Start Meinung Deutscher Computerspielpreis: Eine Branche kauft sich frei

Deutscher Computerspielpreis: Eine Branche kauft sich frei

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Die Preisgelder für den Deutschen Computerspielpreis 2017 steigen auf 550.000 Euro (Foto: Gisela Schober/Getty Images for Quinke Networks)
Die Preisgelder für den Deutschen Computerspielpreis 2017 steigen auf 550.000 Euro (Foto: Gisela Schober/Getty Images for Quinke Networks)

Dass es den Deutschen Computerspielpreis heute überhaupt gibt, hat auch mit dem Scheitern einer Games-Pflichtabgabe vor zehn Jahren zu tun – analysiert GamesWirtschaft-Chefredakteurin Petra Fröhlich in ihrer Kolumne.

Petra Fröhlich, Chefredakteurin GamesWirtschaft
Petra Fröhlich, Chefredakteurin GamesWirtschaft

[no_toc]Im November 2003 hat der Bundestag die Regierung aufgefordert, „Vorschläge zu prüfen, wie bei multimedialen Produkten, insbesondere Computerspielen, ein zielgruppengerechtes und qualitativ hochwertiges Angebot gesichert werden kann.“

Branchenverbände wie BIU, GAME, Bitkom oder die USK sollten einen umfangreichen Fragenkatalog beantworten – zum Beispiel, ob es überhaupt förderungswürdige Produkte gibt. Und wenn ja, wie viele.

Nach dem Regierungswechsel 2005 hat Bernd Neumann das Projekt geerbt: Der Beauftragte für Kultur und Medien legte 2007 einen Bericht „zur Sicherung eines zielgruppengerechten und qualitativ hochwertigen Angebots an interaktiven Unterhaltungsmedien“ vor.

In dem 68-Seiten-Dokument kamen die unterschiedlichsten Interessen zum Ausdruck: Aruba Events schlug zum Beispiel eine Preisgeld-Ausstattung des hauseigenen Deutschen Entwicklerpreises analog zum Deutschen Filmpreis vor – zum Start schienen 625.000 Euro angemessen.

Im Abschlussbericht heißt es: „Die im Oktober 2004 mit Publishern und Spielentwicklern aufgenommenen Gespräche gestalteten sich schwierig und langwierig, da beide Seiten zunächst fundamental gegensätzliche Positionen eingenommen hatten. Während die Spielentwickler die Einführung einer gesetzlichen Pflichtabgabe für interaktive Spiele einforderten, lehnten die Publisher diese Forderung strikt ab, erhoben gegen eine Pflichtabgabe schwerwiegende verfassungs- und europarechtliche Bedenken und drohten für den Fall ihrer Einführung mit gerichtlichen Schritten.“

Die Argumente der Games-Branche sind auf der Website des Bundestags nachzulesen.

Deutscher Computerspielpreis: Direkte Folge der Pflichtabgaben-Debatte

Der GAME Bundesverband wollte die Kompetenzen der Filmförderungsanstalt (FFA) also um das Thema Spiele erweitern und eine Games-Pflichtabgabe einführen, mit der wiederum substanzielle Spiele-Entwicklung in Deutschland finanziert wird.

Bereits 2004 hat der GAME Bundesverband eine entsprechende Abgabe ins Spiel gebracht, was unter dem Schlagwort „Sondersteuer auf Computerspiele“ auf heftigen Protest stieß. Disclaimer: Als Chefredakteurin eines großen Spielemagazins habe ich damals eine entsprechende Petition mit auf den Weg gebracht, die von Zigtausenden Spielefans begeistert unterschrieben wurde – klar: Wer will schon mehr für Spiele zahlen?

Publisher und Einzelhandel waren ohnehin strikt gegen den Plan. Der BIU argumentierte: „Zuschussbedürftige Produktionen von Inhalten mit geringen Marktchancen werden die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Anbieter negativ beeinflussen und deren Wachstum behindern. Schon heute können auch ohne Produktionskostenzuschüsse in Deutschland international konkurrenzfähige Computer- und Videospiele realisiert werden. Beispielhaft seien hier die Titel ‚Farcry‘ und das kommende Produkt ‚Crysis‘ der Frankfurter Entwickler Crytek genannt.“

Der massive Widerstand der Publisher – insbesondere von Seiten des BIU – wischte die Pläne vom Tisch. Das Vorhaben führte allerdings zur Einführung des Deutschen Computerspielpreises, der vom Bundestag im Februar 2008 beschlossen wurde. Am 26. April 2017 werden zum neunten Mal Trophäen und Preisgelder verteilt, diesmal in Höhe von 550.000 Euro.

