Start Meinung Gollum: Mit Flip-Flops auf den Schicksalsberg (Fröhlich am Freitag)

Gollum: Mit Flip-Flops auf den Schicksalsberg (Fröhlich am Freitag)

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Der Herr der Ringe: Gollum ist seit dem 25. Mai 2023 auf dem Markt (Abbildung: Daedalic Entertainment)
Der Herr der Ringe: Gollum ist seit dem 25. Mai 2023 auf dem Markt (Abbildung: Daedalic Entertainment)

The Lord of the Rings: Gollum sollte auf die Image-Werte von Daedalic Entertainment und dem Games-Standort Deutschland einzahlen. Eigentlich.

Verehrter GamesWirtschaft-Leser,
verehrte GamesWirtschaft-Leserin,

es ist nicht überliefert, ob die wackere Belegschaft der Daedalic Entertainment GmbH in Hamburg dem 25. Mai 2023 entgegengefiebert oder eher entgegengefröstelt hat. Denn seit diesem Donnerstag ist Der Herr der Ringe: Gollum für PC, Xbox und PlayStation auf dem Markt – endlich, muss man sagen, denn das Action-Abenteuer war schon für 2021 geplant. Und für 2022. Und für Anfang 2023.

Ursprünglich sollte mit der Produktion und Vermarktung von Spielen zu weltweit bekannten Premium-Lizenzen wie The Lord of the Rings „der Bekanntheitsgrad der Marke Daedalic Entertainment“ gesteigert werden. Dieser Plan ist fraglos aufgegangen, soviel lässt sich mit Blick auf die Twitter-Trends schon jetzt sagen. Wenngleich anders, als vorgesehen.

Denn die Rezensionen, da muss man nicht um den heißen Brei rumreden, fallen unterirdisch aus. Ebenso die Urteile der Social-Media-Scharfrichter, die jenseits von Schwarz und Weiß ohnehin keine Grautöne kennen: „War so klar.“

In den vergangenen 24 Stunden hat die internationale Fachpresse alle negativ konnotierten Herr der Ringe-Zitate einmal komplett durchgespielt – und zwar in sämtlichen Weltsprachen. Außer Elbisch.

Fröhlich am Freitag - die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft
Fröhlich am Freitag – die wöchentliche Kolumne bei GamesWirtschaft

In den wesentlichen Kritikpunkten ist man sich in diesem Abschnitt der Milchstraße einig wie selten. Zu linear, zu hakelig, zu stumpf, zu fehlerbehaftet – und überhaupt sei der technische Standard einem 60-€-Spiel des Jahres 2023 nicht angemessen. Denn in dieser Gewichtsklasse heißen die Mitbewerber und Benchmarks nun mal God of War Ragnarök, Hogwarts Legacy und The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom. Die Kaufkraft der Zielgruppe ist endlich.

Bei der PC-Version fallen zudem die Hardware-Anforderungen astronomisch aus – anlassfrei. Selbst die Gelehrten der Fachblätter stehen vor einem Rätsel.

Nun ist Der Herr der Ringe: Gollum kein gewöhnliches Produkt, sondern eines der teuersten und aufwändigsten PC- und Konsolenspiele, die die Bundesrepublik seit langem hervorgebracht hat. Man muss weit in den Annalen zurückblättern, um ein Spiel zu finden, bei dem ein deutsches Studio an und mit solchen Lizenzen arbeiten durfte. Noch weiter muss zurückblättern, wer auf ein Produkt stoßen will, das von Presse und Publikum derart heftig verprügelt wurde.

Was zwangsläufig die Frage aufwirft: Wie kann sowas eigentlich einem Traditions-Unternehmen passieren, bei dem mehr Computerspielpreis-Trophäen in der Vitrine stehen als bei jedem anderen Entwickler des Landes? Für das der französische Publisher Nacon vor 15 Monaten 53 Millionen € auf den Tisch gelegt hat? 32 Millionen € cash bei Unterschrift, der Rest abhängig von den Einnahmen bis einschließlich 2026. Eine Lex Gollum, wenn man so will.

Die Seriensieger beim Deutschen Computerspielpreis bis 2022 (Stand: 22. Februar 2023)
Die Seriensieger beim Deutschen Computerspielpreis bis 2022 (Stand: 22. Februar 2023)

Ein Unfall kann nach Lage der Dinge ausgeschlossen werden. Auf der Management-Brücke von Daedalic stehen gestandene Unternehmer mit jahrzehntelanger Expertise auf allen Weltmeeren. Auch mit weit weniger Erfahrung lassen sich Textur-Qualität, Animationen und Gamepad-Steuerung binnen Minuten seriös einordnen.

