Start Wirtschaft Analyse: Was das Aus von Visceral Games für die EA-Strategie bedeutet

Analyse: Was das Aus von Visceral Games für die EA-Strategie bedeutet

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Das "Star Wars"-Projekt von Visceral Games wird mit neuem Konzept von EA Vancouver fortgeführt.

Langfristige Kundenbeziehung statt Einmalkauf: Mit der Einstellung des „Star Wars“-Solo-Abenteuers von Visceral Games sendet EA deutliche Signale an den Markt.

[no_toc]„Von der Idee, dass wir einzelne Produkte verkaufen, haben wir uns bereits vor Jahren verabschiedet. Heutzutage wollen die Spieler mehr Zeit mit weniger Spielen verbringen – egal ob es sich um unsere eigenen oder um die Spiele unserer Mitbewerber handelt. Wir stellen fest, dass die Leute ein „FIFA“ fast täglich spielen. Und auch ein „Battlefield“ oder „Star Wars Battlefront“ wird unglaublich lange gespielt.

Die Spieler erwarten, dass wir ihnen nach dem Verkaufsstart laufend neue Inhalte zur Verfügung stellen. Wir sind immer noch abhängig davon, dass die Spiele-Läden unsere Software verkaufen. Aber wir betrachten das nicht als einzelnes Produkt, sondern als langfristige Kundenbeziehung. Darauf kommt es für uns an, auch künftig.“

Das sagte Electronic-Arts-Manager Patrick Söderlund eingangs des GamesWirtschaft-Exklusiv-Interviews im Rahmen der Gamescom 2017.

Wer seine Botschaft verstanden hat, ist nicht allzu überrascht über die jüngsten Entscheidungen des EA-Managements: Die Studiotochter Visceral Games im kalifornischen Redwood City wird dichtgemacht. Das in Entwicklung befindliche, Story-lastige, lineare „Star Wars“-Abenteuer wandert zu EA Vancouver und wird dort komplett umgebaut. Ursprünglich sollte das Spiel im Geschäftsjahr 2018/19 erscheinen; unter anderem war „Uncharted“-Autorin Amy Henning am Projekt beteiligt.

Aus für das „Star Wars“-Spiel von Visceral Games: Das EA-Signal an den Markt

In einem Blog-Eintrag begründet Söderlund die Entscheidung damit, dass sich die Welt der Videospiele dramatisch verändert habe. In dieser Welt wird die Luft für lineare Solo-Abenteuer dünner – mit direkten Auswirkungen auf Verkaufs- und Umsatzzahlen.

Das Spielkonzept wird nun über den Haufen geworfen, um ein breiteres Publikum und eine längerfristige Kundenbeziehung zu erreichen. Das Stichwort lautet „Games as a Service“: Anstelle eines Einmal-Umsatzes streben die Studios dauerhafte Einnahmen ein. Voraussetzung ist freilich, dass der Spieler über Wochen, Monate, teils Jahre „im System“ bleibt.

Dazu beitragen sollen aufpreispflichtige Zusatz-Inhalte (DLCs), Dauerkarten („Season Passes“), Mikrotransaktionen und Spielwährung für Free2play-Spiele, Netzwerk-Abo-Gebühren und die derzeit heftig umstrittene Lootboxen-Mechanik. Hinter diesem relativ jungen Phänomen verbergen sich virtuelle Wundertüten, deren Inhalt und Wert vorgeblich allein vom Zufall abhängen.

Ein Beispiel sind virtuelle Sammelkarten-Päckchen für „FIFA Ultimate Team“, ein extrem populärer Spielmodus im EA-Fußballspiel „FIFA 17“ und „FIFA 18“: Welche Kicker in den Paketen enthalten sind, ist Glückssache – ob es sich dadurch zwangsläufig um zu regulierendes Glücksspiel handelt, darüber streiten sich die Gelehrten. Die Jugendschützer der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) sahen sich aufgrund vieler Anfragen dazu veranlasst, ihre Sicht offenzulegen.

