Der Soundtrack zu Gothic und Risen stammt aus seiner Feder: Warum Kai Rosenkranz seinen Job bei Articy:Draft an den Nagel hängt und sich ganz der Musik verschreibt.

[no_toc]Irgendwo auf diesem Planeten warten derzeit knapp zwei Dutzend Menschen auf Unterhosen mit mehr oder minder ironisch gemeinten Aufdrucken wie „Long Sword“, „Free2play“ oder „Short Sword“. Sie gehören zu den mehr als 470 Unterstützern, die im August und September 2014 binnen weniger Wochen über 40.000 Dollar zusammengelegt haben, größtenteils über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter.

Das Geld floss in die Produktion von „Journey Home“, einem Musik-Album von Games-Komponist Kai Rosenkranz. Bei Erreichen bestimmter Dollar-Marken („Stretch-Goals“) wurden zusätzliche Qualitäts-Updates freigeschaltet, etwa ein Musik-Video, die Mitwirkung eines leibhaftigen Streich-Quartetts oder gar eines kompletten Orchesters.

Sämtliche dieser Ziele wurden erreicht. Der Haken: Das Album ist noch nicht fertig – der ursprünglich angepeilte Termin „April 2015“ ist längst verstrichen. Kein Wunder, dass die Fans zunehmend ungeduldiger werden und sich in Foren und sozialen Medien um ihren Vorschuss sorgen. Insbesondere jene, die 30, 50, 100, 200 oder noch mehr Dollar investiert haben und seitdem sehnsüchtig auf Download-Links, signierte Musik-CDs, T-Shirts, Camping-Ausflüge, Vinyl-Pressungen, Picknick-Decken und Unterhosen warten.

Je nach Spendensumme sicherten sich die Unterstützer von "Journey Home" unterschiedlich üppige Belohnungspakete.
Je nach Spendensumme sicherten sich die Unterstützer von „Journey Home“ unterschiedlich üppige Belohnungspakete.

Kai Rosenkranz: Kickstarter, Journey Home, Zukunftspläne

Im Juni 2016 dann ein Update unter der Überschrift „I’m alive!“: Der Tonmeister hatte sich aus dem Projekt verabschiedet, Kai Rosenkranz übernahm zusätzlich dessen Post-Production – eine Aufgabe, in die er sich nach eigenen Worten erst einarbeiten musste.

Die Mehrfachbelastung durch den Hauptjob beim Games-Tools-Hersteller Articy (früher: Nevigo), die aufwendigere Produktion von „Journey Home“ plus Familie ließen Rosenkranz an die Grenzen seiner Kräfte stoßen. Eine Phase, die seinen kreativen Output auf nahe Null reduziert hat – und über die er zuletzt bei einem Vortrag während der Berliner Games Week referierte.

Aktuelles Fertigstellungsdatum von „Journey Home“: Frühjahr 2017, also zwei Jahre nach dem ursprünglichen Termin. Auf Rosenkranz‘ Website kann man sich über den Status der Songs informieren. Als kleine Wiedergutmachung verspricht der Komponist eine Zugabe in Form der Soundtracks zu „Aquanox“ und „The Long Journey Home“ – zwei Spielen, zu denen er derzeit die Musik produziert.

Anfang Oktober 2016 gab Kai Rosenkranz bekannt, dass er seine Aufgaben bei Articy noch in diesem Jahr aufgeben und sich voll auf die Musik konzentrieren wird. Im GamesWirtschaft-Interview erzählt er von seinen Zukunftsplänen.

Kai Rosenkranz: „Journey Home ist vollständig komponiert und arrangiert.“

GamesWirtschaft: Kai, vor zwei Jahren hast du mit „Journey Home“ eine vielbeachtete Crowdfunding-Kampagne hingelegt, alle Zielmarken wurden erreicht. Was indes fehlt, ist das fertige Album. Wie ist der aktuelle Status?

Rosenkranz: Journey Home ist vollständig komponiert und arrangiert. Die Orchesteraufnahmen sind beendet und ich bin gerade dabei, die vielen einzelnen Aufnahmen, also die „Takes“, zu bearbeiten und zusammenzuschneiden. In den nächsten Wochen finden noch einige Solo-Aufnahmen statt, die ich auch wieder mit einer Video-Serie dokumentiere.

Bis Ende des Jahres ist dann hoffentlich der musikalische Teil erledigt, dann kommt Mix und Mastering. Als Entschädigung für die Wartezeit erhalten die Backer zusätzlich zum Album „Journey Home“ auch besondere Editionen der Soundtracks zu „The Long Journey Home“ und „Aquanox“, da meine Mitwirkung an diesen beiden Games meinen Zeitplan durcheinander gewirbelt hat. Anstelle einer Stunde Musik erhalten sie also mehr als zwei Stunden.