Deutscher Computerspielpreis: Wie alles begann

Der dazugehörige Bundestags-Antrag wurde im November 2007 eingereicht, also vor fast zehn Jahren. Zu den Unterzeichnern gehörten damals solch illustre Persönlichkeiten wie …

  • der heutige DFB-Präsident Reinhard Grindel
  • die amtierende Kulturstaatsministerin Monika Grütters
  • der einstige Umweltminister Norbert Röttgen (CDU)
  • CDU-Fraktions-Chef Volker Kauder
  • der ehemalige Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU)
  • Olaf Scholz (heute Regierender Bürgermeister von Hamburg)
  • SPD-Politikerin Monika Griefahn (deren Büro vom späteren USK-Geschäftsführer und heutigem BIU-Chef Felix Falk geleitet wurde)
  • Dorothee Bär, heute Staatssekretärin im Berliner Verkehrsministerium und Jury-Vorsitzende des Deutschen Computerspielpreises.

Zu den Ergebnissen des Prozesses gehörte außerdem die Einrichtung der „Stiftung Digitale Spielekultur“, die zum Jahreswechsel 2012/13 ihre Arbeit aufgenommen hat und heute unter anderem den Computerspielpreis und den Gamescom-Award koordiniert.

Preisgeld statt Abgabe: Ist der Computerspielpreis ein echtes Förder-Instrument?

Der Deutsche Computerspielpreis (DCP), wie wir ihn heute kennen, ist also eine direkte Konsequenz aus der Debatte um eine Förderabgabe auf Computerspiele. Inwieweit der Preis wirklich Nutzen in Form von Jobs und Positiv-Image stiftet, darüber wird leidenschaftlich gestritten.

Unstrittig hingegen: Heute – zehn Jahre später – sind Deutschlands Entwicklerstudios nicht zwangsläufig in einer günstigeren Verfassung als 2007. Der Umsatz stagniert, die Beschäftigenzahlen sind rückläufig. Schon damals lag der deutsche Marktanteil der im Inland entwickelten Spiele bei fünf Prozent, also in ähnlichen Regionen wie 2016. Nach wie vor sind die Erzeugnisse der deutschen Spiele-Manufakturen „international kaum relevant„, wie es der BIU formuliert.

Dies ist kein Votum gegen den Deutschen Computerspielpreis, ganz im Gegenteil – die Auszeichnung hätte ein finanzielles Upgrade mehr als nötig, wenn sie mittelfristig die Strahlkraft eines Filmpreises entfalten will. Als wirksames Förder-Instrument ist der DCP allerdings nur nachgelagert von Relevanz, schließlich wird er gewissermaßen posthum verliehen, wenn das Spiel längst vom Hof ist. Bei der Aufstellung eines Business-Plans spielt ein möglicher DCP-Gewinn (hoffentlich) keine Rolle – und bis die Preisgelder ausbezahlt werden, vergehen viele Monate.

Deutscher Computerspielpreis: Daedalic führt mit weitem Abstand das Ranking der DCP-Seriensieger an.
Deutscher Computerspielpreis: Daedalic führt mit weitem Abstand das Ranking der DCP-Seriensieger an.

 

Filmförderung verteilt Geld in dreistelliger Millionenhöhe

Dennoch: Games-Förderung findet natürlich statt, allerdings nur auf regionaler und auf europäischer Ebene. Nach GamesWirtschaft-Berechnungen wurden in den vergangenen Jahren rund 15 Millionen Euro an deutsche Entwickler ausgeschüttet, verteilt auf knapp 300 Projekte.

Umgekehrt kann die Filmbranche aus dem Vollen schöpfen – künftig mehr denn je. Dort werden für heimische Kino-Projekte wie „Fack Ju Göhte 2“ oder „Honig im Kopf“ regelmäßig Millionenbeträge locker gemacht. Nach den Plänen der Kultus-Beauftragten Monika Grütters stehen ab 2018 sagenhafte 150 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung, alleine von Seiten des Bundes.

Dass die Film-Fördertöpfe von Bund und Ländern so üppig gefüllt sind, hat nicht zuletzt mit der sogenannten Filmabgabe zu tun. Multiplex-Kinos, Fernsehsender, Bluray-Verkäufer und Pay-TV-Anbieter zahlen im Schnitt zwei bis drei Prozent des Umsatzes an die Filmförderungsanstalt (FFA).

Das zugrundeliegende Filmförderungsgesetz hat das Bundesverfassungsgericht erst im Jahr 2014 für verfassungsgemäß erklärt – soviel zum Thema „schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken“.

Eine analoge Abgabe für den Games-Bereich haben BIU und Handel im Jahr 2007 erfolgreich verhindert – siehe oben. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, in welcher prachtvollen Lage sich die deutsche Entwickler-Szene befände, wäre das Vorhaben umgesetzt worden.

