Der Geschäftsbericht 2015 zeigt: Der Frankfurter Engine-Bauer Crytek („Robinson: The Journey“) ging beim Thema Virtual Reality all in.

[no_toc]Crytek hat ein hartes Jahr hinter sich: Kurz vor Weihnachten 2016 gingen Mitarbeiter an die Öffentlichkeit und erklärten, das Unternehmen habe über Monate hinweg keinen Cent Gehalt überwiesen. Anhand ihrer Kontoauszüge belegten die Angestellten, dass die Zahlungen erst mit wochen-, teils monatelanger Verspätung bei der Belegschaft eintrafen.

Unmittelbar vor den Feiertagen brach das Management endlich sein Schweigen – und handelte: Von sieben Studios sollten fünf geschlossen werden, die Vermarktung von Spielen – also das Publishing – wurde aufgegeben. Im Februar verkaufte Crytek die Publishing-Rechte am Free2play-Shooter „Warface“ an eine Tochter des russischen Internet-Konzerns Mail.Ru. Mit den Russen wurde zudem eine „umfangreiche Vereinbarung im zweistelligen Mio.-Dollar- Bereich für die Entwicklung der Fortsetzung des Erfolgsspiels Warface hin zu Warface II“ getroffen. Die Veröffentlichung ist für 2018 geplant.

Seit Anfang 2017 ist Crytek also wieder ein reines Entwicklungs-Studio mit Fokus auf der CryEngine-Technologie und „Premium-IPs“. In diese Kategorie fällt auch das Endlos-Projekt „Hunt“, für das Crytek erst Ende März 2017 Markenschutz für eine überarbeitete Bildmarke beantragt hat. Der Look des neuen Logos unterscheidet sich deutlich von der Vorgängerversion des Jahres 2014: Damals war „Hunt: Horrors of the Gilded Age“ noch als Free2play-Titel geplant.

Crytek Geschäftsbericht 2015: Umsatz sinkt von 69 Mio. Euro auf 26 Mio. Euro

Die Grundlagen für die dramatische Entwicklung des Jahres 2016/2017 wurden 2015 gelegt – kurz vor dem vergangenen Wochenende hat Crytek nun die Zahlen für dieses Jahr im Bundesanzeiger veröffentlicht, zu einem ungewöhnlich späten Zeitpunkt.

Demnach sank der Umsatz von fast 69 Mio. Euro (2014) auf nur noch 26 Mio. Euro (2015). Das Frankfurter Unternehmen benennt zwei wesentliche Gründe: zum einen sinkende „Warface“-Umsätze durch eine ungünstige Entwicklung der Rubel-Euro-Wechselkurse, zum anderen sei das Vorjahr durch ein „singulär einzustufendes Großlizenzgeschäft“ mit einem „führenden Internetkonzern“ geprägt worden.

Gemeint ist das nie offiziell bestätigte, aber dennoch offenste Geheimnis der Branche: Für einen signifikant zweistelligen Millionenbetrag hat sich Amazon umfassende Rechte an der CryEngine gesichert, die seitdem als Basis des hauseigenen Lumberyard-Systems dient. Nach verschiedenen Medienberichten hat Amazon dafür 50 Millionen Dollar auf den Tisch gelegt.

Crytek Geschäftsbericht 2015: „Fortführung der Unternehmenstätigkeit überwiegend wahrscheinlich“

Der Einmal-Effekt durch den Vorjahres-Lizenzdeal schlägt in der 2015-Bilanz voll durch. Alle wesentlichen Kennzahlen sind rückläufig. Was gestiegen ist, das sind Verluste und Schulden. Crytek hat das Jahr 2015 mit einem Fehlbetrag von 7,8 Mio. Euro abgeschlossen, die Verbindlichkeiten lagen bei mehr als 26 Mio. Euro.

Aus Gläubigersicht besonders kritisch: „Der Anlagendeckungsgrad II (Eigenkapital + langfristige Verbindlichkeiten/Anlagevermögen) beläuft sich zum 31. Dezember 2015 auf 53% (Vorjahr: 159%).“ Bei Analysten schrillen die Alarmglocken, sobald dieser Wert unter die 100-Prozent-Marke sinkt.