Angepeilt ist Frühjahr 2017. Einen genauen Termin kann ich noch nicht nennen, weil unter Umständen noch Aufgaben bei „Aquanox“ oder „The Long Journey Home“ dazwischen kommen. Die digitalen Versionen werden aber definitiv sofort verschickt, wenn sie fertig sind. Die physischen Belohnungen kommen dann alle gemeinsam etwas später.

Kai Rosenkranz: „Wir haben meinen Ausstieg gut vorbereitet.“

Du hast 2009 die Nevigo GmbH mitgegründet – heute die Articy Software GmbH. Kannst du einige Beispiele von Studios nennen, die mit euren Tools entwickeln – und welche Spiele derzeit damit entstehen?

Articy:draft ist ein Werkzeug zur Gestaltung von interaktiven Geschichten und Quest- und Missions-Strukturen. Es wird international in kleinen und großen Studios eingesetzt. Zu unseren Kunden zählen dementsprechend Rollenspiel-Schmieden wie CD Projekt RED („Cyberpunk 2077“) oder BioWare („Star Wars: The Old Republic“). Aber auch Supermassive Games mit „Until Dawn“ ist ein gutes Beispiel, mit seiner sich stark verzweigenden Story.

Bei Ubisoft kam unser Tool schon in mehreren Titeln zum Einsatz, zuletzt bei „Assassin‘s Creed: Identity“ von Blue Byte. Daedalic arbeitet derzeit mit articy:draft an „State of Mind“ und THQ Nordic an „Spellforce 3“. Es gibt aber auch eher ungewöhnliche Kunden, wie zum Beispiel EA Sports. Wir wissen nicht genau, wofür sie articy:draft einsetzen, aber es könnte die dynamische Karrieren-Entwicklung in „FIFA 17“ sein. Ich könnte ewig weiter aufzählen.

Articy:draft hilft den Entwicklern dabei, den Überblick über das Netzwerk der Spieler-Entscheidungen und Auswirkungen zu behalten. Außerdem nutzen viele Hochschulen articy:draft in ihren Game-Design-Kursen, um einen Überblick über verschiedene Design-Disziplinen zu bieten und den Studenten ein mächtiges Werkzeug für ihre Praxisprojekte an die Hand zu geben.

Wie wird es bei Articy nach deinem Ausstieg zum 1. November weitergehen? Wer wird deine Aufgaben übernehmen, mit welchen Produkten soll sich die Firma weiterentwickeln?

Wir haben meinen Ausstieg in den vergangenen Wochen gut vorbereitet. Zu meinen Haupttätigkeiten zählten das Produktdesign und Teile des Marketings – und für beide Bereiche gibt es bereits eingespielte Kollegen im Team, die meine Aufgaben übernehmen. Julius Kuschke gestaltet schon seit 6 Jahren gemeinsam mit mir die Features von articy:draft. Er wird das nun federführend vorantreiben. Im Marketing hat Peter Thielmann meine Aufgaben schon seit längerem übernommen.

Außerdem stehe ich Nevigo als Freiberufler weiterhin zur Verfügung und freue mich, auch bei zukünftigen Entwicklungen noch als Externer mit dabei sein zu können.

Für die zukünftigen Produkte haben wir traditionell viel mehr Ideen, als wir bisher umsetzen konnten. Da mache ich mir also keine Sorgen. Einer der nächsten Schritte wird sein, unsere Produkte zugänglicher und selbsterklärender zu gestalten und auch Endkunden besser anzusprechen. Unsere Hobby-Version auf Steam findet guten Anklang, deshalb wollen wir unsere Produkte für diesen Markt noch besser ausstatten. Du siehst, ich sage immer noch „wir“, und das wird wohl auch noch eine Weile so bleiben.

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Kai Rosenkranz: „Es war sofort klar, dass ich Musik und Sound beitragen muss.“

Aus welchen Gründen hast du für dich entschieden, Articy zu verlassen und dich ab 1. November – wieder – voll auf die Musik zu konzentrieren?

Ich habe den Großteil meiner inzwischen 20jährigen Laufbahn als Spiele-Komponist gearbeitet. Zwölf Jahre lang war ich bei Piranha Bytes für die akustische Untermalung der „Gothic“-Serie verantwortlich, „Risen 1“ war mein letzter Titel als Game-Musikus. Ich habe auch bei Piranha Bytes neben Musik, Sound und Visual Effekts auch schon Tools entwickelt, was nicht viele Leute wissen.