Lootbox-Kontroverse: „Star Wars Battlefront 2“ in der Kritik

Die Meldung über die Schließung von Visceral Games kommt just zu einer Zeit, in der sich Electronic Arts massiver Kritik mit Blick auf das sogenannte Lootboxen-System im kommenden Multiplayer-Shooter „Star Wars Battlefront 2“ ausgesetzt sieht. Im konkreten Fall schalten die Lootboxen unter anderem mächtige Spezialfunktionen oder Star-Wars-Helden frei.

Die dafür nötige Spielwährung lässt sich mit erheblichem Zeitaufwand erspielen – oder aber im Tausch gegen harte Euros erwerben. Der Vorwurf: Der Spielfortschritt und Rangaufstieg wird vom Echtgeld-Einsatz bestimmt – das Stichwort lautet „Pay to win“.

Nach Beschwerden der Beta-Tester hat das Studio spürbare Korrekturen an der Spielbalance angekündigt. Wie sich dies in der Praxis auswirkt, wird sich spätestens ab dem 17. November zeigen, wenn das Spiel erscheint.

Die EA-Rechnung: Weniger Spiele, mehr Spieler, mehr Spielzeit, mehr Umsatz

Mit seiner Analyse, dass der Spielemarkt weiterhin enormer Unwucht unterliegt und sich laufend verändert, liegt Söderlund zwangsläufig richtig.

Sowohl Steam-Statistiken und Verkaufs-Charts als auch Bilanzen börsennotierter Publisher sind ein Ausweis dessen, dass Solo-Spiele an Bedeutung verlieren und in die Nische abwandern. Zuwächse verweisen insbesondere Spiele, die sich mit- und gegeneinander spielen lassen – und das auf allen Plattformen, von „Minecraft“ über „Playerunknown’s Battlegrounds“ bis „Clash Royale“.

Insbesondere bei Electronic Arts und beim Marktführer Activision Blizzard („Destiny 2“, „Call of Duty“, „Hearthstone“) lautet daher die Strategie: weniger Marken, mehr Games as a Service, und vor allem: Online first.

Dieses Vorgehen unterscheidet sich diametral von der Portfolio-Politik anderer Großpublisher – noch. Spielehersteller wie Bethesda („Skyrim“, „Fallout 4“, „The Evil Within 2“) oder Sony Interactive („Horizon: Zero Dawn“, „Uncharted 4“, „The Last of Us 2“) setzen bislang auf filigran ausgearbeitete Solo-Spielwelten, die um Online-Inhalte erweitert werden. Einen Mittelweg geht Take 2 Interactive: Mit „Grand Theft Auto Online“ existiert ein lukratives Multiplayer-Paralleluniversum auf Basis von „Grand Theft Auto 5“.

Weltmarktführer-Strategie schafft Potenzial für die Nische

Nach dem Komplettrückzug von Disney aus der Spiele-Entwicklung ist Electronic Arts der Haupt-Lizenzpartner für Computer-, Konsolen- und Mobile-Games auf Basis der „Krieg der Sterne“-Saga.

„Star Wars“ ist Massen-, kein Nischenmarkt. Die Vollbremsung kommt zwar spät, aber offenkundig war man bei Electronic Arts nicht bereit, schlechtem Geld gutes Geld hinterher zu werfen.

Denn EA steht im harten Wettbewerb und ist zur Produktion von Hits quasi verdammt. Ein wahrhaftiger Games-Blockbuster definiert sich längst nicht mehr über schnöde Verkaufszahlen, sondern durch investierte Spielzeit und einen ganzen Strauß aus Folgegeschäften – von eSport-Ligen über Merchandising bis hin zum Digitalgeschäft. Die Ende Oktober anstehenden EA-Quartalszahlen werden das zum wiederholten Male belegen.

Die gute Nachricht: Dass sich Weltmarktführer wie Electronic Arts zunehmend komplett aus dem Solo-Markt zurückziehen, lässt gleichzeitig Chancen entstehen für kleine und mittelgroße Studios – auch und gerade aus Deutschland.