Für viele Veranstalter von Games-Messen und -Events wird 2025 erneut mit deutlichen Zuwächsen enden: Das Publikum dürstet nach Live-Erlebnissen.
Verehrte GamesWirtschaft-Leserin,
Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
ich melde mich heute live aus dem zauberhaften Wien – der Welthauptstadt der Mehlspeisen und Kaffeehaus-Kultur.
Aus rein professionellen Gründen hätte der Zwischenstopp vor einer Woche erheblich mehr Sinn ergeben, weil am vergangenen Freitag die Game City Wien startete. Aber das ist sich diesmal aus terminlichen Gründen „net ausgangen“, wie man hier so schön sagt.
In Deutschland hat man das Format möglicherweise gar nicht so sehr auf dem Schirm, auch wenn es bereits zum 16. Mal ausgetragen wurde. Tatsächlich ist die Game City Wien das mit weitem Abstand größte Computerspiele-Event in Österreich. DACH-übergreifend rangiert die Veranstaltung mit 87.000 Besuchern stabil auf Platz 2 – nach der Kölner Gamescom.

Was die Veranstaltung so besonders macht, ist gar nicht mal so sehr der Eintrittspreis, der nach wie vor bei sympathischen 0 Euro liegt. Sondern vor allem das spektakuläre Ambiente. Denn die Stadt öffnet sich und ihr historisches Rathaus einmal im Jahr für Games und Gamer. Und so kommt es, dass sich unter voluminösen Kronleuchtern Abertausende Spielefans an den Konsolen von Nintendo & Co. vorbeischieben – ein Fiebertraum in Marmor, Stuck und Blattgold.
Daneben bietet die Game City Wien alles, was man von einem solchen popkulturellen Happening erwarten darf: Turniere, Cosplayer, Merchandise, Bühnen-Programme, Hardware. Ein zentrales Anliegen ist traditionell das Thema Medienkompetenz, das an Info-Ständen und auf Konferenzen durchkonjugiert wird.
Die Veranstalter konnten die Besucherzahlen gegenüber Vorjahr erneut leicht steigern – auf einen neuen Rekordwert. Damit sind sie nicht alleine: Man wird länderübergreifend wenige Events finden, die nicht per saldo gewachsen wären, teils signifikant – trotz gesalzener Ticket-Preise, die zunehmend die 40-€-Grenze touchieren. Und trotzdem sind mindestens die Freitage und Samstage oft rasch ausverkauft.
Ähnliches ist in anderen Live-Event-Disziplinen zu beobachten – Musik-Festivals, Stadt- und Volksfeste, Conventions oder Sport-Ereignisse beispielsweise. Die Münchener Wiesn musste zeitweise wegen akuter Überfüllung geschlossen werden.
Warum ist das so? Was lockt die Leute in rappelvolle Messehallen? Und was treibt Menschen dazu, sich sehenden Auges und aus freien Stücken in Gamescom-Queues einzureihen, obwohl die Hinweisschilder in erfrischender Klarheit vor ein bis zwei Stunden Wartezeit warnen?
Spontan würde ich auf extrapolierte Corona-Nachhol-Effekte tippen. Michael Wegner hat dafür eine weitere Erklärung – und sie lautet überraschenderweise: Künstliche Intelligenz.
Wegner muss es wissen, denn er macht das beruflich. Er ist Chef der Bochumer Planetlan GmbH, die in diesem Jahr ihr 25jähriges Betriebsjubiläum feiert und einige der größten Gamescom-Auftritte verantwortet – unter anderem. Sein Argument: „Wenn man es selbst erlebt hat, war es echt. Was man mit den eigenen Augen live gesehen hat, ist authentisch. Das eigene Erlebnis wird mehr denn je zählen.“
Damit wirbt der Unternehmer natürlich auch in eigener Sache, aber er hat einen Punkt. Denn wer online unterwegs ist, wird zwangsläufig mit synthetischen, KI-generierten Inhalten zugeballert – egal ob auf TikTok, YouTube, LinkedIn oder im AppStore. Oft genug sind Texte, Figuren, Fotos und Illustrationen überoptimiert und überdreht – und dadurch auf den ersten, spätestens zweiten Blick als solche erkennbar, analog zu Photoshop-Titelseiten-Retuschen oder Instagram-Filtern. Schwierig wird es, sobald die Grenzen verschwimmen.
Das durfte ich letztens selbst feststellen, als ich spaßeshalber die neue Foto-to-Video-Funktion der KI-App Grok ausprobierte. Aus jedem beliebigen Schnappschuss lässt sich neuerdings auf Knopfdruck und binnen Sekunden eine kurze, animierte Sequenz erstellen.
Ich entschied mich für ein schon leicht vergilbtes Fotoalbum-Bild aus den 70ern, das mich als geschätzt Dreijährige selig lächelnd mit zwei Welpen auf dem Sofa meiner Oma zeigt. Grok baute daraus ein Video, in dem ich die Fellnasen kraule und den Blick nach unten richte, weil die zwei Racker miteinander auf dem Schoß kabbeln.
Das macht was mit einem. Mir lief es kalt den Rücken runter. Nicht nur, weil sich in diesem Moment ein Interstellar-Wurmloch in die eigene Vergangenheit auf tat. Sondern auch, weil einem (wieder einmal) gewahr wurde, wie leicht sich doch eine völlig glaubwürdige Realität hinfaken lässt. Ich wüsste auch nach dem 20. Angucken nicht, woran sich die Künstlichkeit konkret festmachen ließe.
Wild. Einfach nur wild. Wenn sowas mit Bordmitteln 2025 geht – was geht dann erst 2028?
Die Frage, was ‚echt‘ und ‚authentisch‘ ist und was nicht, wird sich also gar nicht mehr so leicht beantworten lassen. Wenngleich man natürlich fragen kann, inwieweit sich ein Ereignis wirklich ‚erleben‘ lässt, wenn es via Handy-Kamera auf dem Display verfolgt wird. In den einschlägigen Clouds dürften Abermilliarden unscharfer Mitschnitte mit miesem Ton vor sich hin rotten, die in irgendeiner Mehrzweckhalle entstanden sind – und die sich exakt niemand je wieder anguckt.
Hilft KI-Overflow also tatsächlich beim Ticket-Verkauf? Falls die These zutrifft, wird es für Veranstalter, Aussteller und Messebauer darum gehen müssen, diesen Live-dabei-sein-ist-alles-Faktor zu kultivieren und in Vor-Ort-Erlebnisse zu übersetzen, die nachwirken und lange im Gedächtnis bleiben. Das ist mit digitalen Produkten, wie es Games nun mal sind, nicht ganz trivial. Aber auch hier gibt es ja gelungene Beispiele, wie man Fan-Service greifbar macht – buchstäblich.
Genau darum (und um die Frage, ob und wie sich die immer weiter steigenden Event-Kosten rechnen) dreht sich im Übrigen auch das Jubiläums-Interview mit Planetlan-Boss Wegner, das am Montag kommt – lohnt sich.
Ein schönes Wochenende – wo auch immer Sie gerade diese Kolumne lesen – wünscht Ihnen
Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft
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