Start Politik Verbraucherzentrale: Das steckt hinter der Pokémon-Go-Abmahnung

Verbraucherzentrale: Das steckt hinter der Pokémon-Go-Abmahnung

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Verbraucherzentrale vs Niantic: Die Datenschutzklauseln von Pokémon Go verstoßen offenkundig gegen deutsches Recht (Abbildungen: VZBV, Nintendo, Niantic / Montage: GamesWirtschaft)
Verbraucherzentrale vs Niantic: Die Datenschutzklauseln von Pokémon Go verstoßen offenkundig gegen deutsches Recht (Abbildungen: VZBV, Nintendo, Niantic / Montage: GamesWirtschaft)

Stichtag 9. August: Diese Frist hat die Verbraucherzentrale dem Pokémon Go-Hersteller Niantic gesetzt, um eine Unterlassungserklärung abzugeben.

[no_toc]Egal ob Facebooks „Gefällt mir“-Button, die Serverprobleme beim Start von Blizzards Action-Rollenspiel Diablo 3 oder der „Online-Zwang“ von Battlefield 3, der die Installation der Zusatz-Software Origin erforderlich machte: Hinreichend Erfahrung im Umgang mit allen namhaften Internet- und Spiele-Riesen kann man dem Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) nicht absprechen. Jetzt hat sich der gemeinnützige Verband mit Pikachu & Co. angelegt.

Pokémon Go: Die Kritikpunkte des Verbraucherzentrale-Bundesverbands

Am 20. Juli 2016 sorgte der Bundesverband für Schlagzeilen, weil er eine Abmahnung zu Niantic nach San Francisco schickte. Niantic ist der Hersteller der unfassbar populären Smartphone-App Pokémon Go. Das Spiel ist auf dem heimischen Sofa so gut wie unbrauchbar: Die Cartoon-Monster lassen sich nur „fangen“ und „trainieren“, indem man durch die Gegend marschiert. An markanten Punkten oder Sehenswürdigkeiten – den Pokéstops – lässt sich zudem nützliches Zubehör abholen oder ein Lockmodul installieren, das zusätzliche Pokémon auftauchen lässt. Dies ist auch der Grund, warum man seit Mitte Juli Dutzende, Hunderte, teils Tausende von Pokémon-Jägern an Plätzen, vor Kirchen, in Parks oder an Brücken antrifft.

Bevor der Spieler zur Pokémon-Go-Jagd aufbricht, muss er die kostenlose App herunterladen, installieren und den Allgemeinen Geschäftsbedingungen zustimmen. Die in feinstem, penibel übersetztem Juristen-Jargon formulierten Klauseln ziehen sich über mehrere Seiten – die wenigsten Spieler dürften die AGBs gelesen haben. Aber dafür sind ja die Profis von der Verbraucherzentrale Bundesverband da.

Insgesamt 15 Klauseln hat der Verband abgemahnt. Die Nutzungs- und Datenschutzbestimmungen verstoßen nach seiner Auffassung gegen deutsches Recht, wie auch der Justiziar des Entwicklerverbands GAME – Kai Bodensiek – in seiner GameWirtschaft-Kolumne festgestellt hat.

Pokémon Go: Verbraucherzentrale will Fans „nicht den Spaß nehmen“

Heiko Dünkel ist Rechtsreferent beim Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin (Foto: vzbv/ Gert Baumbach)
Heiko Dünkel ist Rechtsreferent beim Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin (Foto: vzbv/ Gert Baumbach)

GamesWirtschaft hat mit Heiko Dünkel telefoniert. Er ist Rechtsreferent beim Verbraucherzentrale Bundesverband und hat in dieser Funktion schon eine ganze Reihe ähnlicher Fälle bearbeitet. Er ist auch derjenige, der sich durch die AGBs gewühlt  und die Niantic-Abmahnung vorbereitet hat. Dünkel sieht seinen Verband „nicht in der Rolle der schlechtlaunigen Gouvernante, die den Menschen den Spaß nehmen will.“ Kaum eine Privatperson würde im Zweifel gegen einen mächtigen Internetkonzern am anderen Ende des Atlantiks ins juristische Gefecht ziehen, um glasklar geregelte Rechte einzuklagen.