Bleibt als wahrscheinlichste Variante das Ende des Haltbarkeitsdatums. Jeder Entwickler weiß: Selbst beim ambitioniertesten Spiel muss man irgendwann los lassen, genauso wie beim Manuskript für überfällige Diplomarbeiten oder Powerpoint-Präsentationen. Es hätte wenig gebracht, die Veröffentlichung weitere sechs, zwölf, achtzehn Monate rauszuschieben, weil die Spielmechanik nun mal so ist, wie sie ist. Schon die ersten Terminverlegungen wurden ja mit dem Ziel einer „best possible experience“ begründet.

Wer es darauf anlegt, könnte Gollum nun als Beleg dafür heranziehen, was so alles schief läuft am Games-Standort Deutschland. In einem Land, in dem zwei Drittel der Spiele-Studios ihre eigene internationale Wettbewerbsfähigkeit als „eher schlecht“ oder „schlecht“ bewerten. In einem Jahrgang, der von Die Siedler: Neue Allianzen eingeläutet wurde. Und der uns jetzt Gollum geschenkt hat.

Doch das springt zu kurz. Denn Gollum ist in jeder Hinsicht abseits der Norm.

Auch als Lackmustest für die Games-Förderung taugt Gollum nicht – denn der Steuerzahler war finanziell gar nicht beteiligt. Das wird sich erst mit Daedalics nächstem Herr der Ringe-Spiel ändern, das seit Juni 2022 entwickelt wird und Ende 2024 vom Band laufen soll. Der Spieler wird abermals „in eine üppige Welt voller mythischer Wesen und Zauber“ entführt – in der analog zu Gollum eine „Geschichte aus der Perspektive eines Charakters erzählt, die so noch nicht erzählt wurde“. Gimli, Gandalf, Grima Schlangenzunge – man weiß es nicht.

Habecks Wirtschaftsministerium wird zum Gelingen dieses 3D-Action-Adventures exakt 2.036.663 € beisteuern. Die Redaktions-Datenbank verrät: Es gab seit 2019 nur fünf Spiele, die einen höheren Zuschuss vom Bund erhalten – vier davon deutsche Embracer-Group-Töchter mit einem Gesamtvolumen von 13,5 Mio. €, darunter das neue Rollenspiel von Piranha Bytes.

Der erfolgreiche Abschluss all dieser und weiterer Großprojekte wie Atlas Fallen, Park Beyond, Enshrouded oder Tropico 7 wäre nicht nur wichtig fürs Renommee, sondern noch viel mehr fürs gesamte Ökosystem – für den Arbeitsmarkt, für Dienstleister, Freelancer und als Sparringspartner von Hochschulen.

Denn in den vergangenen zehn Jahren ist es nur ganz wenigen Studios gelungen, in die Riege der etablierten Mittelständler vorzustoßen. Corona-Sonderkonjunktur und Förder-Millionen kaschieren strukturelle Probleme, die dazu führen, dass offiziell Fachkräfte fehlen, der Arbeitsmarkt aber bestenfalls stagniert. ‚Umstrukturierungen‘ passieren leise.

Und wenn es stimmt, dass an der Börse die Zukunft gehandelt wird, dann sollte man mit Rücksicht auf den Blutdruck besser nicht ins Depot gucken: Die börsennotierten Mutterkonzerne vieler deutscher Studios sind 20, 30, 40 Prozent weniger wert als noch vor ein paar Monaten. Der Kurs der Embracer Group, an der die halbe Branche direkt oder indirekt hängt und die als Lizenzgeber an allen Herr der Ringe-Spielen partizipiert, ist in den letzten 48 Stunden um mehr als die Hälfte eingebrochen; Milliarden-Bewertungen verdampften wie Softeis im Freibad. Budgets und Risikobereitschaft werden dadurch nicht steigen.

Um so dringender bräuchte die deutsche Games-Industrie zeitnah vorzeigbare PC- und Konsolen-Spiele mit möglichst hohem production value, um Zauderern, Zweiflern und Nörgelfritzen zu beweisen: Geht doch. Könnwer. Mehr Hunt: Showdown wagen.

Es wird nicht reichen, punktuelle Akzente in einem Gewerbe zu setzen, in dem in Deutschland zuletzt mehr als fünfeinhalb Milliarden Euro allein für Vollpreis-Spiele und In-Game-/In-App-Käufe ausgegeben wurden. Solange ein PlayStation Showcase ohne Games aus Germany auskommt, ist Luft nach oben.

Denn bei aller Sympathie und Wertschätzung für Indie-Games: Die Nation sollte sich besser nicht darauf verlassen, dass Menschen den Pfad der selbstgewählten Selbstausbeutung beschreiten und als Solo-Entwickler im stillen Kämmerlein das nächste Minecraft oder das nächste Chained Echoes zusammenklöppeln. Das kann klappen, aber dafür braucht es eben den gar nicht mal so häufigen Mix aus Talent, Ehrgeiz, Durchhaltevermögen, perfektem Timing – und Glück. Viel Glück.

