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Deutsche Version von Wolfenstein 2: Nach allen Regeln der Kunst

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Die deutsche Version von
Die deutsche Version von "Wolfenstein 2: The New Colossus" lässt Bethesda in einem Parallel-Universum spielen.

Ein Schnitzel in Hakenkreuz-Form – für die „Heute-Show“ okay, in einem Computerspiel bislang undenkbar. Was Kunst und Satire dürfen und was nicht, bleibt Auslegungssache – und Sache von Richtern.

[no_toc]Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Freiheit von Kunst, Forschung und Lehre – all das stellt das deutsche Grundgesetz in Artikel 5 unter besonderen Schutz, um es im zweiten Abschnitt gleich wieder einzuschränken. So endet die Pressefreiheit, wenn Persönlichkeitsrechte berührt werden – also wenn beispielsweise ein Paparazzo das Kind eines Prominenten heimlich ablichtet. Oder wenn die Menschenwürde oder der Schutz der Jugend gefährdet ist.

Nun ist die Darstellung verfassungsfeindlicher Symbolik – Hakenkreuze, SS-Runen etc. – in Deutschland grundsätzlich verboten, mit Ausnahmen für die Wissenschaft, für die journalistische Berichterstattung und die Kunst.

So hatte die ZDF-Rechtsabteilung offenkundig keine Bedenken, dass die Redaktion der Satire-Sendung „Heute-Show“ anlässlich der österreichischen Bundespräsidentenwahl ein kross ausgebackenes Schnitzel in Hakenkreuz-Form auf der Facebook-Seite verbreitet („möglichst flach und schön braun“). Offenbar zu Recht, denn trotz mehrerer Anzeigen hat die Staatsanwaltschaft erst gar keine Ermittlungen aufgenommen.

Auch ein zum Hitlergruß erhobener Arm auf einer Theaterbühne kann im Ausnahmefall durch die Kunstfreiheit gedeckt sein – die Einordnung obliegt aber letzten Endes einem Richter. Ein verklagter Schauspieler hatte so gesehen Glück: Er blieb nur deshalb ohne Strafe, weil die Parole im Kontext des Stücks erkennbar ins Lächerliche gezogen worden war. Ein Aktionskünstler, der die Kanzlerin auf einem Plakat in Nazi-Uniform zeigte und sich auf die Kunstfreiheit berufen hatte, wurde hingegen rechtskräftig zu einem Bußgeld in vierstelliger Höhe verdonnert.

Wir lernen: Es kommt drauf an.

Und wer es nicht darauf ankommen lassen will, lässt es besser bleiben.

Debatte um Hakenkreuze in „Wolfenstein 2“: Wie groß ist das Risiko für den Hersteller?

Im Gegensatz zu den Gepflogenheiten in Film und Fernsehen wagen es derzeit weder Indie-Studios noch Großkonzerne, ein Videospiel gleich welcher Umsatz-Größenordnung zu veröffentlichen, das NS-Symbole, -Abzeichen, -Uniformen oder -Parolen aufweist (§86/§86a StGB), inklusive Hitler-Darstellungen.

Wie groß das tatsächliche strafrechtliche Risiko für den Geschäftsführer eines Spiele-Entwicklers in der Praxis ist, darüber gibt es eine hitzig geführte Debatte. Unstrittig ist aber: Inklusive aller Gutachten, Instanzen und Revisionen können Jahre vergehen, um im besten Fall womöglich doch noch Recht von höchstrichterlicher Stelle zu bekommen. Im ungünstigsten Fall ist der In-Verkehr-Bringer der fraglichen Software vorbestraft – bis zu drei Jahre Knast drohen.

Man kann einem zuständigen Geschäftsführer kaum verübeln, wenn er sicherstellen will, Weihnachten bei seiner Familie verbringen zu dürfen. In der Vergangenheit gab es daher eine Reihe von Fällen, in denen selbst ein versehentlich übersehenes Hakenkreuz zu Rückrufen fertig produzierter Ware führte. Denn im Zweifel wäre auch der konkrete Verkäufer, Händler oder Plattformbetreiber „dran“.

Ungleich konkreter ist der Fakt, dass die Veröffentlichung eines Spiels mit Hakenkreuzen aus kommerzieller Sicht derzeit so gut wie unmöglich ist. Zumindest sind die Hürden extrem hoch. Wer in Deutschland – immerhin einer der größten Videospielmärkte der Welt – ein PC- oder Konsolenspiel vermarkten und verkaufen will, bekommt üblicherweise nur dann eine Listung bei Amazon, Media Markt und Saturn, wenn das Spiel ein USK-Siegel aufweist.

Doch die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) nimmt ihrerseits überhaupt nur Spiele zur Prüfung an, wenn der Einreicher bereits bei der Einreichung schriftlich zusichert, dass der Titel bei Veröffentlichung erst gar keine Kennzeichen nach §86 StGB enthalten wird.

„Call of Duty WWII“: Umsatz von 30 Millionen Euro in Gefahr

Von dieser Regelung direkt betroffen sind derzeit zwei Blockbuster, die eigens für den deutschen Markt angepasst wurden: „Call of Duty WWII“ von Weltmarktführer Activision Blizzard sowie „Wolfenstein 2: The New Colossus“ aus dem Hause Bethesda. Beide Titel sind für rund 60 Euro erhältlich und von der USK aufgrund der drastischen Gewaltdarstellung ab 18 Jahren freigegeben.