Die 15 angemahnten Klauseln lassen sich grob in vier Bereiche aufteilen:

  • Erstens sei die Einwilligungserklärung viel zu schwammig formuliert.
  • Zweitens nimmt sich Niantic das Recht heraus, den Vertrag nach eigenem Gutdünken umzustricken.
  • Drittens schließt Niantic jede Haftung für Mängel aus.
  • Und viertens sollen gerichtliche Auseinandersetzungen ausschließlich vor kalifornischen Schiedsgerichten ausgefochten werden, sofern die Nutzer nicht rechtzeitig widersprechen.

Allesamt Punkte, die man in Berlin als mindestens problematisch, wenn nicht illegal erachtet. Da Niantic das Produkt ganz offiziell in Deutschland vertreibt und Millionen-Umsätze generiert, pocht Dünkels Verband nachvollziehbarerweise auf die Einhaltung der hier geltenden Verbraucherrechts- und Datenschutz-Standards.

Verbraucherzentrale vs Niantic: Schicksal der Nutzerdaten fraglich

Dass eine App wie Pokémon Go massenhaft Standortdaten erhebt, sei gar nicht mal so sehr das Problem – schließlich sei das für viele Apps erforderlich, vom Routenplaner bis zur Jogging-App. Der Knackpunkt besteht nur darin, dass sich Niantic das Recht herausnimmt, diese Daten zu einem späteren Zeitpunkt für „Sonderzwecke“ wie Werbung oder Promotion-Aktionen zu nutzen – auch dann, wenn dies derzeit in den AGBs noch anders formuliert ist. Dünkel spricht hier von einer „eindeutigen Zweckbindung“, die für den Verbraucher ersichtlich sein muss, wenn er sich auf das Abenteuer Pokémon Go einlässt.

Denn: Niantic mag derzeit nichts Böses im Schilde führen, wenn es um die Verwendung der Daten geht. Doch bei einem potenziellen Verkauf des Unternehmens an Amazon, Facebook, Google, Microsoft oder einen anderen Anbieter kämen auch die Nutzerdaten in neue Hände. Ein Antrag auf Löschung der gesammelten Daten ist so gut wie aussichtslos.

Prinzipiell ist Pokémon Go kostenlos nutzbar. Allerdings lässt sich der Spielfortschritt durch Gegenstände im Ingame-Shop beschleunigen – diese Items sind überwiegend kostenpflichtig. Niantic schließt jede Rückerstattung aus und nimmt sich auch das Recht heraus, den Nutzungsvertrag abzuändern und den Dienst ganz einzustellen – ohne dass daraus Ansprüche erwachsen. Wer über Wochen und Monate hinweg 50, 100, 200 oder mehr Euro in die App investiert, könnte im schlimmsten Fall ohne Vorwarnung nicht mehr auf das Spiel zugreifen. Eine Gewährleistung oder Haftung wäre ausgeschlossen.

Pokémon Go: Was passiert, wenn Niantic nicht einlenkt?

Aus den Erfahrungen in vergleichbaren Fällen leitet Heiko Dünkel ab, dass Niantic sich bis zur letzten Minute Zeit lässt mit einer Erwiderung auf die Abmahnung. Wie die Reaktion konkret aussieht, ist offen. Denkbar ist, dass Niantic in einzelnen Punkten einlenkt und die AGBs in Details nachbessert. Nicht ausgeschlossen ist auch, dass Niantic die Abmahnung als unbegründet zurückweist. In allen Szenarien muss der Bundesverband entscheiden, wie er weiter verfährt und ob tatsächlich Klage erhoben wird.

Leichtfertig wird man diesen Schritt nicht gehen, denn das Verfahren kann sich in die Länge ziehen und erhebliche Kosten verursachen. Kommt es tatsächlich zu Klage nebst Prozess, ist jeder Steuerzahler mit Centbruchteilen beteiligt. Denn die Organisation mit Sitz in Berlin-Kreuzberg finanziert sich zu 97 Prozent aus Mitteln des Bundesjustizministeriums, der Rest stammt aus Dienstleistungsgebühren und Mitgliedsbeiträgen.

Update vom 24. Oktober 2016: Niantic hat eingelenkt und die Unterlassungserklärung unterschrieben. Bis Jahresende sollen die AGBs entsprechend überarbeitet werden.