Die Nevigo habe ich ins Leben gerufen, weil ich etwas Eigenes aufbauen wollte. „Tools & Middleware“ erschien mir als das vielversprechendere Geschäftsfeld als Musikproduktion, deshalb habe ich mich von der Musik abgewandt und Entwicklungs-Werkzeuge entworfen. Das hat auch viele Jahre lang gut geklappt, aber 2014 habe ich mich mit meiner Kickstarter-Kampagne „Journey Home“ auf den Weg zurück zu meinen Wurzeln gemacht. Dadurch spielt Musik wieder eine größere Rolle in meinem Leben, und die alte Leidenschaft ist neu entfacht. Inzwischen bin ich so sehr wieder mit ganzem Herzen Komponist, dass es kein Zurück mehr gibt.

Deine ersten Auftraggeber sind Daedalic mit The Long Journey Home und THQ Nordic mit Aquanox Deep Descent. Wie kam die Zusammenarbeit in beiden Fällen zustande – und was genau wirst du zu den Spielen beitragen?

Beide Projekte gehen auf langjährige persönliche Beziehungen zurück. Mit Andreas Suika, dem Creative Director von “The Long Journey Home“, verbindet mich eine enge Freundschaft. Am Tag meines Kickstarter-Launches für „Journey Home“ rief er mich an und fragte mich, wieso ich mein Album ausgerechnet „Journey Home“ nennen musste. Er erzählte mir von seinem Projekt, das auch für ihn eine persönliche Heimreise ist. Es war sofort klar, dass ich Musik und Sound beitragen muss.

Mit Reinhard Pollice von THQ Nordic verbindet mich ebenfalls eine langjährige Freundschaft, die aus der gemeinsamen Community-Arbeit für „Gothic 3“ (JoWooD) entstand. Mit „Aquanox Deep Descent“ fand sich dann ein geeigneter Titel für eine Zusammenarbeit. Auch hier steuere ich Musik und Sound-Effekte bei.

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The Long Journey Home steht ja kurz vor der Veröffentlichung. Gibt es schon neue Projekte, auch mit Blick auf 2017?

Zu den geplanten Veröffentlichungsterminen der beiden Projekte kann ich nicht viel sagen. Außer: Ich bin mit Musik und Sound jedenfalls noch nicht fertig. Ab Anfang 2017 suche ich noch Projekte. Vielleicht wird ja durch dieses Interview jemand auf mich aufmerksam. Das wäre ganz großartig (E-Mail an Kai Rosenkranz schreiben).

Kai Rosenkranz: „Der Markt ist definitiv schwierig.“

Du bist ja bekannt als Spezialist für epische Soundtracks, die viel zur Atmosphäre beitragen. Gibt es Genres oder Settings, die dich als Komponist besonders reizen würden?

Mit „Gothic“ und „Risen“ konnte ich mich im Bereich Fantasy gut austoben. „The Long Journey Home“ bekommt einen außergewöhnlichen, orchestralen Score, der die Emotionen der gestrandeten Crew auf ihrer Heimreise transportiert. Und für „Aquanox Deep Descent“ erstelle ich einen modernen Soundtrack mit elektronischen Elementen und schmissigen Gitarren-Riffs.

Was mich noch reizen würde, wäre etwas im Bereich Märchen oder Abenteuergeschichten. Verträumte, mythische, vielschichtige Arrangements, oder antreibende Indiana-Jones-Themen. Oder was mit Piraten! Aber natürlich bin ich offen für alle Arten von Projekten. Ich mag es, neue Stilrichtungen zu erforschen und mich weiter zu entwickeln.

Wie beurteilst du den „Markt“ für Games-Musik und Soundeffekte? Gibt es hier einen harten Konkurrenzkampf um Aufträge, zumal ja auch oft inhouse produziert wird? Oder existieren hinreichend neue Projekte, um Komponisten und Teams auszulasten?

Der Markt ist definitiv schwierig. Es gibt unzählige Anbieter von Musik, und jeder einzelne steht vor der Aufgabe, aus der Masse herauszustechen. Die meisten Games-Komponisten kenne ich persönlich gut, und ich freue mich auch schon darauf, mal mit dem einen oder anderen zusammen zu arbeiten.

Für mich persönlich bedeutet der starke Konkurrenzkampf, dass ich mein Profil als „erste Wahl für emotionale Soundtracks, die Spieler berühren und zielsicher gewünschte Gefühle auslösen“ schärfe. Außerdem biete ich neben der Musik auch meine anderen Kompetenzen und kreativen Talente – also Grafikdesign, Trailer-Videoschnitt, Soundeffekte, Audio für Virtual Reality, Software-Training, Team- und Produktionsmanagement – an.

Herzlichen Dank und alles Gute für alle laufenden und künftigen Projekte!