Wenn es voran gehen soll mit dem Standort Deutschland, wird man zwingend beides brauchen – ambitionierte Titel von Ein-Zwei-Drei-Mann-/Frau-Studios und Großproduktionen. Und alles dazwischen. Und natürlich ganz fest gedrückte Däumchen, dass Entwickler von Online-, Browser- und Mobilegames den Laden stabil am Laufen halten – auch wenn es für deren Handwerk selten Applaus gibt und noch seltener einen Computerspielpreis.

Dass The Lord of the Rings: Gollum dem Daedalic-Trophäenschrank weitere solcher Computerspielpreise hinzufügt, ist seit gestern natürlich nicht wahrscheinlicher geworden. Aber so wie ich die Hamburger kenne, wird man die Krönchen richten und weiterhin das machen, was man in den letzten 16 Jahren gemacht hat: große Räder drehen, substanzielle Wetten eingehen, auf der Rasierklinge surfen.

Dem Team, das so viele Jahre gemeinsam an diesem Projekt gewirkt hat, ist jetzt zu wünschen, dass keine Fliehkräfte einsetzen. Sondern dass aus dem Blick in den Steam- und Metacritic-Abgrund die richtigen Lehren gezogen werden. Auch wenn die Erstbesteigung des Schicksalsbergs vorerst gescheitert ist.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Petra Fröhlich
Chefredakteurin GamesWirtschaft

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3 Kommentare

  1. > Denn bei aller Sympathie und Wertschätzung für Indie-Games: Die Nation sollte sich besser nicht darauf verlassen, dass Menschen den Pfad der selbstgewählten Selbstausbeutung beschreiten und als Solo-Entwickler im stillen Kämmerlein das nächste Minecraft oder das nächste Chained Echoes zusammenklöppeln. Das kann klappen, aber dafür braucht es eben den gar nicht mal so häufigen Mix aus Talent, Ehrgeiz, Durchhaltevermögen, perfektem Timing – und Glück. Viel Glück.

    Ist ja nicht so, als ob Daedalic nicht ohnehin für die Ausbeutung von Praktikanten bekannt ist. Immerhin gab es da entsprechende Skandale. Die bei weitem aber nicht das einzige Unternehmen sind welches so arbeitet, ich kenne eine ganze Reihe an Unternehmen in der Indie-Szene, die ihr Geschäftsmodell auf dem Rücken von unbezahlten Fachkräften aufbauen. Silent Future, TxK Gaming Studios oder Secret Item Games um mal ein paar zu nennen. Letztere erwarten in einer aktuellen Stellenausschreibung Hochglanzreferenzen für ein unbezahltes Praktikum .. Lächerlich!

    Ich weiß nicht wo diese „ihr finanziert mir jetzt mal meinen Traum davon Unternehmen zu spielen“-Mentalität plötzlich herkommt aber da braucht ihr euch alle nicht zu wundern warum niemand mehr in diesen Ausbeuterbetrieben arbeiten will. Fachkräftemangel? Nein! Wir haben keinen Fachkräftemangel, viel mehr haben die jungen Generationen einfach keine Lust mehr sich für den Traum eines anderen ausbeuten zu lassen, ein feuchter Händedruck und die nächsten unbezahlten Praktikanten stehen schon brav spalier. Anstatt Fachpersonal aus dem Ausland zu holen sollten die Firmen mal lieber anfangen die Resourcen vor Ort nicht nur zu nutzen und dann weggzuwerfen sondern wertzuschätzen. Eine Wertschöpfungskette funktioniert nicht ohne Wertschätzung und so gut der Markt für Arbeitnehmer in der Pandemie auch war, so schlecht ist er in der aktuellen Rezession.

    Und bezüglich der Erwartungshaltung ist das auch ein ziemliches Thema bei Unternehmen. Man bezahlt zwar keine Überstunden aber man erwartet das ja, weil es dem Team gegenüber fair ist. Genau so erwartet man als Arbeitgeber ja auch, dass sich die Arbeitnehmer für die Firma aufreiben, immerhin ist man ja so gnädig und gib den Mitarbeitern die Changse an einem Spiel zu arbeiten…

    Ich halte an meiner Prognose fest, den Gamesstandort Deutschland wird es in weniger als 10 Jahren nicht mehr geben. Einfach und alleine deswegen weil die ansässigen Firmen nicht nur viel zu sehr auf ihren eigenen Profit aus sind und dafür die Mitarbeiter teilweise ausbeuten, sondern auch weil die Produkte keine Spiele mehr sind sondern lediglich 08/15 Unterhaltung. Wenn es aussieht wie Scheiße und riehct wie Scheiße, dann ist es in der Regel auch Scheiße – ungeachtet dessen, ob da jetzt ein Ubisoft Aufkleber drauf ist oder nicht – Scheiße bleibt am Ende Scheiße!

  2. Ein gutrecherchierter, gut geschriebener, faktenreicher und interessanter Artikel.
    Vielen Dank dafür!

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