb werden die kommenden Monate so spannend: Denn erst im Januar will das Management verkünden, wie der Konzern künftig strukturiert ist. Alle Niederlassungen, Mitarbeiter und Spiele werden jeweils einem ‚Creative House‘ zugewiesen. Also so ähnlich wie beim Sprechenden Hut, der die Erstklässler nach kurzer innerer Einkehr auf die Häuser von Hogwarts aufteilt – Hufflepuff, Slytherin, Ravenclaw oder doch Gryffindor?
Noch gibt es keine Indizien, wie viele Häuser es geben wird. Geschweige denn, nach welchen Kriterien sortiert wird – Genres? Regionen? Plattformen? Geschäftsmodelle?
Im Falle der Ubisoft Blue Byte GmbH ist die Gemengelage einigermaßen kompliziert, denn drei Studios in drei Bundesländern entwickeln konzernübergreifende Tools (u. a. Snowdrop Engine, Ubisoft Connect) und wirken als Co-Developer an internationalen Marken (Rainbow Six Siege, Far Cry, Skull and Bones, Avatar usw.) mit, verantworten aber auch eigene Spiele-Reihen – siehe Anno. Viel Spaß beim Aufdröseln …
Für den Spiele-Standort Deutschland wäre es natürlich am besten, wenn die 650 verbliebenen Beschäftigten in der selben Klasse – sprich: im selben Creative House – bleiben dürften. Irgendjemand muss ja die KI-Tools trainieren, die für mehr Effizienz sorgen sollen.
Zum Jahreswechsel wird sich weisen, wie der Sprechende Hut entschieden hat.
Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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