Wo bleibt der Beitrag internationaler Publisher für den Games-Standort Deutschland?

Pi mal Daumen wurden 2016 alleine mit Spiele-Software mehr als 2 Milliarden Euro in Deutschland umgesetzt. Davon profitieren in erster Linie US-amerikanische und japanische Spielehersteller, die in Europas zweitgrößtem Games-Absatzmarkt überschaubare Marketing- und Vertriebsniederlassungen betreiben.

Egal wie man es dreht und wendet: Die Milliarden-Umsätze von Electronic Arts, Sony, Nintendo, Microsoft, Activision, Take 2 oder Square Enix tragen so gut wie nichts dazu bei, die Games-Entwicklung in Deutschland nach vorne zu bringen oder Arbeitsplätze in nennenswertem Umfang zu schaffen.

  • Beweisstück 1: Activision Blizzard mit Sitz in Ismaning schafft 100 Millionen Euro Umsatz mit gerade einmal 50 Mitarbeitern.
  • Beweisstück 2: Marktführer Electronic Arts verkauft Ware im Wert von 150 Millionen Euro in Deutschland und Österreich und beschäftigte zuletzt keine 100 Personen.
  • Beweisstück 3: Sony macht in Deutschland mit PlayStation-Hard- und Software einen Umsatz von einer halben Milliarde Euro. Dafür genügen 55 Mitarbeiter.

Zu den wenigen Ausnahmen auf Seiten internationaler Publisher zählt das 350-Mann-Studio Blue Byte: Die Ubisoft-Tochter betreibt künftig drei Standorte in Deutschland.

Forderung nach Förderung: Warum die Filmbranche die besseren Argumente hat

Die 27 BIU-Mitglieder stehen für einen Marktanteil von 85 Prozent und bezuschussen das Computerspielpreis-Preisgeld in diesem Jahr mit 200.000 Euro – ein Zehntausendstel des Spiele-Umsatzes, der alljährlich in Deutschland generiert wird.

Pro Vollmitglied sind das im Schnitt keine 10.000 Euro. Dieser Betrag reicht gerade mal, um auf der Gamescom einen besseren Tapeziertisch aufzustellen.

Da hat die Filmbranche die deutlich besseren Argumente auf ihrer Seite, denn sie leistet einen erheblichen Eigenbeitrag zur Finanzierung von Produktionen im Heimatmarkt. Übertragen auf die Games-Branche hieße das: Würden Activision, Sony, EA & Co. nur ein Prozent ihrer Deutschland-Einnahmen an einen Fonds weiterleiten, wäre dieser mit jährlich 20 Millionen Euro ausgestattet.

Wäre. Konjunktiv.

Für den erwartbaren Fall, dass die Industrie die Kosten an den Verbraucher weiterreicht, wäre dieser mit roundabout 50 Cent pro Vollpreisspiel dabei. Der Gedanke an eine solche unpopuläre Zwangsabgabe wäre leichter zu ertragen, wenn jeder wüsste, dass schon heute jeder Bluray-Player, jede Festplatte, jeder PC mit „Pauschalabgaben“ von bis zu 50 Euro belegt ist.

Die moderne Form des Ablasshandels

Dass eine solche Games-Pflichtangabe kurzfristig wieder ernsthaft in Betracht gezogen wird, ist natürlich Utopie. Es sollte sich nur niemand wundern, wenn die Fördertöpfe gegenüber der Filmbranche auch künftig homöopathisch ausfallen.

Die Zurückhaltung der großen Publisher ist eine Erklärung dafür, warum der Haushaltsausschuss die DCP-Preisgeld-Wünsche des Verkehrsministeriums kurzerhand einkassiert hat. Oder warum der umstrittene Bund der Steuerzahler seit Jahren mit großer Zähigkeit darauf pocht, die Games-Branche möge doch bitte zunächst auf eigene Schatullen bei der Finanzierung des Computerspielpreises zurückgreifen.

Abseits des Getöses bleibt festzuhalten: Die führenden Publisher der Computerspiele-Branche haben sich mit dem Deutschen Computerspielpreis von der Verantwortung freigekauft, substanziell die Entwicklung von Games made in Germany zu fördern – und das zum Schnäppchenpreis. Stattdessen wird die Verantwortung an den Staat und das Risiko der Spiele-Entwicklung letztlich an den Steuerzahler delegiert – denn nichts anderes ist der Steuerrabatt, der seit November als Vorschlag auf dem Tisch liegt.

Ich fürchte, die Debatte um Games-Förderung muss mit mehr Aufrichtigkeit geführt werden – auch und gerade im Superwahljahr.

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