Bereits in den ersten drei Tagen hat „Call of Duty WWII“ weltweit einen Umsatz von einer halben Milliarde Dollar eingefahren. Über alle Plattformen hinweg werden dem Spiel allein in Deutschland Absatzzahlen von weit über einer halben Million Stück zugetraut – es geht hier also um ein kommerzielles Risiko im deutlich zweistelligen Millionen-Euro-Bereich.

Aus diesem Grund wird die deutsche Gesetzeslage bereits ab Sekunde 1 berücksichtigt, in der das Management die Entwicklung eines Spiels in Auftrag gibt. Und dieser Moment reicht in beiden Fällen bis ins Jahr 2013 zurück.

Besonders aufwändig gestaltete sich die Entwicklung im Falle von „Wolfenstein 2: The New Colossus“: Hier hat Bethesda die Entscheidung getroffen, das komplette Spiel inklusive der Hintergrundgeschichte in eine weit, weit entfernte Galaxis zu verfrachten. Weil auch die Hitler-Darstellung in Deutschland unter Strafe steht (mit den eingangs erwähnten, engen Ausnahmen), wurde die Figur in der deutschen Version umbenannt und umfrisiert.

Bethesda: „Kein direkter Bezug auf tatsächliche historische Ereignisse“

Bereits beim Vorgänger des Jahres 2014 ist Bethesda vom Original abgewichen und hat Story und Figuren in ein anderes Szenario umziehen lassen – und zwar „aufgrund der bewegten Historie der Wolfenstein-Franchise in Deutschland und der hiesigen Gesetzeslage.“ Dieser Kunstgriff soll ermöglichen, dass „kein direkter Bezug auf tatsächliche historische Ereignisse und unter anderem kein NS-Regime“ stattfindet, wie Bethesda auf Anfrage mitteilt.

Konkret schreibt der Publisher: „Namen, Figuren, Organisationen, Orte und Ereignisse sind entweder frei erfunden oder in fiktionalisierter Weise dargestellt. Die Geschichte und der Inhalt dieses Spiels beabsichtigen weder die Billigung, Verherrlichung oder Gutheißung von Denkmustern, Ideologien, Ereignissen, Handlungen, Personen oder Verhaltensweisen des nationalsozialistischen Regimes noch die Verharmlosung der im Namen des Nationalsozialismus begangenen Kriegsverbrechen, Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit und sollten auch keinesfalls so verstanden werden.“

Hakenkreuze in Medien: Filmstudios retuschieren Kinoplakate

Der finanzielle und zeitliche Aufwand für eine „deutsche“ Version ohne Hakenkreuze ist zweifelsohne enorm. Doch selbst, wenn sich die derzeitig herrschende Auffassung ändert und die internationale Originalfassung zulässig wäre, würde das nicht automatisch bedeuten, dass sich Hersteller wie Bethesda damit einen Gefallen täten. Im Gegenteil: Insbesondere Marketing, Öffentlichkeitsarbeit und Vertrieb kämen einem Ritt auf der Rasierklinge gleich.

Jeder Vorab-Screenshot, jedes Artwork, jeder Prospekt, jeder Trailer, jede Packungsrückseite, jeder Gamescom-Aufsteller müsste auf NS-Symbolik hin kontrolliert und selbst bei homöopathischen Zweifeln bereinigt werden.

Wie sich dies in der Praxis darstellt, lässt sich im Film- und TV-Betrieb besichtigen, der ja seit Jahrzehnten vom Kunstprivileg profitiert. Wer sich die deutschsprachigen Kinoplakate und Bluray-Einleger genauer ansieht, wird feststellen, dass zum Beispiel im Logo des Tarantino-Streifens „Inglourious Basterds“ oder auf der Mütze von „Der Untergang“-Hauptdarsteller Bruno Ganz kräftig retuschiert wurde – aus Sorge, das Werbematerial könnte als Propaganda in Sinne des §86 ausgelegt werden.

Hakenkreuze in Games: Eine Frage des Einzelfalls

Kein Spielehersteller, der Verantwortung für Umsatz und Jobs trägt, wird ohne Not und in der Hoffnung auf einen gutgelaunten Richter eine schwer kalkulierbare, juristische Wette eingehen. Der Berliner Lobby-Verband BIU – dem unter anderem Bethesda und Activision Blizzard angehören – äußert daher Verständnis, wenn Publisher angesichts möglicher strafrechtlicher Konsequenzen auf Nummer Sicher gehen. BIU-Geschäftsführer Felix Falk sieht nun zuallererst die Behörden in der Pflicht, „zeitnah die veraltete Rechtsposition und die momentane Ungleichbehandlung endlich zu beenden.“

Gemeint sind hier die Obersten Landesjugendbehörden, kurz: OLJB, deren entsandte Vertreter jeden Prüfvorgang von USK (Game) und FSK (Film) abstempeln.

In jedem Fall bedarf es eines sehr konkreten Einzelfalls in Form eines Spiels, an dem sich die Freiheit der Kunst durchdeklinieren und -prozessieren lässt. Doch selbst daraus erwachsen keine pauschalen Regelungen, die sich auf alle anderen Games überstülpen ließen. Ob Böhmermanns berüchtigtes Schmähgedicht gerade noch okay ist oder nicht, galt selbst unter führenden Juristen keinesfalls als ausgemachte Sache – Satire hin oder her.

Es kommt also drauf an.

Weitere Informationen rund um „Wolfenstein 2“, Jugendschutz, USK und die Besonderheiten des deutschen Marktes: