Kein Tag ohne besorgniserregende Nachrichten aus Istanbul und Ankara. Und ausgerechnet in diesem Jahr heißt das Gamescom Partnerland Türkei – Petra Fröhlich kommentiert.

Die Türkei ist das offizielle Partnerland der Gamescom 2016.
Die Türkei ist das offizielle Partnerland der Gamescom 2016.

[no_toc]Ein gescheiterter Putsch mit 300 Toten und 1.400 Verletzten. Ein mutmaßlich noch mehrere Monate andauernder Ausnahmezustand. Massive Einschränkungen der Versammlungs- und Pressefreiheit. Die Entlassung von Zigtausenden Richtern, Beamten und Lehrern. Ausreiseverbote für Akademiker. Diskussionen um die Wiedereinführung der Todesstrafe – so präsentiert sich die Türkei im Juli 2016. Das Gebaren des türkischen Präsidenten Erdogan gab schon zuvor Anlass zu großer Sorge, nun droht dem Land der Rückfall in nicht für möglich gehaltene Zeiten. Binnen weniger Tage hat sich der NATO-Partner und EU-Beitrittskandidat zu einem Brennpunkt entwickelt – und das inmitten von islamistischem Terror und anhaltendem Flüchtlingsstrom.

Vor dem Hintergrund dieser Gemengelage gibt es logischerweise weit wichtigere und gravierendere Themen als die Frage, wie mit dem diesjährigen Gamescom-Partnerland Türkei umzugehen sei, zumal die Vereinbarung schon im Herbst vergangenen Jahres getroffen wurde. Trotzdem wäre es verkehrt, schlichtweg zur Tagesordnung überzugehen. Denn wie wir spätestens in den vergangenen Tagen gelernt haben, ist in der Türkei nur eines sicher: nämlich, dass nichts sicher ist – noch nicht einmal das.

Gamescom Partnerland Türkei: „Hoch interessanter Partner“

Tugbek Olek ist der Vorsitzende des türkischen Games-Verbands TOLEG, dem Partner der diesjährigen Gamescom (Foto: KoelnMesse).
Tugbek Olek ist der Vorsitzende des türkischen Games-Verbands TOLEG, dem Partner der diesjährigen Gamescom (Foto: KoelnMesse).

Noch vor einer Woche – einem Tag vor dem Putschversuch – zeigten KoelnMesse, BIU und der türkische Entwicklerverband TOGED demonstrative Gelassenheit bei der traditionellen Gamescom-Pressekonferenz. Bei den Ansprachen wurden die gewohnten Höflichkeits-Kränze gebunden: Die dynamisch wachsende Games-Branche der Türkei sei ein „hoch interessanter Partner“, Games seien in der Türkei ein Alltagsmedium, das insbesondere die überdurchschnittlich junge Bevölkerung anspreche. Noch im November pries der damalige TOGED-Vorsitzende Ali Erkin die „große Unterstützung der türkischen Regierung“, die zu einer Verdoppelung des Marktes geführt habe. Unter anderem hieß es damals: „Die türkische Regierung hat dem Verband, der zunächst unter dem Namen DOGED auftrat, die offizielle Genehmigung erteilt, den Landesnamen der Türkei in seiner Bezeichnung zu führen und die Branche des Landes zu vertreten.“ Das türkische Wirtschaftsministerium und mehrere Behörden unterstützen die Aktivitäten von TOGED nach Kräften.

„Gerade in diesen Zeiten“ brächte die Gamescom mit dem Partnerland Türkei zum Ausdruck, dass Games ein internationales Medium seien, das Grenzen überschreite und Menschen weltweit miteinander verbinde – so BIU-Chef Schenk. TOGED-Chef Tugbek Ölek beschwor bei der Pressekonferenz die „vereinigende Kraft der Videospiele“: „Wenn Entwickler aus allen Ecken der Welt daran glauben, dass wir in Eintracht zusammenleben können, wenn sie Respekt für fremde Kulturen entwickeln und wenn sie eine gemeinsame Sprache benutzen, wird sich dies ohne Zweifel auch auf die Spieler auswirken.“

Gamescom Partnerland Türkei: Business as usual?

Gamescom Partnerland Türkei: Seit dem Putschversuch am 15. Juli 2016 verändert sich das Land dramatisch (Foto: Julian Nitzsche/CC-BY-SA 4.0)
Gamescom Partnerland Türkei: Seit dem Putschversuch am 15. Juli 2016 verändert sich das Land dramatisch (Foto: Julian Nitzsche/CC-BY-SA 4.0)

Sollte ein Land wie die Türkei in dieser kritischen Phase wirklich Partnerland der Gamescom sein? Oder gilt das Motto „Jetzt erst recht“ – allein schon aus Solidarität mit den dortigen Entwicklern? Im Netz wird unter anderem die Position vertreten, Games und Politik seien strikt voneinander getrennt zu betrachten. Doch das springt zu kurz, denn hier geht es eben nicht nur um ein paar launige Mobile-Games, sondern ums Geschäft – nicht umsonst ist die Türkei in der Business-Area der Gamescom präsent. Auch die völlig zu Recht geführten Debatten um die Austragungsorte von Fußball-Weltmeisterschaften und Olympischen Sommer- und Winterspielen in Menschenrechts-technisch nicht unumstrittenen Länden wie Russland, China oder Katar zeigen, dass sich gerade der Völker-verbindende Sport nicht frei machen kann und darf vom politischen Umfeld. Gleiches muss für die weltgrößte Computerspielmesse gelten. Denn Veranstaltungen und Kooperationen wie diese dienen immer auch PR-Zwecken und der Profilierung des entsprechenden Landes – und dessen Regierung. 500 Quadratmeter misst der Stand der türkischen Verbände in Halle 3.2 der Gamescom 2016 und ist damit der größte aller Länder-Pavillons.

Gamescom Partnerland Türkei: Bezieht Position!

Der türkische Games-Verband TOGED verurteilt in einem offiziellen Statement den Putschversuch.
Der türkische Games-Verband TOGED verurteilt in einem offiziellen Statement den Putschversuch.

Drei Tage nach dem gescheiterten Putschversuch veröffentlichte der türkische Entwicklerverband eine Erklärung auf der Website. Darin spricht der Verband den Angehörigen der beim Putsch Getöteten sein Beileid aus. Auf Schärfste wird der Versuch verurteilt, den Frieden und die „Einheit der demokratischen Ordnung“ zu untergraben.

Von den Gamescom-Ausrichtern ist bislang kein einziges öffentliches Wort der Solidarität in Richtung der Bevölkerung des Partnerlandes laut geworden – von Kritik mit Blick auf das täglich zu besichtigende Unrecht ganz zu schweigen. Die Gamescom-Veranstalter täten gut daran, vor und während der Messe nicht nur die Wachstumsraten der türkischen Gamesbranche herunterzubeten. Vielmehr sollten sie auch den Mumm haben, eindeutig Position zu beziehen.

Hayırlı olsun, Türkiye!