Aufgrund der sich abzeichnenden Entwicklung waren umgehende Reanimations-Maßnahmen erforderlich: „Die Gesellschaft wies einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in Höhe von TEUR 2.929 aus. Die geschäftsführenden Gesellschafter haben auf Gesellschafterdarlehen befristet bis zum 01. Januar 2018 Rangrücktritte in Höhe von insgesamt TEUR 9.000 erklärt. Trotz der bestehenden bilanziellen Überschuldung geht die Geschäftsführung auf Basis der Unternehmens- und Liquiditätsplanung davon aus, dass die Fortführung der Unternehmenstätigkeit überwiegend wahrscheinlich ist.“

Crytek-Wette auf Oculus Rift und PlayStation VR

Es ist nicht überliefert, ob die drei Crytek-Gründer dem Pokerspiel frönen – mit der Wette auf „Virtual Reality“ sind die Yerli-Brüder offenkundig all-in gegangen. Denn 2015 erfolgte laut Geschäftsbericht eine „Strategiefokussierung auf das Zukunftsfeld VR“ – was allein daran abzulesen ist, dass der Begriff „Virtual Reality“ und die Abkürzung mehr als 30 Mal im Geschäftsbericht 2015 auftaucht, stets im Gefolge von Fabel-Prognosen der einschlägigen Marktforscher.

Demnach erreiche allein der Games-Anteil am Virtual-Reality-Kuchen bis 2020 ein Volumen von 30 Milliarden Dollar. Und von diesem Kuchen wollte Crytek natürlich ein möglichst großes Stück für sich beanspruchen und investierte kräftig in die Weiterentwicklung der CryEngine und eigener Spiele. Mit Plattformhaltern wie der Facebook-Tochter Oculus und Sony PlayStation wurden mehrere „Development“-Verträge abgeschlossen, zum einen für das Kletterspiel „The Climb“, zum anderen für das Dino-Science-Fiction-Abenteuer „Robinson: The Journey“. Es ist nicht unüblich, dass Hardware-Hersteller derartige Exklusiv-Projekte zum Start eines neuen Modells finanziell anschieben.

Beide Spiele kamen in der Fachpresse gut weg und wurden 2016 und 2017 unter anderem mit dem Deutschen Computerspielpreis ausgezeichnet, blieben aber kommerziell hinter den Erwartungen zurück. Im März musste Crytek die unverbindliche Preisempfehlung von „Robinson: The Journey“ deutlich nach unten korrigieren.

Crytek 2015: 20 Mio. Euro Personalkosten bei 26 Mio. Euro Umsatz

Die Geschäftsführung ging 2015 davon aus, dass sich das Virtual-Reality-Investment ab 2016 in Form steigender Umsätze auszahlt – die „Gewinnung hochqualifizierter Mitarbeiter mit IT- und/oder internationalem Hintergrund“ sei daher ein „wichtiger Bestandteil des Unternehmenserfolges“. Der Satz erklärt, weshalb Crytek zwar Personal abgebaut hat, allerdings nur in vergleichsweise geringem Ausmaß: Von 378 auf 321 Mitarbeiter sank die Zahl der Mitarbeiter in Frankfurt. Crytek saß 2015 auf unverändert gewaltigen Personalkosten von mehr als 20 Mio. Euro – wohlgemerkt bei einem Umsatz von 26 Mio. Euro.

Nach aktuellen Angaben sind im Frankfurter Hauptquartier derzeit rund 360 Mitarbeiter beschäftigt.

In Summe erwartete das Management für 2016 einen „deutlichen Umsatzanstieg von mindestens 50 Prozent“, also in Richtung 40 Mio. Euro. Die Geschäftsführung kalkulierte mit steigenden Profiten: Der operative Gewinn wurde im „einstelligen Millionen-Bereich“ taxiert, gefolgt von nochmals verbesserten Einnahmen und Ergebnissen in 2017. Die Indizienlage – verzögerte Gehaltszahlungen, Studioverkäufe, Entlassungen, Strategie-Korrektur – spricht dafür, dass die angepeilten Planzahlen im abgelaufenen Jahr verfehlt wurden.